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Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, I. Semester. II. Band.

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feststehende Praxis, auch die Siegel wurden nachgeahmt, zuweilen Plump, in
einigen Fällen mit unzweifelhafter Routine. Eine andere gefährliche Classe
von Erfindern sind die Ortschronisten, welche seit dem 16. Jahrhundert die
Geschichte ihrer Stadt schreiben. Ihnen hat die Bekanntschaft mit Livius
und der Humanistenbildung den Sinn für geschichtliche Wahrheit durchaus
nicht geschärft, häufig ist ihre Erzählung für uns nur eine unbehilfliche No-
velle, in welcher sie mit behaglichem Patriotismus an jede Spur einer Ueber¬
lieferung ein langes lockeres Gewebe eigener Erfindung spinnen. Zumal bei
der Gründungsgeschichte schlesischer Städte fand Grünhagen fast überall zu¬
sammengekehrte alte Häuflein von Einbildungen und Lügen, welche weg¬
zuschaffen waren. Diese peinliche Arbeit hatte er in ganz ungewöhnlicher
Weise bei den Ueberlieferungen der Stadt Brieg zu üben.

Es thut einem Schlesier leid, daran zu erinnern, daß die Gewandtheit
im Erfinden noch in unserer Zeit sich in ruchloser Weise geltend gemacht hat.
Die älteren Zeitgenossen erinnern sich wohl noch an das große Aufsehn,
Welches vor 30 Jahren die Schilderungen aus dem Leben der Herzogin
Dorothea Sibylle von Brieg und ihre Briefe erregten.

Der Archivar und Syndicus Koch zu Brieg hatte zuerst in Hoffmanns
Monatsschrift für Seht. Stücke von dem Tagebuche eines Valentin Gierth aus
dem Anfange des 17. Jahrhunderts herausgegeben, in welchen treuherzig
und behaglich, nicht ohne Anmuth Leben und Hofhalt einer wackern schlesi-
schen Fürstin geschildert wurde. Das Detail der Erzählung erregte allge¬
meine Freude. Da wurde es das Verdienst von Heinrich Wuttke, mit großem
Scharfsinn die Unächtheit dieses Machwerks und die Verfertigung desselben
durch den gewissenlosen Herausgeber Koch nachgewiesen zu haben. Die Kritik
Wuttke's aber schuf zu ihrer Zeit in Schlesien vielen Zorn, hatte doch
sogar Stenzel sich durch die Erfindung täuschen lassen, und den Schlesiern
that weh, die liebgewordene Gestalt einer alten Landesmutter aus der Phan¬
tasie bannen zu müssen. Jetzt nun hat Herr Grünhagen in einem besonde¬
ren hübschen Aufsatz (Zeitschrift des Vereins für Geschichte und Alterthum
Schlesiens, Band 9) nachgewiesen, daß derselbe Koch mit nicht gewöhnlicher
Gaunerei noch eine ganze Reihe anderer Erfindungen in die Geschichte der Oder¬
stadt Brieg hineingeschmuggelt hat, indem er auch eine handschriftliche Chronik
eines Stadtschreibers Blasius Gebel aus dem 16. Jahrhundert erlog und
aus derselben ebenso originelle Bruchstücke mittheilte, wie aus jenem anderen
Tagebuch von 1829. Syndicus Koch hat die Muse der schlesischen Geschichte
bis an sein Lebensende gröblich gemißhandelt. Dafür ist er jetzt aufs Neue
als verzweifelter und bösartiger Falsarius überführt und verurtheilt.

Der Geschichte von Brieg müssen die farbigen Schilderungen entgehen,


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feststehende Praxis, auch die Siegel wurden nachgeahmt, zuweilen Plump, in
einigen Fällen mit unzweifelhafter Routine. Eine andere gefährliche Classe
von Erfindern sind die Ortschronisten, welche seit dem 16. Jahrhundert die
Geschichte ihrer Stadt schreiben. Ihnen hat die Bekanntschaft mit Livius
und der Humanistenbildung den Sinn für geschichtliche Wahrheit durchaus
nicht geschärft, häufig ist ihre Erzählung für uns nur eine unbehilfliche No-
velle, in welcher sie mit behaglichem Patriotismus an jede Spur einer Ueber¬
lieferung ein langes lockeres Gewebe eigener Erfindung spinnen. Zumal bei
der Gründungsgeschichte schlesischer Städte fand Grünhagen fast überall zu¬
sammengekehrte alte Häuflein von Einbildungen und Lügen, welche weg¬
zuschaffen waren. Diese peinliche Arbeit hatte er in ganz ungewöhnlicher
Weise bei den Ueberlieferungen der Stadt Brieg zu üben.

Es thut einem Schlesier leid, daran zu erinnern, daß die Gewandtheit
im Erfinden noch in unserer Zeit sich in ruchloser Weise geltend gemacht hat.
Die älteren Zeitgenossen erinnern sich wohl noch an das große Aufsehn,
Welches vor 30 Jahren die Schilderungen aus dem Leben der Herzogin
Dorothea Sibylle von Brieg und ihre Briefe erregten.

Der Archivar und Syndicus Koch zu Brieg hatte zuerst in Hoffmanns
Monatsschrift für Seht. Stücke von dem Tagebuche eines Valentin Gierth aus
dem Anfange des 17. Jahrhunderts herausgegeben, in welchen treuherzig
und behaglich, nicht ohne Anmuth Leben und Hofhalt einer wackern schlesi-
schen Fürstin geschildert wurde. Das Detail der Erzählung erregte allge¬
meine Freude. Da wurde es das Verdienst von Heinrich Wuttke, mit großem
Scharfsinn die Unächtheit dieses Machwerks und die Verfertigung desselben
durch den gewissenlosen Herausgeber Koch nachgewiesen zu haben. Die Kritik
Wuttke's aber schuf zu ihrer Zeit in Schlesien vielen Zorn, hatte doch
sogar Stenzel sich durch die Erfindung täuschen lassen, und den Schlesiern
that weh, die liebgewordene Gestalt einer alten Landesmutter aus der Phan¬
tasie bannen zu müssen. Jetzt nun hat Herr Grünhagen in einem besonde¬
ren hübschen Aufsatz (Zeitschrift des Vereins für Geschichte und Alterthum
Schlesiens, Band 9) nachgewiesen, daß derselbe Koch mit nicht gewöhnlicher
Gaunerei noch eine ganze Reihe anderer Erfindungen in die Geschichte der Oder¬
stadt Brieg hineingeschmuggelt hat, indem er auch eine handschriftliche Chronik
eines Stadtschreibers Blasius Gebel aus dem 16. Jahrhundert erlog und
aus derselben ebenso originelle Bruchstücke mittheilte, wie aus jenem anderen
Tagebuch von 1829. Syndicus Koch hat die Muse der schlesischen Geschichte
bis an sein Lebensende gröblich gemißhandelt. Dafür ist er jetzt aufs Neue
als verzweifelter und bösartiger Falsarius überführt und verurtheilt.

Der Geschichte von Brieg müssen die farbigen Schilderungen entgehen,


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[0321] feststehende Praxis, auch die Siegel wurden nachgeahmt, zuweilen Plump, in einigen Fällen mit unzweifelhafter Routine. Eine andere gefährliche Classe von Erfindern sind die Ortschronisten, welche seit dem 16. Jahrhundert die Geschichte ihrer Stadt schreiben. Ihnen hat die Bekanntschaft mit Livius und der Humanistenbildung den Sinn für geschichtliche Wahrheit durchaus nicht geschärft, häufig ist ihre Erzählung für uns nur eine unbehilfliche No- velle, in welcher sie mit behaglichem Patriotismus an jede Spur einer Ueber¬ lieferung ein langes lockeres Gewebe eigener Erfindung spinnen. Zumal bei der Gründungsgeschichte schlesischer Städte fand Grünhagen fast überall zu¬ sammengekehrte alte Häuflein von Einbildungen und Lügen, welche weg¬ zuschaffen waren. Diese peinliche Arbeit hatte er in ganz ungewöhnlicher Weise bei den Ueberlieferungen der Stadt Brieg zu üben. Es thut einem Schlesier leid, daran zu erinnern, daß die Gewandtheit im Erfinden noch in unserer Zeit sich in ruchloser Weise geltend gemacht hat. Die älteren Zeitgenossen erinnern sich wohl noch an das große Aufsehn, Welches vor 30 Jahren die Schilderungen aus dem Leben der Herzogin Dorothea Sibylle von Brieg und ihre Briefe erregten. Der Archivar und Syndicus Koch zu Brieg hatte zuerst in Hoffmanns Monatsschrift für Seht. Stücke von dem Tagebuche eines Valentin Gierth aus dem Anfange des 17. Jahrhunderts herausgegeben, in welchen treuherzig und behaglich, nicht ohne Anmuth Leben und Hofhalt einer wackern schlesi- schen Fürstin geschildert wurde. Das Detail der Erzählung erregte allge¬ meine Freude. Da wurde es das Verdienst von Heinrich Wuttke, mit großem Scharfsinn die Unächtheit dieses Machwerks und die Verfertigung desselben durch den gewissenlosen Herausgeber Koch nachgewiesen zu haben. Die Kritik Wuttke's aber schuf zu ihrer Zeit in Schlesien vielen Zorn, hatte doch sogar Stenzel sich durch die Erfindung täuschen lassen, und den Schlesiern that weh, die liebgewordene Gestalt einer alten Landesmutter aus der Phan¬ tasie bannen zu müssen. Jetzt nun hat Herr Grünhagen in einem besonde¬ ren hübschen Aufsatz (Zeitschrift des Vereins für Geschichte und Alterthum Schlesiens, Band 9) nachgewiesen, daß derselbe Koch mit nicht gewöhnlicher Gaunerei noch eine ganze Reihe anderer Erfindungen in die Geschichte der Oder¬ stadt Brieg hineingeschmuggelt hat, indem er auch eine handschriftliche Chronik eines Stadtschreibers Blasius Gebel aus dem 16. Jahrhundert erlog und aus derselben ebenso originelle Bruchstücke mittheilte, wie aus jenem anderen Tagebuch von 1829. Syndicus Koch hat die Muse der schlesischen Geschichte bis an sein Lebensende gröblich gemißhandelt. Dafür ist er jetzt aufs Neue als verzweifelter und bösartiger Falsarius überführt und verurtheilt. Der Geschichte von Brieg müssen die farbigen Schilderungen entgehen, 40*

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_123619/321>, abgerufen am 01.09.2024.