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Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, I. Semester. II. Band.

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merksam. Aber für den Theilungsplan war er nicht so bald wieder zu er¬
wärmen. Katharina mußte zunächst einseitig gegen die Pforte vorgehen.

Einige Wochen hindurch, während deren die Einverleibung der Krim
vorbereitet wurde, scheint der Briefwechsel gestockt zu haben. Denn am
7. April 1783 schreibt Katharina, die Intriguen der Pforte veranlaßten sie
zu einem entschiedeneren Vorgehen: sie lasse es auf einen Krieg ankommen,
sei aber nicht gesonnen, der östreichischen Monarchie im Falle eines solchen
Krieges zuzumuthen, daß dieselbe zur Aufrechterhaltung russischer Ansprüche
Opfer bringe. Rußland's Mittel würden dieses Mal ausreichen, die Pforte
zur Vernunft zu bringen. In einer für den Kaiser schmeichelhaften Wen¬
dung spricht Katharina indessen zum Schlüsse die Hoffnung aus, daß Joseph ,
dem Kampf nicht völlig fremd bleiben werde (S. 198). Gleich darauf erhielt
Joseph die officielle Mittheilung über die Besetzung der Krim und die Be¬
stätigung dieser Nachricht durch einen Privatbrief der Kaiserin.

Joseph hatte gegen dieses Ereigniß nichts einzuwenden. Jede Schmä-
lelung der Macht und des Einflusses der Türkei war ihm lieb. Würden
die Türken im Schwarzen Meere durch die russische Flotte in Schach ge¬
halten, so war um so weniger von ihnen für die östreichische Monarchie zu
fürchten. Hatte ferner Rußland gegenüber der Pforte einen solchen Vortheil
erhascht, so war es um so wahrscheinlicher, daß später oder früher auch die
östreichische Monarchie in ähnlicher Weise eine Vergrößerung erleben würde.
Das alte Band, welches die beiden Kaiserhofe vereinigt hatte, ward immer
stärker geschlungen durch die Aussicht auf solche Erwerbungen. In mehreren
Briefen dankt Katharina dem Kaiser für seine Haltung bei der Erwerbung
der Krim und immer wieder verspricht sie ihm zur Erlangung, ähnlicher Vor¬
theile für die östreichische Monarchie behilflich zu sein; sie warte nur auf eine
günstige Gelegenheit, sich dem Kaiser erkenntlich zu zeigen. Joseph unterläßt
nicht, jedesmal für eine solche Bereitwilligkeit seinen lebhaftesten Dank und
die Hoffnung auszusprechen, daß er später oder früher die Kaiserin werde
beim Worte nehmen können. Aus einem Handbillet an Kaunitz ist zu er¬
sehen, daß Joseph glaubte, die Kaiserin wolle ihm zu dem Besitz der Moldau
und Wallachei verhelfen. Die große Anstrengung, welche Katharina gleich
darauf machte, dem Kaiser beim Tauschproject und beim Scheldestreit zu
helfen, zeugt davon, daß Katharina in der That sich dem Kaiser verpflich-
tet fühlte.

Aus mehreren Briefen der Kaiserin geht hervor, daß sie den Ausbruch
eines Krieges mit der Pforte bei Gelegenheit der Erwerbung der Krim für
sehr wahrscheinlich hielt. Es kam indessen nicht sofort zum Kriege und Joseph
äußerte sich sehr zufrieden über die Erhaltung der Ruhe im Osten. Seine


Grenzboten II. 1870. 33

merksam. Aber für den Theilungsplan war er nicht so bald wieder zu er¬
wärmen. Katharina mußte zunächst einseitig gegen die Pforte vorgehen.

Einige Wochen hindurch, während deren die Einverleibung der Krim
vorbereitet wurde, scheint der Briefwechsel gestockt zu haben. Denn am
7. April 1783 schreibt Katharina, die Intriguen der Pforte veranlaßten sie
zu einem entschiedeneren Vorgehen: sie lasse es auf einen Krieg ankommen,
sei aber nicht gesonnen, der östreichischen Monarchie im Falle eines solchen
Krieges zuzumuthen, daß dieselbe zur Aufrechterhaltung russischer Ansprüche
Opfer bringe. Rußland's Mittel würden dieses Mal ausreichen, die Pforte
zur Vernunft zu bringen. In einer für den Kaiser schmeichelhaften Wen¬
dung spricht Katharina indessen zum Schlüsse die Hoffnung aus, daß Joseph ,
dem Kampf nicht völlig fremd bleiben werde (S. 198). Gleich darauf erhielt
Joseph die officielle Mittheilung über die Besetzung der Krim und die Be¬
stätigung dieser Nachricht durch einen Privatbrief der Kaiserin.

Joseph hatte gegen dieses Ereigniß nichts einzuwenden. Jede Schmä-
lelung der Macht und des Einflusses der Türkei war ihm lieb. Würden
die Türken im Schwarzen Meere durch die russische Flotte in Schach ge¬
halten, so war um so weniger von ihnen für die östreichische Monarchie zu
fürchten. Hatte ferner Rußland gegenüber der Pforte einen solchen Vortheil
erhascht, so war es um so wahrscheinlicher, daß später oder früher auch die
östreichische Monarchie in ähnlicher Weise eine Vergrößerung erleben würde.
Das alte Band, welches die beiden Kaiserhofe vereinigt hatte, ward immer
stärker geschlungen durch die Aussicht auf solche Erwerbungen. In mehreren
Briefen dankt Katharina dem Kaiser für seine Haltung bei der Erwerbung
der Krim und immer wieder verspricht sie ihm zur Erlangung, ähnlicher Vor¬
theile für die östreichische Monarchie behilflich zu sein; sie warte nur auf eine
günstige Gelegenheit, sich dem Kaiser erkenntlich zu zeigen. Joseph unterläßt
nicht, jedesmal für eine solche Bereitwilligkeit seinen lebhaftesten Dank und
die Hoffnung auszusprechen, daß er später oder früher die Kaiserin werde
beim Worte nehmen können. Aus einem Handbillet an Kaunitz ist zu er¬
sehen, daß Joseph glaubte, die Kaiserin wolle ihm zu dem Besitz der Moldau
und Wallachei verhelfen. Die große Anstrengung, welche Katharina gleich
darauf machte, dem Kaiser beim Tauschproject und beim Scheldestreit zu
helfen, zeugt davon, daß Katharina in der That sich dem Kaiser verpflich-
tet fühlte.

Aus mehreren Briefen der Kaiserin geht hervor, daß sie den Ausbruch
eines Krieges mit der Pforte bei Gelegenheit der Erwerbung der Krim für
sehr wahrscheinlich hielt. Es kam indessen nicht sofort zum Kriege und Joseph
äußerte sich sehr zufrieden über die Erhaltung der Ruhe im Osten. Seine


Grenzboten II. 1870. 33
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[0263] merksam. Aber für den Theilungsplan war er nicht so bald wieder zu er¬ wärmen. Katharina mußte zunächst einseitig gegen die Pforte vorgehen. Einige Wochen hindurch, während deren die Einverleibung der Krim vorbereitet wurde, scheint der Briefwechsel gestockt zu haben. Denn am 7. April 1783 schreibt Katharina, die Intriguen der Pforte veranlaßten sie zu einem entschiedeneren Vorgehen: sie lasse es auf einen Krieg ankommen, sei aber nicht gesonnen, der östreichischen Monarchie im Falle eines solchen Krieges zuzumuthen, daß dieselbe zur Aufrechterhaltung russischer Ansprüche Opfer bringe. Rußland's Mittel würden dieses Mal ausreichen, die Pforte zur Vernunft zu bringen. In einer für den Kaiser schmeichelhaften Wen¬ dung spricht Katharina indessen zum Schlüsse die Hoffnung aus, daß Joseph , dem Kampf nicht völlig fremd bleiben werde (S. 198). Gleich darauf erhielt Joseph die officielle Mittheilung über die Besetzung der Krim und die Be¬ stätigung dieser Nachricht durch einen Privatbrief der Kaiserin. Joseph hatte gegen dieses Ereigniß nichts einzuwenden. Jede Schmä- lelung der Macht und des Einflusses der Türkei war ihm lieb. Würden die Türken im Schwarzen Meere durch die russische Flotte in Schach ge¬ halten, so war um so weniger von ihnen für die östreichische Monarchie zu fürchten. Hatte ferner Rußland gegenüber der Pforte einen solchen Vortheil erhascht, so war es um so wahrscheinlicher, daß später oder früher auch die östreichische Monarchie in ähnlicher Weise eine Vergrößerung erleben würde. Das alte Band, welches die beiden Kaiserhofe vereinigt hatte, ward immer stärker geschlungen durch die Aussicht auf solche Erwerbungen. In mehreren Briefen dankt Katharina dem Kaiser für seine Haltung bei der Erwerbung der Krim und immer wieder verspricht sie ihm zur Erlangung, ähnlicher Vor¬ theile für die östreichische Monarchie behilflich zu sein; sie warte nur auf eine günstige Gelegenheit, sich dem Kaiser erkenntlich zu zeigen. Joseph unterläßt nicht, jedesmal für eine solche Bereitwilligkeit seinen lebhaftesten Dank und die Hoffnung auszusprechen, daß er später oder früher die Kaiserin werde beim Worte nehmen können. Aus einem Handbillet an Kaunitz ist zu er¬ sehen, daß Joseph glaubte, die Kaiserin wolle ihm zu dem Besitz der Moldau und Wallachei verhelfen. Die große Anstrengung, welche Katharina gleich darauf machte, dem Kaiser beim Tauschproject und beim Scheldestreit zu helfen, zeugt davon, daß Katharina in der That sich dem Kaiser verpflich- tet fühlte. Aus mehreren Briefen der Kaiserin geht hervor, daß sie den Ausbruch eines Krieges mit der Pforte bei Gelegenheit der Erwerbung der Krim für sehr wahrscheinlich hielt. Es kam indessen nicht sofort zum Kriege und Joseph äußerte sich sehr zufrieden über die Erhaltung der Ruhe im Osten. Seine Grenzboten II. 1870. 33

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_123619/263>, abgerufen am 18.12.2024.