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Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, I. Semester. II. Band.

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Argos ganz der der pompeianischen Figuren entsprechend, fügt jedoch links
Hermes bei. welcher, auf Befreiung des Mädchens bedacht und die Situation
Prüfend, herantritt. Durch die Gegenwart des Gottes gewinnt die Com¬
position innerlich wie äußerlich. Der Betrachter wird durch dieselbe über
die dargestellte Situation hinaus auf das Fortschreiten der Handlung hin¬
gewiesen. Andererseits bildet die Figur des Hermes in der äußeren Anord¬
nung der Glieder der Composition ein beinahe unbedingt erforderliches
Gegenstück zu der Figur des Argos. Man wird daher voraussetzen müssen,
daß in der Originalcomposition Hermes beigefügt war, daß diese Figur da¬
gegen von den campanischen Wandmalern zum Nachtheil der Composition
ausgelassen wurde.

Besonders bequeme Füllfiguren waren die Personifikationen von Natur¬
gegenständen, namentlich der Bergwarten, welche ihrem Charakter gemäß bei
jeder nicht allzubewegten Handlung, die in freier Natur vorging, am Platze
waren. Ihre Anwendung läßt sich der der loci ovmmuueL in der Rhetorik
vergleichen. Eine ganze Ruhe von Compositionen, Ganymedes schlafend,
Adonis in Liebesvereinigung mit Aphrodite und andere, finden sich bald
mit, bald ohne diese Figuren dargestellt. Stets jedoch haben die campanischen
Wandmaler ein richtiges Verständniß für den Charakter dieser Personifikationen
bewahrt. Entsprechend der Ruhe der ewigen Natur, aus deren Bereiche sie
entlehnt sind, werden sie stets in gehaltener Weise dargestellt, und wohnen sie
nur solchen Scenen bei, wo die handelnden Personen mehr oder minder im
Einklange mit sich selbst und mit der Außenwelt auftreten, dergestalt, daß die
Naturpersonification nicht im Widerspruche, sondern in vollendeter Ueber¬
einstimmung zu der Scene steht, der sie beigefügt ist.

Es bleibt uns schließlich noch übrig, einen Blick zu werfen auf die
Auswahl, welche die Wandmaler innerhalb der Schöpfungen der hellenisti¬
schen Kunst zum Zwecke der Reproduction in ihrer Kunstübung trafen,
-- eine Auswahl, die natürlich nicht unmittelbar von den campanischen
Wandmalern ausging, sondern ohne Zweifel an größeren künstlerischen Mittel-
Punkten, vermuthlich besonders in Rom, typische Gestaltung gefunden haben
Wird. Die Gesichtspunkte, welche hierbei maßgebend wirkten, waren einer¬
seits technischer Art und stehen im engsten Zusammenhange mit dem von
mir im Anfange dieses Aussatzes Auseinandergesetzten. Die Art der Technik
stand der Reproduction von Werken im Wege, bei denen die virtuose Durch¬
führung schwer in das Gewicht fiel. Die Anmuth der Bilder des Apelles
mit ihren eoloristischen Feinheiten konnte in der Frescomalerei auch nicht
annähernd zum Ausdruck gebracht werden. Wir finden daher keine seiner
Compositionen in der Wandmalerei wiederholt, es sei denn, daß eine hercu-
laner Architecturmalerei eine Reminiscenz von seiner Aphrodite Anadyomene


Argos ganz der der pompeianischen Figuren entsprechend, fügt jedoch links
Hermes bei. welcher, auf Befreiung des Mädchens bedacht und die Situation
Prüfend, herantritt. Durch die Gegenwart des Gottes gewinnt die Com¬
position innerlich wie äußerlich. Der Betrachter wird durch dieselbe über
die dargestellte Situation hinaus auf das Fortschreiten der Handlung hin¬
gewiesen. Andererseits bildet die Figur des Hermes in der äußeren Anord¬
nung der Glieder der Composition ein beinahe unbedingt erforderliches
Gegenstück zu der Figur des Argos. Man wird daher voraussetzen müssen,
daß in der Originalcomposition Hermes beigefügt war, daß diese Figur da¬
gegen von den campanischen Wandmalern zum Nachtheil der Composition
ausgelassen wurde.

Besonders bequeme Füllfiguren waren die Personifikationen von Natur¬
gegenständen, namentlich der Bergwarten, welche ihrem Charakter gemäß bei
jeder nicht allzubewegten Handlung, die in freier Natur vorging, am Platze
waren. Ihre Anwendung läßt sich der der loci ovmmuueL in der Rhetorik
vergleichen. Eine ganze Ruhe von Compositionen, Ganymedes schlafend,
Adonis in Liebesvereinigung mit Aphrodite und andere, finden sich bald
mit, bald ohne diese Figuren dargestellt. Stets jedoch haben die campanischen
Wandmaler ein richtiges Verständniß für den Charakter dieser Personifikationen
bewahrt. Entsprechend der Ruhe der ewigen Natur, aus deren Bereiche sie
entlehnt sind, werden sie stets in gehaltener Weise dargestellt, und wohnen sie
nur solchen Scenen bei, wo die handelnden Personen mehr oder minder im
Einklange mit sich selbst und mit der Außenwelt auftreten, dergestalt, daß die
Naturpersonification nicht im Widerspruche, sondern in vollendeter Ueber¬
einstimmung zu der Scene steht, der sie beigefügt ist.

Es bleibt uns schließlich noch übrig, einen Blick zu werfen auf die
Auswahl, welche die Wandmaler innerhalb der Schöpfungen der hellenisti¬
schen Kunst zum Zwecke der Reproduction in ihrer Kunstübung trafen,
— eine Auswahl, die natürlich nicht unmittelbar von den campanischen
Wandmalern ausging, sondern ohne Zweifel an größeren künstlerischen Mittel-
Punkten, vermuthlich besonders in Rom, typische Gestaltung gefunden haben
Wird. Die Gesichtspunkte, welche hierbei maßgebend wirkten, waren einer¬
seits technischer Art und stehen im engsten Zusammenhange mit dem von
mir im Anfange dieses Aussatzes Auseinandergesetzten. Die Art der Technik
stand der Reproduction von Werken im Wege, bei denen die virtuose Durch¬
führung schwer in das Gewicht fiel. Die Anmuth der Bilder des Apelles
mit ihren eoloristischen Feinheiten konnte in der Frescomalerei auch nicht
annähernd zum Ausdruck gebracht werden. Wir finden daher keine seiner
Compositionen in der Wandmalerei wiederholt, es sei denn, daß eine hercu-
laner Architecturmalerei eine Reminiscenz von seiner Aphrodite Anadyomene


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[0299] Argos ganz der der pompeianischen Figuren entsprechend, fügt jedoch links Hermes bei. welcher, auf Befreiung des Mädchens bedacht und die Situation Prüfend, herantritt. Durch die Gegenwart des Gottes gewinnt die Com¬ position innerlich wie äußerlich. Der Betrachter wird durch dieselbe über die dargestellte Situation hinaus auf das Fortschreiten der Handlung hin¬ gewiesen. Andererseits bildet die Figur des Hermes in der äußeren Anord¬ nung der Glieder der Composition ein beinahe unbedingt erforderliches Gegenstück zu der Figur des Argos. Man wird daher voraussetzen müssen, daß in der Originalcomposition Hermes beigefügt war, daß diese Figur da¬ gegen von den campanischen Wandmalern zum Nachtheil der Composition ausgelassen wurde. Besonders bequeme Füllfiguren waren die Personifikationen von Natur¬ gegenständen, namentlich der Bergwarten, welche ihrem Charakter gemäß bei jeder nicht allzubewegten Handlung, die in freier Natur vorging, am Platze waren. Ihre Anwendung läßt sich der der loci ovmmuueL in der Rhetorik vergleichen. Eine ganze Ruhe von Compositionen, Ganymedes schlafend, Adonis in Liebesvereinigung mit Aphrodite und andere, finden sich bald mit, bald ohne diese Figuren dargestellt. Stets jedoch haben die campanischen Wandmaler ein richtiges Verständniß für den Charakter dieser Personifikationen bewahrt. Entsprechend der Ruhe der ewigen Natur, aus deren Bereiche sie entlehnt sind, werden sie stets in gehaltener Weise dargestellt, und wohnen sie nur solchen Scenen bei, wo die handelnden Personen mehr oder minder im Einklange mit sich selbst und mit der Außenwelt auftreten, dergestalt, daß die Naturpersonification nicht im Widerspruche, sondern in vollendeter Ueber¬ einstimmung zu der Scene steht, der sie beigefügt ist. Es bleibt uns schließlich noch übrig, einen Blick zu werfen auf die Auswahl, welche die Wandmaler innerhalb der Schöpfungen der hellenisti¬ schen Kunst zum Zwecke der Reproduction in ihrer Kunstübung trafen, — eine Auswahl, die natürlich nicht unmittelbar von den campanischen Wandmalern ausging, sondern ohne Zweifel an größeren künstlerischen Mittel- Punkten, vermuthlich besonders in Rom, typische Gestaltung gefunden haben Wird. Die Gesichtspunkte, welche hierbei maßgebend wirkten, waren einer¬ seits technischer Art und stehen im engsten Zusammenhange mit dem von mir im Anfange dieses Aussatzes Auseinandergesetzten. Die Art der Technik stand der Reproduction von Werken im Wege, bei denen die virtuose Durch¬ führung schwer in das Gewicht fiel. Die Anmuth der Bilder des Apelles mit ihren eoloristischen Feinheiten konnte in der Frescomalerei auch nicht annähernd zum Ausdruck gebracht werden. Wir finden daher keine seiner Compositionen in der Wandmalerei wiederholt, es sei denn, daß eine hercu- laner Architecturmalerei eine Reminiscenz von seiner Aphrodite Anadyomene

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_123619/299>, abgerufen am 01.09.2024.