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Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, I. Semester. II. Band.

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unvermeidlich geworden war, man war auch auf verschiedene Möglichkeiten
gefaßt, entweder Nachgiebigkeit gegen die Kammermehrheit, oder entschlossenes
Festhalten an der Wehrverfassung; der Kriegsminister oder seine College",
so schien die Frage gestellt. Daß es aber gelingen werde, eine Combination
zu finden, welche -- wenn auch vielleicht nur auf kurze Zeit -- den wider¬
streitenden Interessen gleichzeitig Rechnung trägt und den Kampf neutrali-
sirt, bevor er noch ausgebrochen, darauf war Niemand gefaßt. Denn um es
kurz zu sagen, die Bedeutung des Ministerwechsels ist die: Nachgiebigkeit
gegen die militärisch-finanziellen Forderungen der "patriotischen" Kammer¬
mehrheit, aber zugleich energische Betonung eines bundesfreundlichen Ver¬
hältnisses zu Preußen. Rücktritt des Kriegsministers Frhrn. v. Wagner, aber
zugleich entschiedene Front gegen die Demokratie.

Ein Entgegenkommen in der Militärsrage war allerdings nicht zu ver¬
meiden, wenn man nicht zur sofortigen Auflösung der Kammer schreiten
wollte, und diese verbot sich im jetzigen Augenblick aus triftigen Gründen.
Die demokratische Agitation, von welcher man in den letzten Monaten das
Land unterwühlen ließ, machte den Gedanken einer Appellation an das all-
gemeine Stimmrecht unmöglich. Ebendies aber mußte endlich auch zu der
Erwägung führen, welche Verheerung diese Agitation in der öffentlichen Mei¬
nung des Landes angerichtet hat. Es galt, einen Damm gegen die hoch-
gestiegenen Fluthen der Demokratie aufzuwerfen. Indem man der nahenden
See ein Opfer hinwarf, war man zugleich eine Garantie schuldig für den
konservativen Theil der Bevölkerung, dem allmälig fatale Erinnerungen an
den Sommer 1849 aufstiegen, und welcher die Sorglosigkeit des Ministeriums
keineswegs theilte. Dies war die Rücksicht nach innen. Und nach außen
durfte die Entscheidung nicht ein preußenfeindliches Gesicht tragen. Daran
hielt der König, wie mannigfache Einflüsse ihn auch umgaben, jederzeit fest.
Für ihn war dies geradezu das oberste Interesse in der ganzen Krisis. und
er hat dabei eine Willenskraft an den Tag gelegt, die man an ihm nicht
gewohnt ist. Auch der Schein, als wolle man sich den Verpflichtungen des
Allianzvertrages entziehen. sollte vermieden werden. Entschloß man sich zu
Modificationen in den Heereseinrichtungen, so dursten sie nur von einem
Mann in die Hand genommen werden, dessen Name jeden Gedanken einer
feindseligen Wendung gegen den norddeutschen Bund ausschloß. Aus dieser
doppelten Rücksicht nach innen und nach außen sind die eingetretenen Per¬
sonalveränderungen zu beurtheilen.

Herbeigeführt wurde die Krisis durch einen Antrag von 45 theils der
Partei der Großdeutschen (Patrioten), theils der Volkspartei angehörigen
Abgeordneten, der. ohne die utopistischen Forderungen des eigentlichen Pro-
gramms der Volkspartet zu adoptiren. nur im Allgemeinen Ersparnisse im


unvermeidlich geworden war, man war auch auf verschiedene Möglichkeiten
gefaßt, entweder Nachgiebigkeit gegen die Kammermehrheit, oder entschlossenes
Festhalten an der Wehrverfassung; der Kriegsminister oder seine College«,
so schien die Frage gestellt. Daß es aber gelingen werde, eine Combination
zu finden, welche — wenn auch vielleicht nur auf kurze Zeit — den wider¬
streitenden Interessen gleichzeitig Rechnung trägt und den Kampf neutrali-
sirt, bevor er noch ausgebrochen, darauf war Niemand gefaßt. Denn um es
kurz zu sagen, die Bedeutung des Ministerwechsels ist die: Nachgiebigkeit
gegen die militärisch-finanziellen Forderungen der „patriotischen" Kammer¬
mehrheit, aber zugleich energische Betonung eines bundesfreundlichen Ver¬
hältnisses zu Preußen. Rücktritt des Kriegsministers Frhrn. v. Wagner, aber
zugleich entschiedene Front gegen die Demokratie.

Ein Entgegenkommen in der Militärsrage war allerdings nicht zu ver¬
meiden, wenn man nicht zur sofortigen Auflösung der Kammer schreiten
wollte, und diese verbot sich im jetzigen Augenblick aus triftigen Gründen.
Die demokratische Agitation, von welcher man in den letzten Monaten das
Land unterwühlen ließ, machte den Gedanken einer Appellation an das all-
gemeine Stimmrecht unmöglich. Ebendies aber mußte endlich auch zu der
Erwägung führen, welche Verheerung diese Agitation in der öffentlichen Mei¬
nung des Landes angerichtet hat. Es galt, einen Damm gegen die hoch-
gestiegenen Fluthen der Demokratie aufzuwerfen. Indem man der nahenden
See ein Opfer hinwarf, war man zugleich eine Garantie schuldig für den
konservativen Theil der Bevölkerung, dem allmälig fatale Erinnerungen an
den Sommer 1849 aufstiegen, und welcher die Sorglosigkeit des Ministeriums
keineswegs theilte. Dies war die Rücksicht nach innen. Und nach außen
durfte die Entscheidung nicht ein preußenfeindliches Gesicht tragen. Daran
hielt der König, wie mannigfache Einflüsse ihn auch umgaben, jederzeit fest.
Für ihn war dies geradezu das oberste Interesse in der ganzen Krisis. und
er hat dabei eine Willenskraft an den Tag gelegt, die man an ihm nicht
gewohnt ist. Auch der Schein, als wolle man sich den Verpflichtungen des
Allianzvertrages entziehen. sollte vermieden werden. Entschloß man sich zu
Modificationen in den Heereseinrichtungen, so dursten sie nur von einem
Mann in die Hand genommen werden, dessen Name jeden Gedanken einer
feindseligen Wendung gegen den norddeutschen Bund ausschloß. Aus dieser
doppelten Rücksicht nach innen und nach außen sind die eingetretenen Per¬
sonalveränderungen zu beurtheilen.

Herbeigeführt wurde die Krisis durch einen Antrag von 45 theils der
Partei der Großdeutschen (Patrioten), theils der Volkspartei angehörigen
Abgeordneten, der. ohne die utopistischen Forderungen des eigentlichen Pro-
gramms der Volkspartet zu adoptiren. nur im Allgemeinen Ersparnisse im


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_123619/29>, abgerufen am 18.12.2024.