Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, I. Semester. II. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

flatterhafter Leichtsinn, der aus dem Sinn verliehrt, was ihm nicht mehr ins
Auge fällt; mich dünkt, es ist eine Eigenheit und Albernheit des Menschen
von Gefühl, daß sie es wo nicht gar verbergen, doch selten an das Tages¬
licht bringen; sie glauben zu fest an eine innere gleichsam angebohrne Sym¬
pathie, 'die ohne äußere Nahrung gleich lebendig fortglüht. Um mich in Ihr
Gedächtniß zurückzurufen, ist wohl nur ein Mittel übrig, nehmlich mich Ihnen
in Lebensgröße zu zeigen und Dank sey es der Güte meines Vaters, daß
es mit dieser Drohung wahrscheinlich Ernst werden wird.

Nur zwey Schwierigkeiten stehen diesem schönen Project in den Weg:
Ihre Genehmigung, bei Ihnen eine Zeitlang verweilen zu dürfen, und der
wieder auszubrechen drohende Krieg. Die zweyte ist die minder wichtige, da
ein so harmloses Geschöpf, wie ich. sich schmeicheln darf, unangefochten zu
bleiben und der Schlupfe und Nebenwege ja überall so viele sind, auch kann
der Krieg die Ausführung meines Planes nur eine kurze Zeit verzögern,
denn die eiserne Nothwendigkeit wird bald den ersehnten Frieden herbey-
bringen, den despotische Willkühr vergebens aufzuhalten sucht.

Von meinen Ideen und Wünschen mit Ihnen auch in mertantilischer
Hinsicht verbunden zu seyn, läßt sich besser mündlich reden, nur so viel möchte
ich bald erfahren, ob Sie etwa gesonnen sind, den Buchhandel ganz auf¬
zugeben? Zürich oder Bern ist, dünkt mich, der gelegenste Ort. von dem
aus eine Buchhandlung ihre Flügel über Deutschland. Frankreich. Italien
und England ausbreiten könnte. Das Gedeihen so vieler stupiden und un¬
wissenden Buchhändler läßt mich hoffen, daß man bey diesem Gewerb mit
etwas mehr Urtheilskraft und Bekanntschaft mit dem Geiste des Zeitalters
ein beträchtliches Glück machen könne. Ein Mann allein und wenn er auch
der thätigste und geschickteste wäre, kann von Zürich aus. wegen der Ent¬
fernung des Ortes seine Geschäfte nicht über das nördliche Deutschland aus¬
breiten, wo doch gegenwärtig am meisten gelesen und geschrieben wird, daher
wird ein Compagnon erfordert, der etwa in Leipzig ein Etablissement hätte
und dazu könnte ich mich bald tüchtig machen, wenn wir erst über den Plan
des Ganzen einig wären.

Aber wenn auch diese unreife jugendliche Idee nicht Ihren Beyfall er¬
halten sollte, so kann doch der Aufenthalt in Bern für mich sehr nützlich seyn,
weil er die beste Gelegenheit darbietet, sich die französische Sprache eigen zu
machen. Auf jeden Fall machen Sie und Ihre liebe Frau sich gefaßt, mich
bald an und auf dem Hals zu haben. Ich schließe diese Epistel, um mit
meiner geliebten Schwester noch ein Wenig vom Wiedersehen plaudern zu
können. Leben Sie recht wohl und schenken Sie mir bald einige Zeilen.


Von ganzem Herzen der Ihrige Louis Wieland.

flatterhafter Leichtsinn, der aus dem Sinn verliehrt, was ihm nicht mehr ins
Auge fällt; mich dünkt, es ist eine Eigenheit und Albernheit des Menschen
von Gefühl, daß sie es wo nicht gar verbergen, doch selten an das Tages¬
licht bringen; sie glauben zu fest an eine innere gleichsam angebohrne Sym¬
pathie, 'die ohne äußere Nahrung gleich lebendig fortglüht. Um mich in Ihr
Gedächtniß zurückzurufen, ist wohl nur ein Mittel übrig, nehmlich mich Ihnen
in Lebensgröße zu zeigen und Dank sey es der Güte meines Vaters, daß
es mit dieser Drohung wahrscheinlich Ernst werden wird.

Nur zwey Schwierigkeiten stehen diesem schönen Project in den Weg:
Ihre Genehmigung, bei Ihnen eine Zeitlang verweilen zu dürfen, und der
wieder auszubrechen drohende Krieg. Die zweyte ist die minder wichtige, da
ein so harmloses Geschöpf, wie ich. sich schmeicheln darf, unangefochten zu
bleiben und der Schlupfe und Nebenwege ja überall so viele sind, auch kann
der Krieg die Ausführung meines Planes nur eine kurze Zeit verzögern,
denn die eiserne Nothwendigkeit wird bald den ersehnten Frieden herbey-
bringen, den despotische Willkühr vergebens aufzuhalten sucht.

Von meinen Ideen und Wünschen mit Ihnen auch in mertantilischer
Hinsicht verbunden zu seyn, läßt sich besser mündlich reden, nur so viel möchte
ich bald erfahren, ob Sie etwa gesonnen sind, den Buchhandel ganz auf¬
zugeben? Zürich oder Bern ist, dünkt mich, der gelegenste Ort. von dem
aus eine Buchhandlung ihre Flügel über Deutschland. Frankreich. Italien
und England ausbreiten könnte. Das Gedeihen so vieler stupiden und un¬
wissenden Buchhändler läßt mich hoffen, daß man bey diesem Gewerb mit
etwas mehr Urtheilskraft und Bekanntschaft mit dem Geiste des Zeitalters
ein beträchtliches Glück machen könne. Ein Mann allein und wenn er auch
der thätigste und geschickteste wäre, kann von Zürich aus. wegen der Ent¬
fernung des Ortes seine Geschäfte nicht über das nördliche Deutschland aus¬
breiten, wo doch gegenwärtig am meisten gelesen und geschrieben wird, daher
wird ein Compagnon erfordert, der etwa in Leipzig ein Etablissement hätte
und dazu könnte ich mich bald tüchtig machen, wenn wir erst über den Plan
des Ganzen einig wären.

Aber wenn auch diese unreife jugendliche Idee nicht Ihren Beyfall er¬
halten sollte, so kann doch der Aufenthalt in Bern für mich sehr nützlich seyn,
weil er die beste Gelegenheit darbietet, sich die französische Sprache eigen zu
machen. Auf jeden Fall machen Sie und Ihre liebe Frau sich gefaßt, mich
bald an und auf dem Hals zu haben. Ich schließe diese Epistel, um mit
meiner geliebten Schwester noch ein Wenig vom Wiedersehen plaudern zu
können. Leben Sie recht wohl und schenken Sie mir bald einige Zeilen.


Von ganzem Herzen der Ihrige Louis Wieland.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0267" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/123887"/>
          <p xml:id="ID_821" prev="#ID_820"> flatterhafter Leichtsinn, der aus dem Sinn verliehrt, was ihm nicht mehr ins<lb/>
Auge fällt; mich dünkt, es ist eine Eigenheit und Albernheit des Menschen<lb/>
von Gefühl, daß sie es wo nicht gar verbergen, doch selten an das Tages¬<lb/>
licht bringen; sie glauben zu fest an eine innere gleichsam angebohrne Sym¬<lb/>
pathie, 'die ohne äußere Nahrung gleich lebendig fortglüht. Um mich in Ihr<lb/>
Gedächtniß zurückzurufen, ist wohl nur ein Mittel übrig, nehmlich mich Ihnen<lb/>
in Lebensgröße zu zeigen und Dank sey es der Güte meines Vaters, daß<lb/>
es mit dieser Drohung wahrscheinlich Ernst werden wird.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_822"> Nur zwey Schwierigkeiten stehen diesem schönen Project in den Weg:<lb/>
Ihre Genehmigung, bei Ihnen eine Zeitlang verweilen zu dürfen, und der<lb/>
wieder auszubrechen drohende Krieg. Die zweyte ist die minder wichtige, da<lb/>
ein so harmloses Geschöpf, wie ich. sich schmeicheln darf, unangefochten zu<lb/>
bleiben und der Schlupfe und Nebenwege ja überall so viele sind, auch kann<lb/>
der Krieg die Ausführung meines Planes nur eine kurze Zeit verzögern,<lb/>
denn die eiserne Nothwendigkeit wird bald den ersehnten Frieden herbey-<lb/>
bringen, den despotische Willkühr vergebens aufzuhalten sucht.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_823"> Von meinen Ideen und Wünschen mit Ihnen auch in mertantilischer<lb/>
Hinsicht verbunden zu seyn, läßt sich besser mündlich reden, nur so viel möchte<lb/>
ich bald erfahren, ob Sie etwa gesonnen sind, den Buchhandel ganz auf¬<lb/>
zugeben? Zürich oder Bern ist, dünkt mich, der gelegenste Ort. von dem<lb/>
aus eine Buchhandlung ihre Flügel über Deutschland. Frankreich. Italien<lb/>
und England ausbreiten könnte. Das Gedeihen so vieler stupiden und un¬<lb/>
wissenden Buchhändler läßt mich hoffen, daß man bey diesem Gewerb mit<lb/>
etwas mehr Urtheilskraft und Bekanntschaft mit dem Geiste des Zeitalters<lb/>
ein beträchtliches Glück machen könne. Ein Mann allein und wenn er auch<lb/>
der thätigste und geschickteste wäre, kann von Zürich aus. wegen der Ent¬<lb/>
fernung des Ortes seine Geschäfte nicht über das nördliche Deutschland aus¬<lb/>
breiten, wo doch gegenwärtig am meisten gelesen und geschrieben wird, daher<lb/>
wird ein Compagnon erfordert, der etwa in Leipzig ein Etablissement hätte<lb/>
und dazu könnte ich mich bald tüchtig machen, wenn wir erst über den Plan<lb/>
des Ganzen einig wären.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_824"> Aber wenn auch diese unreife jugendliche Idee nicht Ihren Beyfall er¬<lb/>
halten sollte, so kann doch der Aufenthalt in Bern für mich sehr nützlich seyn,<lb/>
weil er die beste Gelegenheit darbietet, sich die französische Sprache eigen zu<lb/>
machen. Auf jeden Fall machen Sie und Ihre liebe Frau sich gefaßt, mich<lb/>
bald an und auf dem Hals zu haben. Ich schließe diese Epistel, um mit<lb/>
meiner geliebten Schwester noch ein Wenig vom Wiedersehen plaudern zu<lb/>
können. Leben Sie recht wohl und schenken Sie mir bald einige Zeilen.</p><lb/>
          <note type="closer"> Von ganzem Herzen der Ihrige<note type="bibl"> Louis Wieland.</note></note><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0267] flatterhafter Leichtsinn, der aus dem Sinn verliehrt, was ihm nicht mehr ins Auge fällt; mich dünkt, es ist eine Eigenheit und Albernheit des Menschen von Gefühl, daß sie es wo nicht gar verbergen, doch selten an das Tages¬ licht bringen; sie glauben zu fest an eine innere gleichsam angebohrne Sym¬ pathie, 'die ohne äußere Nahrung gleich lebendig fortglüht. Um mich in Ihr Gedächtniß zurückzurufen, ist wohl nur ein Mittel übrig, nehmlich mich Ihnen in Lebensgröße zu zeigen und Dank sey es der Güte meines Vaters, daß es mit dieser Drohung wahrscheinlich Ernst werden wird. Nur zwey Schwierigkeiten stehen diesem schönen Project in den Weg: Ihre Genehmigung, bei Ihnen eine Zeitlang verweilen zu dürfen, und der wieder auszubrechen drohende Krieg. Die zweyte ist die minder wichtige, da ein so harmloses Geschöpf, wie ich. sich schmeicheln darf, unangefochten zu bleiben und der Schlupfe und Nebenwege ja überall so viele sind, auch kann der Krieg die Ausführung meines Planes nur eine kurze Zeit verzögern, denn die eiserne Nothwendigkeit wird bald den ersehnten Frieden herbey- bringen, den despotische Willkühr vergebens aufzuhalten sucht. Von meinen Ideen und Wünschen mit Ihnen auch in mertantilischer Hinsicht verbunden zu seyn, läßt sich besser mündlich reden, nur so viel möchte ich bald erfahren, ob Sie etwa gesonnen sind, den Buchhandel ganz auf¬ zugeben? Zürich oder Bern ist, dünkt mich, der gelegenste Ort. von dem aus eine Buchhandlung ihre Flügel über Deutschland. Frankreich. Italien und England ausbreiten könnte. Das Gedeihen so vieler stupiden und un¬ wissenden Buchhändler läßt mich hoffen, daß man bey diesem Gewerb mit etwas mehr Urtheilskraft und Bekanntschaft mit dem Geiste des Zeitalters ein beträchtliches Glück machen könne. Ein Mann allein und wenn er auch der thätigste und geschickteste wäre, kann von Zürich aus. wegen der Ent¬ fernung des Ortes seine Geschäfte nicht über das nördliche Deutschland aus¬ breiten, wo doch gegenwärtig am meisten gelesen und geschrieben wird, daher wird ein Compagnon erfordert, der etwa in Leipzig ein Etablissement hätte und dazu könnte ich mich bald tüchtig machen, wenn wir erst über den Plan des Ganzen einig wären. Aber wenn auch diese unreife jugendliche Idee nicht Ihren Beyfall er¬ halten sollte, so kann doch der Aufenthalt in Bern für mich sehr nützlich seyn, weil er die beste Gelegenheit darbietet, sich die französische Sprache eigen zu machen. Auf jeden Fall machen Sie und Ihre liebe Frau sich gefaßt, mich bald an und auf dem Hals zu haben. Ich schließe diese Epistel, um mit meiner geliebten Schwester noch ein Wenig vom Wiedersehen plaudern zu können. Leben Sie recht wohl und schenken Sie mir bald einige Zeilen. Von ganzem Herzen der Ihrige Louis Wieland.

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_123619
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_123619/267
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_123619/267>, abgerufen am 18.12.2024.