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Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, I. Semester. II. Band.

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nüaneirt, selbst die Vertiefung der Gründe angestrebt, wiewohl hier die
Technik den Maler nicht zu der Durchbildung gelangen ließ, die den Origi¬
nalen abzusprechen durchaus kein Grund vorliegt. So bilden diese vier
Bilder gewissermaßen ein Zwischenglied zwischen dem gewöhnlichen decorativ
behandelten Wandbilde und dem sorgfaltig durchgeführten Staffeleibtlde und
sind sie stets in erster Linie in Betracht zu ziehen, wenn es gilt, sich einen
Begriff zu machen von der zu vollständiger Freiheit gediehenen antiken Ma¬
lerei als Kunst im höheren Sinne des Wortes. Wie hoch man bereits im
Alterthume diese Bilder schätzte, bezeugt auf das schlagendste der Umstand,
daß sie aus der Wand, auf welcher sie ursprünglich gemalt waren, heraus¬
geschnitten wurden, um in eine andere Wand eingelassen zu werden. Man
fand sie in Herculaneum in einem mit feinem weißem Stuck bedeckten Zimmer
gegen die Wand angelehnt. Offenbar sollten sie in die Wände dieses Zim¬
mers eingelassen werden, als die unerwartete Katastrophe des Ausbruchs des
Vesuvs erfolgte.

An dieser Stelle kann ich nicht umhin auch auf den Zusammenhang hin¬
zuweisen, in welchem die durch gemalte Rahmen abgegrenzten Bilder zu der
gesammten Wanddecoration stehen. Diese nicht in den campanischen Städten
übliche Wanddecoration kam, wie ich anderswo nachgewiesen habe, in helle¬
nistischer Epoche zu systematischer Ausbildung. Ursprünglich waren es wirk¬
liche Tafelbilder, welche als Mittelpunkte der in Felder getheilten Wand an¬
gebracht wurden. Später griff die Frescomalerei dieses Motiv aus, ersetzte
die wirklichen Tafelbilder durch auf den Frescogrund nachgeahmte und stellte
die früher aus verschiedenen Elementen zusammengesetzte Wanddecoration durch
ihre Technik allein her. Dieses zweite Stadium der Entwikelung der helle¬
nistischen Decorationsweise ist es, welches uns in den campanischen Städten
entgegentritt. Nachdem sich vermöge der Herstellung durch die Frescotechnik
diese Decorationsweise zu einem einheitlichen Ganzen ausgebildet hatte,
lag es ganz in dem Geiste der classischen Kunst, daß man darnach strebte,
die einzelnen Theile in organischer Weise dem Ganzen unterzuordnen und so
eine einheitliche Wirkung zu erzielen. Daß dies unter Umständen geschah,
davon zeugen Beobachtungen, die sich bei Vergleichung des Colorits der die
Mittelpunkte der Wandfelder bildenden Gemälde und der Farbe der betreffen¬
den Wand ergeben haben. Ist z. B. die Wand roth gemalt, dann hat das
Mittelbild in der Regel ein leuchtendes Colorit und herrscht vielfach, nament¬
lich in den Schatten, ein röthlicher Ton vor. Bei einer dunklen, etwa schwarzen
Farbe der Wand pflegt auch das Mittelbild in einer stumpfen Farbenscala
gehalten zu sein. Leider sind diese Beobachtungen bei den vielfachen Schwierig¬
keiten, denen sie unterliegen, bis jetzt nur sehr vereinzelt angestellt worden.
Da die atmosphärische Luft vielfach auf die Farben der Wände wirkt, und da


nüaneirt, selbst die Vertiefung der Gründe angestrebt, wiewohl hier die
Technik den Maler nicht zu der Durchbildung gelangen ließ, die den Origi¬
nalen abzusprechen durchaus kein Grund vorliegt. So bilden diese vier
Bilder gewissermaßen ein Zwischenglied zwischen dem gewöhnlichen decorativ
behandelten Wandbilde und dem sorgfaltig durchgeführten Staffeleibtlde und
sind sie stets in erster Linie in Betracht zu ziehen, wenn es gilt, sich einen
Begriff zu machen von der zu vollständiger Freiheit gediehenen antiken Ma¬
lerei als Kunst im höheren Sinne des Wortes. Wie hoch man bereits im
Alterthume diese Bilder schätzte, bezeugt auf das schlagendste der Umstand,
daß sie aus der Wand, auf welcher sie ursprünglich gemalt waren, heraus¬
geschnitten wurden, um in eine andere Wand eingelassen zu werden. Man
fand sie in Herculaneum in einem mit feinem weißem Stuck bedeckten Zimmer
gegen die Wand angelehnt. Offenbar sollten sie in die Wände dieses Zim¬
mers eingelassen werden, als die unerwartete Katastrophe des Ausbruchs des
Vesuvs erfolgte.

An dieser Stelle kann ich nicht umhin auch auf den Zusammenhang hin¬
zuweisen, in welchem die durch gemalte Rahmen abgegrenzten Bilder zu der
gesammten Wanddecoration stehen. Diese nicht in den campanischen Städten
übliche Wanddecoration kam, wie ich anderswo nachgewiesen habe, in helle¬
nistischer Epoche zu systematischer Ausbildung. Ursprünglich waren es wirk¬
liche Tafelbilder, welche als Mittelpunkte der in Felder getheilten Wand an¬
gebracht wurden. Später griff die Frescomalerei dieses Motiv aus, ersetzte
die wirklichen Tafelbilder durch auf den Frescogrund nachgeahmte und stellte
die früher aus verschiedenen Elementen zusammengesetzte Wanddecoration durch
ihre Technik allein her. Dieses zweite Stadium der Entwikelung der helle¬
nistischen Decorationsweise ist es, welches uns in den campanischen Städten
entgegentritt. Nachdem sich vermöge der Herstellung durch die Frescotechnik
diese Decorationsweise zu einem einheitlichen Ganzen ausgebildet hatte,
lag es ganz in dem Geiste der classischen Kunst, daß man darnach strebte,
die einzelnen Theile in organischer Weise dem Ganzen unterzuordnen und so
eine einheitliche Wirkung zu erzielen. Daß dies unter Umständen geschah,
davon zeugen Beobachtungen, die sich bei Vergleichung des Colorits der die
Mittelpunkte der Wandfelder bildenden Gemälde und der Farbe der betreffen¬
den Wand ergeben haben. Ist z. B. die Wand roth gemalt, dann hat das
Mittelbild in der Regel ein leuchtendes Colorit und herrscht vielfach, nament¬
lich in den Schatten, ein röthlicher Ton vor. Bei einer dunklen, etwa schwarzen
Farbe der Wand pflegt auch das Mittelbild in einer stumpfen Farbenscala
gehalten zu sein. Leider sind diese Beobachtungen bei den vielfachen Schwierig¬
keiten, denen sie unterliegen, bis jetzt nur sehr vereinzelt angestellt worden.
Da die atmosphärische Luft vielfach auf die Farben der Wände wirkt, und da


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_123619/290>, abgerufen am 01.09.2024.