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Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, I. Semester. II. Band.

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zwischen Katharina und Joseph ableugnen könne, während der Thatsache nach
ein solcher doch bestände. Besonders wichtig schien es, die Sache Preußen
gegenüber geheimzuhalten, und in der That scheint Preußen, wie Herrmann
meint, von den Vereinbarungen zwischen Joseph und der Kaiserin weniger
gewußt zu haben als England. Die officiellen Schreiben finden sich in dem
Buche des Herrn v. Arneth S. 72 bis 90. Joseph verspricht die in Europa
gelegenen Länder der Kaiserin gegen jeden etwaigen Angriff zu vertheidigen,
ihr im Nothfall mit einer Hilfsarmee oder einer entsprechenden Subfidien-
zahlung beizustehen und ohne Rußland keinen Frieden oder Waffenstillstand
zu schließen. Ein zweites Schreiben, das gewissermaßen die Stelle eines ge-
Heimen Separatartikels vertritt, betrifft die Haltung beider Mächte gegenüber
der Pforte, gegen welche, wenn dieselbe sich nicht nachgiebig zeigen sollte,
Joseph und Katharina gemeinsam Krieg zu führen bereit sind. In den ent¬
sprechenden Schreiben Katharina's finden sich ganz analoge Versprechungen,
Gewährleistungen früherer Verträge und des Territorialbestandes und die
Aussicht auf ein gemeinsames aggressives Vorgehen gegen die Türkei. Daß
Letzteres die Hauptsache, der eigentliche Kern des Vertrages war, ist aus
den Verabredungen zu ersehen, welche während der Zusammenkunft Joseph's
und Katharina's in Mohilew stattgefunden haben sollen, und aus der ganzen
Haltung, welche die beiden Mächte in der unmittelbar auf den Vertrag fol¬
genden Zeit gegen die Pforte beobachteten. Die östreichischen und russischen
Diplomaten wurden angewiesen, in allen Stücken gemeinsam zu handeln und
zu erklären, daß kein Vertrag zwischen Oestreich und Rußland bestehe. Man
darf sich nicht wundern, daß Friedrich der Große unruhig wurde. Erkundi¬
gungen einzog, sich direct an die Kaiserin mit einer Anfrage wandte, der sie
auszuweichen verstand. Dem Kaiser schrieb Katharina, sie halte Joseph's
Briefe, welche die Bedeutung von Vertragsinstrumenten hätten, unter Schloß
und Riegel wohlverwahrt in ihrer Arbeitsstube und zeige sie Niemandem.

Die Kaiserin hatte scherzweise erwähnt, sie hoffe, der Papst Pius werde
dem Kaiser die Schlüssel Roms überbringen und ihm den Vorschlag machen>
die Türken aus Europa zu verjagen. Joseph antwortet, er erwarte eine
solche Aufforderung nicht von dem Haupte der lateinischen Kirche, wohl aber
von der Kaiserin, die an der Spitze der griechischen Kirche stehe und deren
Fahnen zu folgen er stets bereit sein werde. Der Berliner Hof, fügt Joseph
hinzu, sei ohnehin bemüht, derartige Gerüchte von so weittragenden Ent¬
würfen zu verbreiten, in Constantinopel und in Paris vor Oestreich und
Rußland zu warnen. (S. 123.)

Es war das Zeitalter der Theilungen. Man kann die Annexion der
Krim, die Erwerbung der Otschakow'schen Steppe vom Bug bis zum Dnjestr
ebenso gut als ein äömsrnwemsnt der Türkei bezeichnen, wie man bet dem


zwischen Katharina und Joseph ableugnen könne, während der Thatsache nach
ein solcher doch bestände. Besonders wichtig schien es, die Sache Preußen
gegenüber geheimzuhalten, und in der That scheint Preußen, wie Herrmann
meint, von den Vereinbarungen zwischen Joseph und der Kaiserin weniger
gewußt zu haben als England. Die officiellen Schreiben finden sich in dem
Buche des Herrn v. Arneth S. 72 bis 90. Joseph verspricht die in Europa
gelegenen Länder der Kaiserin gegen jeden etwaigen Angriff zu vertheidigen,
ihr im Nothfall mit einer Hilfsarmee oder einer entsprechenden Subfidien-
zahlung beizustehen und ohne Rußland keinen Frieden oder Waffenstillstand
zu schließen. Ein zweites Schreiben, das gewissermaßen die Stelle eines ge-
Heimen Separatartikels vertritt, betrifft die Haltung beider Mächte gegenüber
der Pforte, gegen welche, wenn dieselbe sich nicht nachgiebig zeigen sollte,
Joseph und Katharina gemeinsam Krieg zu führen bereit sind. In den ent¬
sprechenden Schreiben Katharina's finden sich ganz analoge Versprechungen,
Gewährleistungen früherer Verträge und des Territorialbestandes und die
Aussicht auf ein gemeinsames aggressives Vorgehen gegen die Türkei. Daß
Letzteres die Hauptsache, der eigentliche Kern des Vertrages war, ist aus
den Verabredungen zu ersehen, welche während der Zusammenkunft Joseph's
und Katharina's in Mohilew stattgefunden haben sollen, und aus der ganzen
Haltung, welche die beiden Mächte in der unmittelbar auf den Vertrag fol¬
genden Zeit gegen die Pforte beobachteten. Die östreichischen und russischen
Diplomaten wurden angewiesen, in allen Stücken gemeinsam zu handeln und
zu erklären, daß kein Vertrag zwischen Oestreich und Rußland bestehe. Man
darf sich nicht wundern, daß Friedrich der Große unruhig wurde. Erkundi¬
gungen einzog, sich direct an die Kaiserin mit einer Anfrage wandte, der sie
auszuweichen verstand. Dem Kaiser schrieb Katharina, sie halte Joseph's
Briefe, welche die Bedeutung von Vertragsinstrumenten hätten, unter Schloß
und Riegel wohlverwahrt in ihrer Arbeitsstube und zeige sie Niemandem.

Die Kaiserin hatte scherzweise erwähnt, sie hoffe, der Papst Pius werde
dem Kaiser die Schlüssel Roms überbringen und ihm den Vorschlag machen>
die Türken aus Europa zu verjagen. Joseph antwortet, er erwarte eine
solche Aufforderung nicht von dem Haupte der lateinischen Kirche, wohl aber
von der Kaiserin, die an der Spitze der griechischen Kirche stehe und deren
Fahnen zu folgen er stets bereit sein werde. Der Berliner Hof, fügt Joseph
hinzu, sei ohnehin bemüht, derartige Gerüchte von so weittragenden Ent¬
würfen zu verbreiten, in Constantinopel und in Paris vor Oestreich und
Rußland zu warnen. (S. 123.)

Es war das Zeitalter der Theilungen. Man kann die Annexion der
Krim, die Erwerbung der Otschakow'schen Steppe vom Bug bis zum Dnjestr
ebenso gut als ein äömsrnwemsnt der Türkei bezeichnen, wie man bet dem


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[0260] zwischen Katharina und Joseph ableugnen könne, während der Thatsache nach ein solcher doch bestände. Besonders wichtig schien es, die Sache Preußen gegenüber geheimzuhalten, und in der That scheint Preußen, wie Herrmann meint, von den Vereinbarungen zwischen Joseph und der Kaiserin weniger gewußt zu haben als England. Die officiellen Schreiben finden sich in dem Buche des Herrn v. Arneth S. 72 bis 90. Joseph verspricht die in Europa gelegenen Länder der Kaiserin gegen jeden etwaigen Angriff zu vertheidigen, ihr im Nothfall mit einer Hilfsarmee oder einer entsprechenden Subfidien- zahlung beizustehen und ohne Rußland keinen Frieden oder Waffenstillstand zu schließen. Ein zweites Schreiben, das gewissermaßen die Stelle eines ge- Heimen Separatartikels vertritt, betrifft die Haltung beider Mächte gegenüber der Pforte, gegen welche, wenn dieselbe sich nicht nachgiebig zeigen sollte, Joseph und Katharina gemeinsam Krieg zu führen bereit sind. In den ent¬ sprechenden Schreiben Katharina's finden sich ganz analoge Versprechungen, Gewährleistungen früherer Verträge und des Territorialbestandes und die Aussicht auf ein gemeinsames aggressives Vorgehen gegen die Türkei. Daß Letzteres die Hauptsache, der eigentliche Kern des Vertrages war, ist aus den Verabredungen zu ersehen, welche während der Zusammenkunft Joseph's und Katharina's in Mohilew stattgefunden haben sollen, und aus der ganzen Haltung, welche die beiden Mächte in der unmittelbar auf den Vertrag fol¬ genden Zeit gegen die Pforte beobachteten. Die östreichischen und russischen Diplomaten wurden angewiesen, in allen Stücken gemeinsam zu handeln und zu erklären, daß kein Vertrag zwischen Oestreich und Rußland bestehe. Man darf sich nicht wundern, daß Friedrich der Große unruhig wurde. Erkundi¬ gungen einzog, sich direct an die Kaiserin mit einer Anfrage wandte, der sie auszuweichen verstand. Dem Kaiser schrieb Katharina, sie halte Joseph's Briefe, welche die Bedeutung von Vertragsinstrumenten hätten, unter Schloß und Riegel wohlverwahrt in ihrer Arbeitsstube und zeige sie Niemandem. Die Kaiserin hatte scherzweise erwähnt, sie hoffe, der Papst Pius werde dem Kaiser die Schlüssel Roms überbringen und ihm den Vorschlag machen> die Türken aus Europa zu verjagen. Joseph antwortet, er erwarte eine solche Aufforderung nicht von dem Haupte der lateinischen Kirche, wohl aber von der Kaiserin, die an der Spitze der griechischen Kirche stehe und deren Fahnen zu folgen er stets bereit sein werde. Der Berliner Hof, fügt Joseph hinzu, sei ohnehin bemüht, derartige Gerüchte von so weittragenden Ent¬ würfen zu verbreiten, in Constantinopel und in Paris vor Oestreich und Rußland zu warnen. (S. 123.) Es war das Zeitalter der Theilungen. Man kann die Annexion der Krim, die Erwerbung der Otschakow'schen Steppe vom Bug bis zum Dnjestr ebenso gut als ein äömsrnwemsnt der Türkei bezeichnen, wie man bet dem

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_123619/260>, abgerufen am 06.10.2024.