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Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, I. Semester. II. Band.

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günstiges Schicksal von jeder Landschaft Deutschlands topographische Werke
gönnte, welche so gut und zuverlässig orientiren, würde dem Gelehrten auf
jedem Schritt zeitraubendes und schwieriges Nachsuchen erspart werden,
welches noch dazu häufig unsichere Erträge gibt. Wir haben bei dem Werk
Nur eins zu bedauern, daß das kleine Terrain, welches unter der Herrschaft
der ältern Linie des Hauses steht, wenigstens in die Topographie nicht ein¬
geschlossen werden konnte.

Auch in Schlesien ist die Rührigkeit der localen Geschichtsforschung er¬
freulich. Die große Landschaft hat keine alte Landesgeschichte, gleich der von
Ostpreußen, reich an Großthaten starker Herren und reich an politischen Er¬
eignissen, welche für das übrige Deutschland von maßgebender Bedeutung
wurden. Aber die Vergangenheit Schlesiens ist nach einer Richtung ein be¬
sonders dankbares Gebiet, weil sich hier die Methode der mittelalterlichen
Colonisation und die Zustände der deutschen Ansiedler besonders deutlich bis
in viele Einzelheiten des Privatlebens erkennen lassen. Die Provinz hat das
Glück gehabt, in unmittelbarer Folge drei Vorsteher ihres Provinzialarchivs
zu besitzen, welche vorzüglich geeignet waren, diese Verhältnisse zu würdigen
und durch rastlose Thätigkeit bei Herausgabe der Quellenwerke zugängig zu
machen. Auf Adolph Stenzel folgte W. Wattenbach, diesem der gegenwärtige
Archivar Prof, Colmar Grünhagen. Heut sei der jüngsten Arbeiten dieses
letzten gedacht, es sind zwei Bände des Ooäex äiplomatieus Lilssias 7 und 9,
der erste enthält die Regesten der schlesischen Geschichte bis zum Jahr 1260,
der zweite die Urkunden der Stadt Brieg. Die Bedeutung des ersteren
Werkes liegt nicht nur darin, daß es die urkundlichen Quellen der ältrsten
schlesischen Geschichte verzeichnet und den Inhalt derselben darstellt, es ist
zu gleicher Zeit eine mühevolle und sorgfältige kritische Sammlung und
Revision aller alten Ueberlieferungen in Urkunden und Chroniken. Die
älteste Geschichte der Landschaft bis zum Jahre 1230 hat auch hier ein ganz
verändertes Aussehen erhalten. Wie hart und schwierig der Kampf gegen
unächte Ueberlieferungen und die Fictionen der Geschichtsschreiber ist, erweist
die Arbeit Grünhagens an vielen Stellen. Die Naivetät und Gewissenlosig¬
keit des Mittelalters im Falschen von Urkunden war vielleicht nirgend
größer als in dem schlesischen Grenzland. So ist der größte Theil von den
ältesten Urkunden der reichen Cisterzienster-Abtei Leubus, einer der ersten und
wichtigsten kirchlichen Stiftungen Schlesiens, einer Hauptstütze für deutsche Co¬
lonisation, durch die Mönche gefälscht, entweder um dem Kloster in Wahrheit
erworbene Rechte und Besitzungen zu sichern, welche urkundlich nicht zu er¬
weisen waren, oder auch, weil sie neue Ansprüche durch erlogene alte Schen¬
kungen stützen wollten. Dieses Falschen von Documenten hatte seine sichere,


günstiges Schicksal von jeder Landschaft Deutschlands topographische Werke
gönnte, welche so gut und zuverlässig orientiren, würde dem Gelehrten auf
jedem Schritt zeitraubendes und schwieriges Nachsuchen erspart werden,
welches noch dazu häufig unsichere Erträge gibt. Wir haben bei dem Werk
Nur eins zu bedauern, daß das kleine Terrain, welches unter der Herrschaft
der ältern Linie des Hauses steht, wenigstens in die Topographie nicht ein¬
geschlossen werden konnte.

Auch in Schlesien ist die Rührigkeit der localen Geschichtsforschung er¬
freulich. Die große Landschaft hat keine alte Landesgeschichte, gleich der von
Ostpreußen, reich an Großthaten starker Herren und reich an politischen Er¬
eignissen, welche für das übrige Deutschland von maßgebender Bedeutung
wurden. Aber die Vergangenheit Schlesiens ist nach einer Richtung ein be¬
sonders dankbares Gebiet, weil sich hier die Methode der mittelalterlichen
Colonisation und die Zustände der deutschen Ansiedler besonders deutlich bis
in viele Einzelheiten des Privatlebens erkennen lassen. Die Provinz hat das
Glück gehabt, in unmittelbarer Folge drei Vorsteher ihres Provinzialarchivs
zu besitzen, welche vorzüglich geeignet waren, diese Verhältnisse zu würdigen
und durch rastlose Thätigkeit bei Herausgabe der Quellenwerke zugängig zu
machen. Auf Adolph Stenzel folgte W. Wattenbach, diesem der gegenwärtige
Archivar Prof, Colmar Grünhagen. Heut sei der jüngsten Arbeiten dieses
letzten gedacht, es sind zwei Bände des Ooäex äiplomatieus Lilssias 7 und 9,
der erste enthält die Regesten der schlesischen Geschichte bis zum Jahr 1260,
der zweite die Urkunden der Stadt Brieg. Die Bedeutung des ersteren
Werkes liegt nicht nur darin, daß es die urkundlichen Quellen der ältrsten
schlesischen Geschichte verzeichnet und den Inhalt derselben darstellt, es ist
zu gleicher Zeit eine mühevolle und sorgfältige kritische Sammlung und
Revision aller alten Ueberlieferungen in Urkunden und Chroniken. Die
älteste Geschichte der Landschaft bis zum Jahre 1230 hat auch hier ein ganz
verändertes Aussehen erhalten. Wie hart und schwierig der Kampf gegen
unächte Ueberlieferungen und die Fictionen der Geschichtsschreiber ist, erweist
die Arbeit Grünhagens an vielen Stellen. Die Naivetät und Gewissenlosig¬
keit des Mittelalters im Falschen von Urkunden war vielleicht nirgend
größer als in dem schlesischen Grenzland. So ist der größte Theil von den
ältesten Urkunden der reichen Cisterzienster-Abtei Leubus, einer der ersten und
wichtigsten kirchlichen Stiftungen Schlesiens, einer Hauptstütze für deutsche Co¬
lonisation, durch die Mönche gefälscht, entweder um dem Kloster in Wahrheit
erworbene Rechte und Besitzungen zu sichern, welche urkundlich nicht zu er¬
weisen waren, oder auch, weil sie neue Ansprüche durch erlogene alte Schen¬
kungen stützen wollten. Dieses Falschen von Documenten hatte seine sichere,


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_123619/320>, abgerufen am 01.09.2024.