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Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, I. Semester. II. Band.

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von Leibniz mit Entrüstung als unverschämt und unannehmbar zurückge¬
wiesen und erklärt, daß ohne Rückkehr auf den Stand des westfälischen
Friedens, d. h. ohne volle Rückgabe von Straßburg. Elsaß und Lothringen
weder Ruhe noch Sicherheit zu hoffen sei.

Immer brennender wird die Frage, ob der Kaiser den Krieg fortsetzen
oder dem Frieden sich bequemen solle. Mit großer Umsicht wird sie von
Leibniz in einer neuen Schrift erörtert: "eollsiäsratious relatives Z, Ja>
on s, 1a Zuerre". Die Sachen -- muß er bekennen -- stehen verzweifelt,
und die Hauptsache ist, sich für bessere Zeiten zu erhalten. So könnte also
der Kaiser wohl abschließen, aber ohne irgendwie auf seine Ansprüche zu ver-
zichten. Der Friede wäre dann eine Art Waffenruhe, und neue Wechsel-
fälle könnten bei dem Uebermuth Frankreichs nicht ausbleiben. Allein vor
Abschluß eines so bedenklichen Friedens sei ernstlich zu erwägen, ob man
nicht doch stark genug sei. den Krieg fortzusetzen. Abgesehen vom Länder¬
verlust sei das schmählichste, daß Frankreich in Sachen der Kurfürsten von
Köln und Bayern (deren Wiedereinsetzung es verlangte) sich erlaube in innere
Reichsangelegenheiten sich zu mischen. Solches zu dulden wäre eine Schmach
für das ganze deutsche Volk, welches Jedermann verächtlich werden muß.
wenn es sich das gefallen läßt. Dieser Punkt gerade könne in Schriften und
Reden gar nicht oft genug gepredigt werden, um die stumpfsinnigen und
' trägen Geister aufzurütteln. Allein um sich dem widersetzen zu können, sei
nöthig, daß das Reich seine volle Kraft aufbiete, zuverlässige Bundesgenossen
gewinne u. s. w.

Es sollte noch schlimmer kommen. In den Friedensverhandlungen, die
zu Rastadt begannen, stellte das zum vollen alten Uebermuth zurückgekehrte
Frankreich noch viel ungünstigere Bedingungen, als zu Utrecht. Und noch
einmal stemmt sich Leibniz gegen den Abschluß in einer Schrift voll bitterer
Kraft und Leidenschaft: "(ZousMratioiis sur la xaix qui se traite a Rastaüt".
Und als der Kaiser (ohne das Reich) im März 1714 seinen Frieden gemacht,
ruhte Leibniz nicht, um wenigstens noch den Frieden des Reichs zu Baden
zu hintertreiben. Er dachte dabei besonders an die in allernächster Aussicht
stehende Erhebung des Hauses Hannover auf den englischen Thron und den
zu hoffenden Umschlag der englischen Politik. Allein noch im September
desselben Jahres kam der Friede von Baden zu Stande, der das Reich für
immer auf die Grenze des Ryßwicker Friedens zurückwarf.

Damit schloß die eigentlich politische Thätigkeit Leibnizens ab. Rastlos
hätte er für Deutschland gestritten, als Agitator für das Volk, als Rath¬
geber für die Fürsten, beseelt von einem reinen Gefühl für die nationale
Ehre, und doch immer umsichtig das Mögliche erwägend, in seinem unver¬
drossenen Eifer fast allein stehend, mit klarem Blick in die Schäden des Reichs.


von Leibniz mit Entrüstung als unverschämt und unannehmbar zurückge¬
wiesen und erklärt, daß ohne Rückkehr auf den Stand des westfälischen
Friedens, d. h. ohne volle Rückgabe von Straßburg. Elsaß und Lothringen
weder Ruhe noch Sicherheit zu hoffen sei.

Immer brennender wird die Frage, ob der Kaiser den Krieg fortsetzen
oder dem Frieden sich bequemen solle. Mit großer Umsicht wird sie von
Leibniz in einer neuen Schrift erörtert: „eollsiäsratious relatives Z, Ja>
on s, 1a Zuerre". Die Sachen — muß er bekennen — stehen verzweifelt,
und die Hauptsache ist, sich für bessere Zeiten zu erhalten. So könnte also
der Kaiser wohl abschließen, aber ohne irgendwie auf seine Ansprüche zu ver-
zichten. Der Friede wäre dann eine Art Waffenruhe, und neue Wechsel-
fälle könnten bei dem Uebermuth Frankreichs nicht ausbleiben. Allein vor
Abschluß eines so bedenklichen Friedens sei ernstlich zu erwägen, ob man
nicht doch stark genug sei. den Krieg fortzusetzen. Abgesehen vom Länder¬
verlust sei das schmählichste, daß Frankreich in Sachen der Kurfürsten von
Köln und Bayern (deren Wiedereinsetzung es verlangte) sich erlaube in innere
Reichsangelegenheiten sich zu mischen. Solches zu dulden wäre eine Schmach
für das ganze deutsche Volk, welches Jedermann verächtlich werden muß.
wenn es sich das gefallen läßt. Dieser Punkt gerade könne in Schriften und
Reden gar nicht oft genug gepredigt werden, um die stumpfsinnigen und
' trägen Geister aufzurütteln. Allein um sich dem widersetzen zu können, sei
nöthig, daß das Reich seine volle Kraft aufbiete, zuverlässige Bundesgenossen
gewinne u. s. w.

Es sollte noch schlimmer kommen. In den Friedensverhandlungen, die
zu Rastadt begannen, stellte das zum vollen alten Uebermuth zurückgekehrte
Frankreich noch viel ungünstigere Bedingungen, als zu Utrecht. Und noch
einmal stemmt sich Leibniz gegen den Abschluß in einer Schrift voll bitterer
Kraft und Leidenschaft: „(ZousMratioiis sur la xaix qui se traite a Rastaüt".
Und als der Kaiser (ohne das Reich) im März 1714 seinen Frieden gemacht,
ruhte Leibniz nicht, um wenigstens noch den Frieden des Reichs zu Baden
zu hintertreiben. Er dachte dabei besonders an die in allernächster Aussicht
stehende Erhebung des Hauses Hannover auf den englischen Thron und den
zu hoffenden Umschlag der englischen Politik. Allein noch im September
desselben Jahres kam der Friede von Baden zu Stande, der das Reich für
immer auf die Grenze des Ryßwicker Friedens zurückwarf.

Damit schloß die eigentlich politische Thätigkeit Leibnizens ab. Rastlos
hätte er für Deutschland gestritten, als Agitator für das Volk, als Rath¬
geber für die Fürsten, beseelt von einem reinen Gefühl für die nationale
Ehre, und doch immer umsichtig das Mögliche erwägend, in seinem unver¬
drossenen Eifer fast allein stehend, mit klarem Blick in die Schäden des Reichs.


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[0027] von Leibniz mit Entrüstung als unverschämt und unannehmbar zurückge¬ wiesen und erklärt, daß ohne Rückkehr auf den Stand des westfälischen Friedens, d. h. ohne volle Rückgabe von Straßburg. Elsaß und Lothringen weder Ruhe noch Sicherheit zu hoffen sei. Immer brennender wird die Frage, ob der Kaiser den Krieg fortsetzen oder dem Frieden sich bequemen solle. Mit großer Umsicht wird sie von Leibniz in einer neuen Schrift erörtert: „eollsiäsratious relatives Z, Ja> on s, 1a Zuerre". Die Sachen — muß er bekennen — stehen verzweifelt, und die Hauptsache ist, sich für bessere Zeiten zu erhalten. So könnte also der Kaiser wohl abschließen, aber ohne irgendwie auf seine Ansprüche zu ver- zichten. Der Friede wäre dann eine Art Waffenruhe, und neue Wechsel- fälle könnten bei dem Uebermuth Frankreichs nicht ausbleiben. Allein vor Abschluß eines so bedenklichen Friedens sei ernstlich zu erwägen, ob man nicht doch stark genug sei. den Krieg fortzusetzen. Abgesehen vom Länder¬ verlust sei das schmählichste, daß Frankreich in Sachen der Kurfürsten von Köln und Bayern (deren Wiedereinsetzung es verlangte) sich erlaube in innere Reichsangelegenheiten sich zu mischen. Solches zu dulden wäre eine Schmach für das ganze deutsche Volk, welches Jedermann verächtlich werden muß. wenn es sich das gefallen läßt. Dieser Punkt gerade könne in Schriften und Reden gar nicht oft genug gepredigt werden, um die stumpfsinnigen und ' trägen Geister aufzurütteln. Allein um sich dem widersetzen zu können, sei nöthig, daß das Reich seine volle Kraft aufbiete, zuverlässige Bundesgenossen gewinne u. s. w. Es sollte noch schlimmer kommen. In den Friedensverhandlungen, die zu Rastadt begannen, stellte das zum vollen alten Uebermuth zurückgekehrte Frankreich noch viel ungünstigere Bedingungen, als zu Utrecht. Und noch einmal stemmt sich Leibniz gegen den Abschluß in einer Schrift voll bitterer Kraft und Leidenschaft: „(ZousMratioiis sur la xaix qui se traite a Rastaüt". Und als der Kaiser (ohne das Reich) im März 1714 seinen Frieden gemacht, ruhte Leibniz nicht, um wenigstens noch den Frieden des Reichs zu Baden zu hintertreiben. Er dachte dabei besonders an die in allernächster Aussicht stehende Erhebung des Hauses Hannover auf den englischen Thron und den zu hoffenden Umschlag der englischen Politik. Allein noch im September desselben Jahres kam der Friede von Baden zu Stande, der das Reich für immer auf die Grenze des Ryßwicker Friedens zurückwarf. Damit schloß die eigentlich politische Thätigkeit Leibnizens ab. Rastlos hätte er für Deutschland gestritten, als Agitator für das Volk, als Rath¬ geber für die Fürsten, beseelt von einem reinen Gefühl für die nationale Ehre, und doch immer umsichtig das Mögliche erwägend, in seinem unver¬ drossenen Eifer fast allein stehend, mit klarem Blick in die Schäden des Reichs.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_123619/27>, abgerufen am 18.12.2024.