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Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, I. Semester. II. Band.

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ständlich machte es einen bedeutenden Unterschied, ob die Wandmalereien für
ein öffentliches Gebäude oder für ein Privathaus bestimmt waren. Wir
haben es vor der Hand nur mit der letzteren Classe zu thun. Schreckliche
Vorgänge pathetischer Charaktere waren im Allgemeinen gewiß nicht dazu
geeignet, sich als dauernder Schmuck der Wände vor den Augen der Insassen
darzustellen. Daß die Alten so empfanden, ergibt sich deutlich aus der
Wahl der in der Wandmalerei zur Schilderung gebrachten Stoffe. Allerdings
hat man hierbei auch innerhalb des Privathauses verschiedene Gattungen
von Bildern zu unterscheiden. Die Bilder der Friese, der Predellen, der
in die Architekturmalerei eingefügten Vignetten konnten eher schreckliche Vor¬
gänge zur Darstellung bringen, da die Kleinheit ihrer Figuren nur eine
andeutende BeHandlungsweise gestattete. Anders dagegen die mit gemalten
Rahmen abgegrenzten Bilder, welche die Mittelpunkte der Wandfelder zu
bilden pflegen und durch den Platz, den sie einnehmen, und die Größe ihrer
Dimensionen sofort den Blick auf sich ziehen. Innerhalb dieser Gattung sind
die Darstellungen, in welchen ein heftiges Pathos vorherrscht, sehr selten.
Die sich zum Kindermord anschickende Medeia des Timomachos fand sich
einmal in einem Privathause, dreimal die Strafe der Dirke. Da jedoch die
letztere Scene zweimal als Staffage einer Landschaft, einmal auf einem Ge¬
mälde vorkommt, welches die Mitte hält zwischen historischem und Landschafts¬
bilde, so kam die schreckliche Handlung nicht zu selbständiger Geltung. Ebenso
findet sich Aktaion, wie er von seinen Hunden zerrissen wird, in der Regel auf
Landschaftsbildern oder auf solchen, wo ein ausgeführter landschaftlicher
Hintergrund das Interesse des Betrachters theilt. Außerdem ist die Dar¬
stellung des Aktaion gewöhnlich in den Hintergrund gerückt und war es den
Malern offenbar darum zu thun, die nackte Gestalt der badenden Göttin
besonders hervorzuheben. Ein neuerdings gefundenes Gemälde, welches den¬
selben Mythos darstellt, zeigt eine eigenthümlich strenge, man möchte fast
sagen archaisirende Zeichnung und Durchführung, welche das Pathos der
Handlung nicht zu vollständiger Klarheit kommen lassen. Dasselbe gilt von
dem großen Gemälde aus dem Hause des tragischen Dichters, welches das
Opfer der Jphigeneia darstellt und in Anlage und Ausführung deutlich eine
archaisirende Kunstrichtung erkennen läßt. Fügen wir noch das Gemälde
bei, welches den Tod der Sophoniba darstellt, so ist innerhalb der in Privat¬
häusern gefundenen Malereien die Zahl der Compositionen, welche eine tief
ergreifende Scene von entschieden pathetischen Inhalt darstellen, erschöpft.
Niemand wird, denke ich, die Bilder des verwundeten Adonis hier in Betracht
ziehen wollen, da ihre Auffassung eine durchaus sentimentale ist und die
Nebenfiguren, die dem Jünglinge beistehenden Eroten, einen entschieden tän¬
delnden Charakter verrathen. Dieser im Allgemeinen maßgebende Gesichts-


ständlich machte es einen bedeutenden Unterschied, ob die Wandmalereien für
ein öffentliches Gebäude oder für ein Privathaus bestimmt waren. Wir
haben es vor der Hand nur mit der letzteren Classe zu thun. Schreckliche
Vorgänge pathetischer Charaktere waren im Allgemeinen gewiß nicht dazu
geeignet, sich als dauernder Schmuck der Wände vor den Augen der Insassen
darzustellen. Daß die Alten so empfanden, ergibt sich deutlich aus der
Wahl der in der Wandmalerei zur Schilderung gebrachten Stoffe. Allerdings
hat man hierbei auch innerhalb des Privathauses verschiedene Gattungen
von Bildern zu unterscheiden. Die Bilder der Friese, der Predellen, der
in die Architekturmalerei eingefügten Vignetten konnten eher schreckliche Vor¬
gänge zur Darstellung bringen, da die Kleinheit ihrer Figuren nur eine
andeutende BeHandlungsweise gestattete. Anders dagegen die mit gemalten
Rahmen abgegrenzten Bilder, welche die Mittelpunkte der Wandfelder zu
bilden pflegen und durch den Platz, den sie einnehmen, und die Größe ihrer
Dimensionen sofort den Blick auf sich ziehen. Innerhalb dieser Gattung sind
die Darstellungen, in welchen ein heftiges Pathos vorherrscht, sehr selten.
Die sich zum Kindermord anschickende Medeia des Timomachos fand sich
einmal in einem Privathause, dreimal die Strafe der Dirke. Da jedoch die
letztere Scene zweimal als Staffage einer Landschaft, einmal auf einem Ge¬
mälde vorkommt, welches die Mitte hält zwischen historischem und Landschafts¬
bilde, so kam die schreckliche Handlung nicht zu selbständiger Geltung. Ebenso
findet sich Aktaion, wie er von seinen Hunden zerrissen wird, in der Regel auf
Landschaftsbildern oder auf solchen, wo ein ausgeführter landschaftlicher
Hintergrund das Interesse des Betrachters theilt. Außerdem ist die Dar¬
stellung des Aktaion gewöhnlich in den Hintergrund gerückt und war es den
Malern offenbar darum zu thun, die nackte Gestalt der badenden Göttin
besonders hervorzuheben. Ein neuerdings gefundenes Gemälde, welches den¬
selben Mythos darstellt, zeigt eine eigenthümlich strenge, man möchte fast
sagen archaisirende Zeichnung und Durchführung, welche das Pathos der
Handlung nicht zu vollständiger Klarheit kommen lassen. Dasselbe gilt von
dem großen Gemälde aus dem Hause des tragischen Dichters, welches das
Opfer der Jphigeneia darstellt und in Anlage und Ausführung deutlich eine
archaisirende Kunstrichtung erkennen läßt. Fügen wir noch das Gemälde
bei, welches den Tod der Sophoniba darstellt, so ist innerhalb der in Privat¬
häusern gefundenen Malereien die Zahl der Compositionen, welche eine tief
ergreifende Scene von entschieden pathetischen Inhalt darstellen, erschöpft.
Niemand wird, denke ich, die Bilder des verwundeten Adonis hier in Betracht
ziehen wollen, da ihre Auffassung eine durchaus sentimentale ist und die
Nebenfiguren, die dem Jünglinge beistehenden Eroten, einen entschieden tän¬
delnden Charakter verrathen. Dieser im Allgemeinen maßgebende Gesichts-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_123619/301>, abgerufen am 01.09.2024.