Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, I. Semester. II. Band.keit von einem gemeinsamen Original unzweifelhaft ist. Somit ergibt sich, Doch ich fürchte, daß ich durch diese Auseinandersetzung die Geduld der 37*
keit von einem gemeinsamen Original unzweifelhaft ist. Somit ergibt sich, Doch ich fürchte, daß ich durch diese Auseinandersetzung die Geduld der 37*
<TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0297" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/123917"/> <p xml:id="ID_900" prev="#ID_899"> keit von einem gemeinsamen Original unzweifelhaft ist. Somit ergibt sich,<lb/> daß die in den pompeianischen Bildern vorliegende Composition in der That<lb/> ein Element aus der Schöpfung des Timomachos entlehnt hat. Die Gruppe<lb/> der gefangenen Jünglinge ist aus derselben herausgelöst und in einen an¬<lb/> deren Zusammenhang übertragen: die Gefangenen befinden sich nicht vor<lb/> Jphigeneia, wie es auf dem Bilde des Timomachos der Fall gewesen war,<lb/> sondern vor Thoas, während Jphigeneia im Hintergrunde die Tempeltreppe<lb/> herabschreitet, ohne noch einen hervortretenden Antheil an der Handlung zu<lb/> nehmen. Die Vereinigung der von Timomachos entlehnten Gruppe mit den<lb/> Elementen, in welche dieselbe übertragen wurde, ist so geschickt und glücklich<lb/> zu Stande gebracht, daß die aus verschiedenen Bestandtheilen zusammengesetzte<lb/> Composition in jeder Hinsicht als wohl zusammenhängendes und organisch<lb/> abgeschlossenes Ganze erscheint. Fragen wir darnach, wann und wo diese<lb/> Zusammenarbeitung verschiedener künstlerischer Motive zu einer Neubildung<lb/> stattfand, so können wir in diesem Falle soviel mit Sicherheit beantwor¬<lb/> ten, daß es nicht die campanischen Wandmaler waren, die diesen in seiner<lb/> Art vollendeten Synkretismus gestalteten. Die Composition der pompeiani-<lb/> schen Wandbilder kehrt nämlich mit geringen Modifikationen, die sich außer¬<lb/> dem alle aus den verschiedenen Bedingungen der Reliefdarstellung ableiten<lb/> lassen, auf einem in Ostia gefundenen und gegenwärtig im Berliner Museum<lb/> befindlichen Sarkophage wieder. Da es ein sonderbarer Zufall gewesen wäre,<lb/> wenn der Sarkophagarbeiter gerade eine in einer campanischen Landstadt<lb/> locale Composition zum Muster genommen hätte, so werden wir zu der An¬<lb/> sicht geführt, daß den Wandgemälden wie der Sarkophagdarstellung ein ge¬<lb/> meinsames Original zu Grunde liegt, welches an irgendwelchem bedeutenden<lb/> künstlerischen Centrum entstand und von dort aus seinen Einfluß gel¬<lb/> tend machte.</p><lb/> <p xml:id="ID_901" next="#ID_902"> Doch ich fürchte, daß ich durch diese Auseinandersetzung die Geduld der<lb/> Leser ermüdet und die diesem Aufsatze zugemessenen Grenzen überschritten<lb/> habe. Nichtsdestoweniger habe ich sie nicht unterdrückt, da in diesem Falle<lb/> hinreichendes Material zur Kenntniß des Sachverhalts vorlag. Aehnliche<lb/> Erscheinungen bieten uns mannigfache andere campanische Btlderserien. Ich<lb/> erinnere an die Gemälde, welche Hippolytos und Phaidra darstellen. Die<lb/> Figur des Hippolytos kehrt auf mehreren Bildern, welche die übrigen han¬<lb/> delnden Personen in ganz verschiedener Weise darstellen, so entsprechend com-<lb/> ponirt wieder, daß es keinem Zweifel unterliegen kann, daß ihr allenthalben<lb/> dasselbe Original zu Grunde liegt. Also ist auch hier eine Figur aus der<lb/> Composition, für welche sie ursprünglich erfunden war, herausgelöst und in<lb/> einen anderen Zusammenhang übertragen. Aehnliches ergibt sich aus der<lb/> Untersuchung der Bilder, welche das Opfer der Jphigeneia darstellen, wo in</p><lb/> <fw type="sig" place="bottom"> 37*</fw><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0297]
keit von einem gemeinsamen Original unzweifelhaft ist. Somit ergibt sich,
daß die in den pompeianischen Bildern vorliegende Composition in der That
ein Element aus der Schöpfung des Timomachos entlehnt hat. Die Gruppe
der gefangenen Jünglinge ist aus derselben herausgelöst und in einen an¬
deren Zusammenhang übertragen: die Gefangenen befinden sich nicht vor
Jphigeneia, wie es auf dem Bilde des Timomachos der Fall gewesen war,
sondern vor Thoas, während Jphigeneia im Hintergrunde die Tempeltreppe
herabschreitet, ohne noch einen hervortretenden Antheil an der Handlung zu
nehmen. Die Vereinigung der von Timomachos entlehnten Gruppe mit den
Elementen, in welche dieselbe übertragen wurde, ist so geschickt und glücklich
zu Stande gebracht, daß die aus verschiedenen Bestandtheilen zusammengesetzte
Composition in jeder Hinsicht als wohl zusammenhängendes und organisch
abgeschlossenes Ganze erscheint. Fragen wir darnach, wann und wo diese
Zusammenarbeitung verschiedener künstlerischer Motive zu einer Neubildung
stattfand, so können wir in diesem Falle soviel mit Sicherheit beantwor¬
ten, daß es nicht die campanischen Wandmaler waren, die diesen in seiner
Art vollendeten Synkretismus gestalteten. Die Composition der pompeiani-
schen Wandbilder kehrt nämlich mit geringen Modifikationen, die sich außer¬
dem alle aus den verschiedenen Bedingungen der Reliefdarstellung ableiten
lassen, auf einem in Ostia gefundenen und gegenwärtig im Berliner Museum
befindlichen Sarkophage wieder. Da es ein sonderbarer Zufall gewesen wäre,
wenn der Sarkophagarbeiter gerade eine in einer campanischen Landstadt
locale Composition zum Muster genommen hätte, so werden wir zu der An¬
sicht geführt, daß den Wandgemälden wie der Sarkophagdarstellung ein ge¬
meinsames Original zu Grunde liegt, welches an irgendwelchem bedeutenden
künstlerischen Centrum entstand und von dort aus seinen Einfluß gel¬
tend machte.
Doch ich fürchte, daß ich durch diese Auseinandersetzung die Geduld der
Leser ermüdet und die diesem Aufsatze zugemessenen Grenzen überschritten
habe. Nichtsdestoweniger habe ich sie nicht unterdrückt, da in diesem Falle
hinreichendes Material zur Kenntniß des Sachverhalts vorlag. Aehnliche
Erscheinungen bieten uns mannigfache andere campanische Btlderserien. Ich
erinnere an die Gemälde, welche Hippolytos und Phaidra darstellen. Die
Figur des Hippolytos kehrt auf mehreren Bildern, welche die übrigen han¬
delnden Personen in ganz verschiedener Weise darstellen, so entsprechend com-
ponirt wieder, daß es keinem Zweifel unterliegen kann, daß ihr allenthalben
dasselbe Original zu Grunde liegt. Also ist auch hier eine Figur aus der
Composition, für welche sie ursprünglich erfunden war, herausgelöst und in
einen anderen Zusammenhang übertragen. Aehnliches ergibt sich aus der
Untersuchung der Bilder, welche das Opfer der Jphigeneia darstellen, wo in
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