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Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, I. Semester. II. Band.

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für erledigt gelten. Er ist nicht atmosphärischen, sondern irdischen Ursprungs,
von Menschenhand erzeugt; und die alte Fabel vom "zersetzten Gewitter"
enthält nur insofern einen Kern Wahrheit, als diese aufsteigenden Massen
warmer Luft und darin schwebender Kohlentheilchen allerdings sehr wirksam
sowohl Feuchtigkeit aufsaugen als electrische Spannung ableiten. Produeirt
wird der Moorrauch alljährlich von Mitte Mai bis in den Juni hinein
durch die Buchwaizenbauer des nordwestlichen Deutschlands, welche ihr Feld
in der primitivsten Weise düngen, nämlich durch Abbrennen der haidebewach-
senen Oberfläche. Consumirt wird er wider Willen von Allen, denen der
bei uns vorherrschende West- oder Nordwestwind ihn zuführen mag; und
es ist ein so weiter Kreis, der sehr intensiv darunter leidet, daß man den
Moorrauch nicht mit Unrecht als eine Landplage Norddeutschlands bezeichnet,
eine widerwärtige Störung des Genusses der schönsten Jahreszeit und der
Natur in ihrer vollsten Laub- und Blüthenfrische.

Man konnte es daher Georg v. Vincke kaum verdenken, daß er, sobald
Hannover preußisch geworden war, im Landtage darauf drang, daß der Un¬
fug abgestellt werde. Aber mehr Recht noch freilich hatte der Landwirth¬
schaftsminister, als er erwiderte, daß sich mit Gewaltmaßregeln da nicht so
ohne weiteres durchgreifen lasse. Herr v. Vincke huldigte der landläufigen
Ansicht, welche von den Urhebern des Moorrauchs nichts weiß und sich daher
berechtigt hält, diesen einfach die Schuld beizumessen, deren geringste Sühne
dann natürlich der sofortige und unbedingte Verzicht auf Erneuerung des
Frevels sein würde. Herr v. Selchow hatte sich muthmaßlich durch einen
hannoverschen Ministerialrath vorher informiren lassen, und wußte daher, wie
ungerecht und falsch die landläufige Verdammung der Moorbrenner sei.

Diese Leute stehen zum Theil auf der untersten Stufe der Civilisation, welche
in Deutschland überhaupt von irgend einer Menschenclasse eingenommen wird.
Wenn man von ihrem Elend im Allgemeinen wenig weiß, so rührt es daher,
daß sie höchst zerstreut, von anderen Menschen beinahe abgeschnitten und in
einem Zustande halb thierischer Stumpfheit leben. Aber als in dem schlim¬
men Winter 1867/68 der Nothstand, welcher die Provinz Preußen heim¬
suchte, auch sie befiel, und in Folge dessen eine Steigerung der gewöhnlichen
Noth beistandsbereite Beobachter aus den nächsten Städten herbeizog, konn¬
ten diese nicht genug staunen über ein Maß von chronischer Entblößung und
Verkommenheit, das selbst sie sich nicht hatten träumen lassen. Sie ver¬
glichen das, was sie sahen und hörten, mit den ostpreußischen Nothstands¬
berichten, und kamen zu dem Urtheil, daß dieser westdeutsche Nothstand der
ärgere von Beiden sei.

Nicht jede Moorcolonie allerdings leidet Noth und verpestet uns mit
Qualm den Frühling. Es gibt sogar sehr blühende, die man zur Unter-


für erledigt gelten. Er ist nicht atmosphärischen, sondern irdischen Ursprungs,
von Menschenhand erzeugt; und die alte Fabel vom „zersetzten Gewitter"
enthält nur insofern einen Kern Wahrheit, als diese aufsteigenden Massen
warmer Luft und darin schwebender Kohlentheilchen allerdings sehr wirksam
sowohl Feuchtigkeit aufsaugen als electrische Spannung ableiten. Produeirt
wird der Moorrauch alljährlich von Mitte Mai bis in den Juni hinein
durch die Buchwaizenbauer des nordwestlichen Deutschlands, welche ihr Feld
in der primitivsten Weise düngen, nämlich durch Abbrennen der haidebewach-
senen Oberfläche. Consumirt wird er wider Willen von Allen, denen der
bei uns vorherrschende West- oder Nordwestwind ihn zuführen mag; und
es ist ein so weiter Kreis, der sehr intensiv darunter leidet, daß man den
Moorrauch nicht mit Unrecht als eine Landplage Norddeutschlands bezeichnet,
eine widerwärtige Störung des Genusses der schönsten Jahreszeit und der
Natur in ihrer vollsten Laub- und Blüthenfrische.

Man konnte es daher Georg v. Vincke kaum verdenken, daß er, sobald
Hannover preußisch geworden war, im Landtage darauf drang, daß der Un¬
fug abgestellt werde. Aber mehr Recht noch freilich hatte der Landwirth¬
schaftsminister, als er erwiderte, daß sich mit Gewaltmaßregeln da nicht so
ohne weiteres durchgreifen lasse. Herr v. Vincke huldigte der landläufigen
Ansicht, welche von den Urhebern des Moorrauchs nichts weiß und sich daher
berechtigt hält, diesen einfach die Schuld beizumessen, deren geringste Sühne
dann natürlich der sofortige und unbedingte Verzicht auf Erneuerung des
Frevels sein würde. Herr v. Selchow hatte sich muthmaßlich durch einen
hannoverschen Ministerialrath vorher informiren lassen, und wußte daher, wie
ungerecht und falsch die landläufige Verdammung der Moorbrenner sei.

Diese Leute stehen zum Theil auf der untersten Stufe der Civilisation, welche
in Deutschland überhaupt von irgend einer Menschenclasse eingenommen wird.
Wenn man von ihrem Elend im Allgemeinen wenig weiß, so rührt es daher,
daß sie höchst zerstreut, von anderen Menschen beinahe abgeschnitten und in
einem Zustande halb thierischer Stumpfheit leben. Aber als in dem schlim¬
men Winter 1867/68 der Nothstand, welcher die Provinz Preußen heim¬
suchte, auch sie befiel, und in Folge dessen eine Steigerung der gewöhnlichen
Noth beistandsbereite Beobachter aus den nächsten Städten herbeizog, konn¬
ten diese nicht genug staunen über ein Maß von chronischer Entblößung und
Verkommenheit, das selbst sie sich nicht hatten träumen lassen. Sie ver¬
glichen das, was sie sahen und hörten, mit den ostpreußischen Nothstands¬
berichten, und kamen zu dem Urtheil, daß dieser westdeutsche Nothstand der
ärgere von Beiden sei.

Nicht jede Moorcolonie allerdings leidet Noth und verpestet uns mit
Qualm den Frühling. Es gibt sogar sehr blühende, die man zur Unter-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_123619/333>, abgerufen am 18.12.2024.