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Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, I. Semester. II. Band.

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ihr die Barmherzigkeit erweise, die er an der Cisalpinischen Republik erwiesen
hat, und daß er selbst komme, alle Schweitzer, denen der Kopf nicht
wackelt und denen aliyuiä fällt in laevs, xarts marmllas, zu sich berufe und
einen Vicepräsidenten aus ihnen erwähle, der euch, unter seinen Befehlen,
regiere und mit dem Beistand einer hinlänglichen bewaffneten Macht, aller
Fehde, allen Factionen, Intriguen, Kabalen, Narrheiten und Teufeleien ein
Ende mache. An politische Selbständigkeit der Schweitz ist gar nicht mehr
zu gedenken; sich ihre rseuxeration nur träumen zu lassen, wäre das gröste
riäieule. ein wahrer Lalleburger Einfall: Helvezien, sowie die lombardische
und Batavische Republik sind nun einmal nichts als Vorstädte der großen
gallischen vivitas, können nichts andres mehr sein, und werden, so lange
diese dauert, nichts anderes werden. Dies ist mir so klar und evident als
daß kein Ich ohne ein Nicht-Ich seyn kann. Möge der Himmel den guten
schwerem soviel Erleuchtung geben, daß sie dies einsehen und sich ein für
allemahl mit guter Art in ihr Schicksal finden und fügen; denn das physisch
unmögliche kann nur ein Kindskopf oder ein Wahnsinniger bewirken wollen.

Was ich Dir schon mehr als Einmahl geschrieben habe, lieber L., muß ich
auch itzt wiederhohlen: ich wünsche herzlich, daß Du in der Schweitz möchtest
bleiben und einwurzeln können. Ich müßte mich sehr irren, oder Du längst
nirgends besser hin. Geht es aber nicht an, so komm immerhin aus den
Herbst wieder zu mir zurück, wiewohl ich in Deutschland keinen Ausweg für
Dich sehe. Für einige Zeit wirst Du Dich wenigstens um so eher bey mir
behelfen können, da ich hoffe und beynahe gewiß bin, daß'ein ganz anderes
Verhältniß zwischen uns Statt finden würde, als ehemals und daß Du mir
von großer ressouroe seyn würdest.

Der Tod Deiner Mutter hat einen unheilbaren Riß in meine Existenz
gemacht. Oßmannstädt ist nicht mehr für mich, was es war; mitten unter
den Meinigen fühle ich mich so allein, als in einer unbewohnten Insel und
bin es auch, ungeachtet alles guten Willens derer, die mich umgeben. Was ich
mit Deiner Mutter verloren habe, ist unsäglich und den meisten Leuten unbe¬
greiflich; ich müßte in Medeas Kessel regenerirt werden und von neuem zu
leben anfangen, wenn es mir sollte ersetzt werden können -- und wahrlich
auch dann müßte sie zugleich wieder aufleben und den Platz wieder bey mir
einnehmen, den keine andre ausfüllen kann. Von Grund aus ist mir also
freylich nicht zu helfen, aber gegen den traurigen Mangel eines Wesens um
mich her, dem ich mich mittheilen kann, würde der Umgang mit Dir, lieber L.,
ein für mich wohlthätiges Mittel seyn. Wahrscheinlich würde ich dann den
Plan, mit dem ich seit einiger Zeit umgehe, und dessen Realisirung alle meine
weimarischen Freunde mit großem Eifer betreiben, wenigstens auf ein Jahr
weiter hinaussetzen. Dieser Plan ist, das Gut zu O. dem E.....pachtweise


ihr die Barmherzigkeit erweise, die er an der Cisalpinischen Republik erwiesen
hat, und daß er selbst komme, alle Schweitzer, denen der Kopf nicht
wackelt und denen aliyuiä fällt in laevs, xarts marmllas, zu sich berufe und
einen Vicepräsidenten aus ihnen erwähle, der euch, unter seinen Befehlen,
regiere und mit dem Beistand einer hinlänglichen bewaffneten Macht, aller
Fehde, allen Factionen, Intriguen, Kabalen, Narrheiten und Teufeleien ein
Ende mache. An politische Selbständigkeit der Schweitz ist gar nicht mehr
zu gedenken; sich ihre rseuxeration nur träumen zu lassen, wäre das gröste
riäieule. ein wahrer Lalleburger Einfall: Helvezien, sowie die lombardische
und Batavische Republik sind nun einmal nichts als Vorstädte der großen
gallischen vivitas, können nichts andres mehr sein, und werden, so lange
diese dauert, nichts anderes werden. Dies ist mir so klar und evident als
daß kein Ich ohne ein Nicht-Ich seyn kann. Möge der Himmel den guten
schwerem soviel Erleuchtung geben, daß sie dies einsehen und sich ein für
allemahl mit guter Art in ihr Schicksal finden und fügen; denn das physisch
unmögliche kann nur ein Kindskopf oder ein Wahnsinniger bewirken wollen.

Was ich Dir schon mehr als Einmahl geschrieben habe, lieber L., muß ich
auch itzt wiederhohlen: ich wünsche herzlich, daß Du in der Schweitz möchtest
bleiben und einwurzeln können. Ich müßte mich sehr irren, oder Du längst
nirgends besser hin. Geht es aber nicht an, so komm immerhin aus den
Herbst wieder zu mir zurück, wiewohl ich in Deutschland keinen Ausweg für
Dich sehe. Für einige Zeit wirst Du Dich wenigstens um so eher bey mir
behelfen können, da ich hoffe und beynahe gewiß bin, daß'ein ganz anderes
Verhältniß zwischen uns Statt finden würde, als ehemals und daß Du mir
von großer ressouroe seyn würdest.

Der Tod Deiner Mutter hat einen unheilbaren Riß in meine Existenz
gemacht. Oßmannstädt ist nicht mehr für mich, was es war; mitten unter
den Meinigen fühle ich mich so allein, als in einer unbewohnten Insel und
bin es auch, ungeachtet alles guten Willens derer, die mich umgeben. Was ich
mit Deiner Mutter verloren habe, ist unsäglich und den meisten Leuten unbe¬
greiflich; ich müßte in Medeas Kessel regenerirt werden und von neuem zu
leben anfangen, wenn es mir sollte ersetzt werden können — und wahrlich
auch dann müßte sie zugleich wieder aufleben und den Platz wieder bey mir
einnehmen, den keine andre ausfüllen kann. Von Grund aus ist mir also
freylich nicht zu helfen, aber gegen den traurigen Mangel eines Wesens um
mich her, dem ich mich mittheilen kann, würde der Umgang mit Dir, lieber L.,
ein für mich wohlthätiges Mittel seyn. Wahrscheinlich würde ich dann den
Plan, mit dem ich seit einiger Zeit umgehe, und dessen Realisirung alle meine
weimarischen Freunde mit großem Eifer betreiben, wenigstens auf ein Jahr
weiter hinaussetzen. Dieser Plan ist, das Gut zu O. dem E.....pachtweise


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_123619/269>, abgerufen am 18.12.2024.