Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, I. Semester. II. Band.diesem Ausfall der ersten Abstimmung ist nicht unwahrscheinlich gewor¬ Der düstere Ernst der Sache, um welche es sich handelt, verbietet, die Von den Mitgliedern des Reichstags kamen nach unserer festen Ueber¬ Dadurch tritt ein neues Moment maßgebend herzu. Nach der Abstim¬ diesem Ausfall der ersten Abstimmung ist nicht unwahrscheinlich gewor¬ Der düstere Ernst der Sache, um welche es sich handelt, verbietet, die Von den Mitgliedern des Reichstags kamen nach unserer festen Ueber¬ Dadurch tritt ein neues Moment maßgebend herzu. Nach der Abstim¬ <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0330" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/123950"/> <p xml:id="ID_981" prev="#ID_980"> diesem Ausfall der ersten Abstimmung ist nicht unwahrscheinlich gewor¬<lb/> den, daß das Gesetz noch in dieser Sitzung zu Stande kommen wird,<lb/> wenn es nämlich dem Präsidenten und Bureau gelingt, die Beschlußfähig¬<lb/> keit der Versammlung aufrecht zuerhalten.</p><lb/> <p xml:id="ID_982"> Der düstere Ernst der Sache, um welche es sich handelt, verbietet, die<lb/> schwierige Situation, in welcher sich werthe Parteigenossen bei dieser Abstim¬<lb/> mung befanden, in leichter Stimmung zu schildern. Aber die ganze Verhandlung<lb/> über die Todesstrafe scheint uns besonders lehrreich, um gewisse geheime<lb/> Schwierigkeiten der parlamentarischen Thätigkeit zu erweisen.</p><lb/> <p xml:id="ID_983"> Von den Mitgliedern des Reichstags kamen nach unserer festen Ueber¬<lb/> zeugung mehr als drei Viertheile nach Berlin ohne eine eigene, durchdachte<lb/> Ueberzeugung über die Todesstrafe mitzubringen. Nicht allein wackere Mit¬<lb/> glieder der Parteien, auch Führer; nur bei den Oldenburgern und Sachsen<lb/> war die Frage auf den Landtagen — ohne starke Aufregung— verhandelt;<lb/> der großen Mehrzahl der Preußen und Uebrigen war die Frage fast neu und<lb/> kaum Einer hatte sichere Stellung dazu genommen. — Bei den Liberalen<lb/> ist im Allgemeinen eine gemüthliche Stimmung dagegen, bei den Conserva-<lb/> tiven dafür. In den Privatbesprechungen, den Parteiversammlungen folgen<lb/> die Einzelnen noch den fast zufälligen Meinungen, welche sie mitbringen.<lb/> Durch die Gründe, welche die Debattirenden heranziehen, durch das Aus¬<lb/> sprechen einer Ansicht befestigen sie sich auf ihrem Standpunkt, eine Partei¬<lb/> meinung tritt bestimmend hervor, der sich nur einzelne Mitglieder der Partei<lb/> entziehen. Die Verhandlungen im Plenum beginnen. Die Gründe, welche<lb/> die Vertreter der Regierung geltend machen, sind Einwänden ausgesetzt und<lb/> veranlassen Gegenerklärungen, bedeutendere Redner — für und wider —<lb/> schärfen den Gegensatz, der Parteieifer erwacht, die Abstimmung wird bereits<lb/> ein Kampf der Parteien, durch dieselbe fühlt sich der Einzelne und die Partei<lb/> an ihr Votum gebunden.</p><lb/> <p xml:id="ID_984" next="#ID_985"> Dadurch tritt ein neues Moment maßgebend herzu. Nach der Abstim¬<lb/> mung wird von dem Abgeordneten und von seiner Partei Consequenz ge¬<lb/> fordert. Und diese Consequenz ist im parlamentarischen Leben keine kleine<lb/> Sache, es werden Ruf und Ansehen der Partei im Volke zum großen Theil<lb/> dadurch bestimmt, nicht weniger die Bedeutung der Partei gegenüber den Re¬<lb/> gierenden. Denn Volk und Regierung empfinden weniger lebhaft das Ge¬<lb/> wicht der Gründe, welche in einer Streitfrage von der Opposition geltend<lb/> gemacht werden, als den Nachdruck, die Energie und den männlichen Sinn,<lb/> mit welchem eine parlamentarische Fraktion ihre Ansichten vertritt. Bon<lb/> dieser Consequenz hängt also die Macht der Partei ab, d. h. der<lb/> Einfluß, welchen sie auf die öffentliche Meinung und auf ihre parlamenta¬<lb/> rische Körperschaft ausübt. Deshalb wird jede wichtigere Frage nach der</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0330]
diesem Ausfall der ersten Abstimmung ist nicht unwahrscheinlich gewor¬
den, daß das Gesetz noch in dieser Sitzung zu Stande kommen wird,
wenn es nämlich dem Präsidenten und Bureau gelingt, die Beschlußfähig¬
keit der Versammlung aufrecht zuerhalten.
Der düstere Ernst der Sache, um welche es sich handelt, verbietet, die
schwierige Situation, in welcher sich werthe Parteigenossen bei dieser Abstim¬
mung befanden, in leichter Stimmung zu schildern. Aber die ganze Verhandlung
über die Todesstrafe scheint uns besonders lehrreich, um gewisse geheime
Schwierigkeiten der parlamentarischen Thätigkeit zu erweisen.
Von den Mitgliedern des Reichstags kamen nach unserer festen Ueber¬
zeugung mehr als drei Viertheile nach Berlin ohne eine eigene, durchdachte
Ueberzeugung über die Todesstrafe mitzubringen. Nicht allein wackere Mit¬
glieder der Parteien, auch Führer; nur bei den Oldenburgern und Sachsen
war die Frage auf den Landtagen — ohne starke Aufregung— verhandelt;
der großen Mehrzahl der Preußen und Uebrigen war die Frage fast neu und
kaum Einer hatte sichere Stellung dazu genommen. — Bei den Liberalen
ist im Allgemeinen eine gemüthliche Stimmung dagegen, bei den Conserva-
tiven dafür. In den Privatbesprechungen, den Parteiversammlungen folgen
die Einzelnen noch den fast zufälligen Meinungen, welche sie mitbringen.
Durch die Gründe, welche die Debattirenden heranziehen, durch das Aus¬
sprechen einer Ansicht befestigen sie sich auf ihrem Standpunkt, eine Partei¬
meinung tritt bestimmend hervor, der sich nur einzelne Mitglieder der Partei
entziehen. Die Verhandlungen im Plenum beginnen. Die Gründe, welche
die Vertreter der Regierung geltend machen, sind Einwänden ausgesetzt und
veranlassen Gegenerklärungen, bedeutendere Redner — für und wider —
schärfen den Gegensatz, der Parteieifer erwacht, die Abstimmung wird bereits
ein Kampf der Parteien, durch dieselbe fühlt sich der Einzelne und die Partei
an ihr Votum gebunden.
Dadurch tritt ein neues Moment maßgebend herzu. Nach der Abstim¬
mung wird von dem Abgeordneten und von seiner Partei Consequenz ge¬
fordert. Und diese Consequenz ist im parlamentarischen Leben keine kleine
Sache, es werden Ruf und Ansehen der Partei im Volke zum großen Theil
dadurch bestimmt, nicht weniger die Bedeutung der Partei gegenüber den Re¬
gierenden. Denn Volk und Regierung empfinden weniger lebhaft das Ge¬
wicht der Gründe, welche in einer Streitfrage von der Opposition geltend
gemacht werden, als den Nachdruck, die Energie und den männlichen Sinn,
mit welchem eine parlamentarische Fraktion ihre Ansichten vertritt. Bon
dieser Consequenz hängt also die Macht der Partei ab, d. h. der
Einfluß, welchen sie auf die öffentliche Meinung und auf ihre parlamenta¬
rische Körperschaft ausübt. Deshalb wird jede wichtigere Frage nach der
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