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Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, I. Semester. II. Band.

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bewahrt hat. Ebenso sind mit wenigen Ausnahmen Darstellungen von
Scenen vermieden, bei denen Lichteffekte bedeutsam in den Vordergrund
traten. Der seueranblasende Knabe des Antiphilos. ein durch die Behand¬
lung der Lichtreflexe berühmtes Bild, findet sich nicht in dem gegenwärtig
bekannten Vorrath campanischer Wandgemälde. Auch vermissen wir ein in
der ersten Kaiserzeit sehr beliebtes Gemälde, welches den Sturz des Phaethon
vor Augen führte und bei der Darstellung dieser Scene auf römischen Sarko-
phagreliess benutzt wurde. Sein Reiz beruhte offenbar namentlich auf den
verschiedenen Lichtwirkungen, indem in der Mitte der stürzende Phaethon mit
der gleißenden Sonnenkrone, unten die flammende Erde, oben die Gestirne,
welche durch die hereinbrechende Nacht hervorzuleuchten beginnen, eine Reihe
eigenthümlicher Gegensätze bildeten. Wie der Charakter des Vorgangs an
und für sich, wie wir später sehen werden, keineswegs mit den Grundsätzen
stimmte, welche die Wandmaler in der bildlichen Ausschmückung der Wohn¬
häuser zu befolgen pflegten, so überschritt die Darstellung der betreffenden
Lichteffekte selbstverständlich die Grenzen der Frescotechnik. Durchmustern
wir den uns zugänglichen Vorrath campanischer Wandgemälde, dann sehen
wir, daß, wo die Darstellung Ltchteffekte erforderte, dieselben entweder gar
nicht, oder nur in sehr andeutender Weise ausgedrückt sind. Auf dem
Bilde, welches die Schmiede des Hephaistos darstellt, ist der Lichteffekt,
welcher von dem flammenden Herde ausgehen müßte, gar nicht angedeutet.
Auf einem Gemälde, das darstellt, wie Pero ihrem zum Hungertode ver-
urtheilten Vater im Gefängnisse die Brust reicht, fällt ein Sonnenstrahl in
den Kerker, doch ist dieses Motiv nicht in einer die Natur nachahmenden
Weise, sondern nur andeutend behandelt. Andere Erscheinungen verwandter
Art, welche man auf einem Ledabilde und dem berühmten auf die Hochzeit
des Zephyros und der Chloris gedeuteten Gemälde wahrnehmen wollte,
lassen sich gegenwärtig, da die Gründe dieser Bilder sehr verblaßt sind, nicht
mit hinreichender Sicherheit erkennen. Immerhin jedoch kann man, auch bei
dem gegenwärtigen Zustande dieser Bilder, behaupten, daß die Charakteristik
der betreffenden Motive keineswegs bedeutsam hervortrat. Aus denselben
Gründen finden wir in der Wandmalerei kein vollständig durchgeführtes
Nachtstück. Allerdings kann das herculaner Bild, welches den Einzug des
hölzernen Pferdes in Troia darstellt, als Nachtstück gelten. Doch ist hier
die Nacht nur durch ein etwas gedämpftes Colorit angedeutet -- eine Dar¬
stellungsweise mehr symbolischer Art, die weit entfernt ist von einer der
Wirklichkeit entsprechenden Charakteristik.

Außer diesem auf die Technik begründeten Gesichtspunkte war der Charak¬
ter der dargestellten Scenen selbst maßgebend für die Alten, ob eine Compo-
sition in der Wandmalerei reproducirt werden sollte oder nicht. Selbstver-


bewahrt hat. Ebenso sind mit wenigen Ausnahmen Darstellungen von
Scenen vermieden, bei denen Lichteffekte bedeutsam in den Vordergrund
traten. Der seueranblasende Knabe des Antiphilos. ein durch die Behand¬
lung der Lichtreflexe berühmtes Bild, findet sich nicht in dem gegenwärtig
bekannten Vorrath campanischer Wandgemälde. Auch vermissen wir ein in
der ersten Kaiserzeit sehr beliebtes Gemälde, welches den Sturz des Phaethon
vor Augen führte und bei der Darstellung dieser Scene auf römischen Sarko-
phagreliess benutzt wurde. Sein Reiz beruhte offenbar namentlich auf den
verschiedenen Lichtwirkungen, indem in der Mitte der stürzende Phaethon mit
der gleißenden Sonnenkrone, unten die flammende Erde, oben die Gestirne,
welche durch die hereinbrechende Nacht hervorzuleuchten beginnen, eine Reihe
eigenthümlicher Gegensätze bildeten. Wie der Charakter des Vorgangs an
und für sich, wie wir später sehen werden, keineswegs mit den Grundsätzen
stimmte, welche die Wandmaler in der bildlichen Ausschmückung der Wohn¬
häuser zu befolgen pflegten, so überschritt die Darstellung der betreffenden
Lichteffekte selbstverständlich die Grenzen der Frescotechnik. Durchmustern
wir den uns zugänglichen Vorrath campanischer Wandgemälde, dann sehen
wir, daß, wo die Darstellung Ltchteffekte erforderte, dieselben entweder gar
nicht, oder nur in sehr andeutender Weise ausgedrückt sind. Auf dem
Bilde, welches die Schmiede des Hephaistos darstellt, ist der Lichteffekt,
welcher von dem flammenden Herde ausgehen müßte, gar nicht angedeutet.
Auf einem Gemälde, das darstellt, wie Pero ihrem zum Hungertode ver-
urtheilten Vater im Gefängnisse die Brust reicht, fällt ein Sonnenstrahl in
den Kerker, doch ist dieses Motiv nicht in einer die Natur nachahmenden
Weise, sondern nur andeutend behandelt. Andere Erscheinungen verwandter
Art, welche man auf einem Ledabilde und dem berühmten auf die Hochzeit
des Zephyros und der Chloris gedeuteten Gemälde wahrnehmen wollte,
lassen sich gegenwärtig, da die Gründe dieser Bilder sehr verblaßt sind, nicht
mit hinreichender Sicherheit erkennen. Immerhin jedoch kann man, auch bei
dem gegenwärtigen Zustande dieser Bilder, behaupten, daß die Charakteristik
der betreffenden Motive keineswegs bedeutsam hervortrat. Aus denselben
Gründen finden wir in der Wandmalerei kein vollständig durchgeführtes
Nachtstück. Allerdings kann das herculaner Bild, welches den Einzug des
hölzernen Pferdes in Troia darstellt, als Nachtstück gelten. Doch ist hier
die Nacht nur durch ein etwas gedämpftes Colorit angedeutet — eine Dar¬
stellungsweise mehr symbolischer Art, die weit entfernt ist von einer der
Wirklichkeit entsprechenden Charakteristik.

Außer diesem auf die Technik begründeten Gesichtspunkte war der Charak¬
ter der dargestellten Scenen selbst maßgebend für die Alten, ob eine Compo-
sition in der Wandmalerei reproducirt werden sollte oder nicht. Selbstver-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_123619/300>, abgerufen am 09.11.2024.