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Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, I. Semester. II. Band.

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scher Fragen eher vermieden als gesucht. Weit anders bei Joseph II. und
Katharina. Die Selbstwilligkeit ihres Regiments, jener aufgeklärte Despo¬
tismus, der Alles nach eigenem Ermessen zu entscheiden strebte, und in allen
Fragen die Initiative haben wollte, tritt uns hier auf jeder Seite entgegen.
Beide glaubten der Vermittelung von Gesandten, Ministern und Schreibern
in vielen Dingen entbehren zu können. Die größten politischen Fragen
werden wie rein persönliche Angelegenheiten behandelt. Das lag freilich
zunächst in Geiste der Zeit. Ein unmittelbarer Verkehr von Herrscher zu
Herrscher erschien um so unerläßlicher, als der Erfolg der diplomatischen Ver¬
handlungen, das Gedeihen der Staaten, das Glück der Völker nach damali¬
ger Auffassung fast ausschließlich von den Tugenden des Fürsten, von der
Zuneigung und Freundschaft der Fürsten zu einander abhing. In einer
Zeit, wo die Herzensgüte der Monarchen für die beste Verfassung galt, schien
der persönliche Verkehr derselben untereinander als die beste Bürgschaft für
die Segnungen des Friedens sowohl als' auch sür den Erfolg im Kriege.
Während Katharina sehr wichtige Nachrichten über politische Ereignisse bis¬
weilen selbst vor ihren Ministern geheim hielt und etwa der Vicekanzler Oster¬
mann die ausländischen Diplomaten durch seine Unkenntniß der Sachlage in
Erstaunen setzte, ist es ganz in Ordnung, wenn der Abschluß von Bündnissen,
Kriegsrüstungen, Eröffnung von Feindseligkeiten, Annexionsentwürfe in der¬
selben Weise behandelt werden, wie Familienangelegenheiten. Die Kuhpocken¬
impfung, der sich damals die jungen russischen Großfürsten unterwerfen
mußten, wird in ähnlichem Tone besprochen wie der Entwurf, die Türken
aus Europa zu verjagen; die von Kaiser Joseph dem Großfürsten Paul auf
einer Vergnügungsreise erwiesene Freundlichkeit erscheint eben so wichtig als
etwa das bairische Tauschproject; eine Augenkrankheit des Kaisers wird mit
denselben Formen bedauert wie die Revolution in den Niederlanden. Bei
solcher Behandlung der Geschäfte konnten die Kanzleien nur untergeordnete
Bedeutung haben. Nur einzelnen Vertrauten wird von dem Inhalte der
abzusendenden und empfangenen Briefe Mittheilung gemacht. Katharina
liest ihrem Secretär einzelne Stellen vor; Kaunitz gibt hier und da seinen
Rqth, wie der Kaiser auf diese oder jene Auslassung der Kaiserin zu ant¬
worten habe. Auch Laune und Stimmung des Augenblicks spiegelt sich in
den Briefen, die, meist in sehr herzlichem, freundschaftlichem Tone gehalten,
dem größten Theile ihres Inhalts nach von Heiterkeit, hier und da wohl
auch von Frivolität zeugen. Erheben sich diese zum Theil sehr sorgfältig
ausgearbeiteten schriftstellerischen Produktionen zweier gekrönter Vertreter des
Esprit und eleganter Conversation durchaus nicht immer zu der geistvollen
Sprache des Montesquieu, Voltaire, Diderot, der artigen Geschwätzigkeit
Grimms oder der eleganten Medisance des Prinzen von Ligne, so ist dieser


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scher Fragen eher vermieden als gesucht. Weit anders bei Joseph II. und
Katharina. Die Selbstwilligkeit ihres Regiments, jener aufgeklärte Despo¬
tismus, der Alles nach eigenem Ermessen zu entscheiden strebte, und in allen
Fragen die Initiative haben wollte, tritt uns hier auf jeder Seite entgegen.
Beide glaubten der Vermittelung von Gesandten, Ministern und Schreibern
in vielen Dingen entbehren zu können. Die größten politischen Fragen
werden wie rein persönliche Angelegenheiten behandelt. Das lag freilich
zunächst in Geiste der Zeit. Ein unmittelbarer Verkehr von Herrscher zu
Herrscher erschien um so unerläßlicher, als der Erfolg der diplomatischen Ver¬
handlungen, das Gedeihen der Staaten, das Glück der Völker nach damali¬
ger Auffassung fast ausschließlich von den Tugenden des Fürsten, von der
Zuneigung und Freundschaft der Fürsten zu einander abhing. In einer
Zeit, wo die Herzensgüte der Monarchen für die beste Verfassung galt, schien
der persönliche Verkehr derselben untereinander als die beste Bürgschaft für
die Segnungen des Friedens sowohl als' auch sür den Erfolg im Kriege.
Während Katharina sehr wichtige Nachrichten über politische Ereignisse bis¬
weilen selbst vor ihren Ministern geheim hielt und etwa der Vicekanzler Oster¬
mann die ausländischen Diplomaten durch seine Unkenntniß der Sachlage in
Erstaunen setzte, ist es ganz in Ordnung, wenn der Abschluß von Bündnissen,
Kriegsrüstungen, Eröffnung von Feindseligkeiten, Annexionsentwürfe in der¬
selben Weise behandelt werden, wie Familienangelegenheiten. Die Kuhpocken¬
impfung, der sich damals die jungen russischen Großfürsten unterwerfen
mußten, wird in ähnlichem Tone besprochen wie der Entwurf, die Türken
aus Europa zu verjagen; die von Kaiser Joseph dem Großfürsten Paul auf
einer Vergnügungsreise erwiesene Freundlichkeit erscheint eben so wichtig als
etwa das bairische Tauschproject; eine Augenkrankheit des Kaisers wird mit
denselben Formen bedauert wie die Revolution in den Niederlanden. Bei
solcher Behandlung der Geschäfte konnten die Kanzleien nur untergeordnete
Bedeutung haben. Nur einzelnen Vertrauten wird von dem Inhalte der
abzusendenden und empfangenen Briefe Mittheilung gemacht. Katharina
liest ihrem Secretär einzelne Stellen vor; Kaunitz gibt hier und da seinen
Rqth, wie der Kaiser auf diese oder jene Auslassung der Kaiserin zu ant¬
worten habe. Auch Laune und Stimmung des Augenblicks spiegelt sich in
den Briefen, die, meist in sehr herzlichem, freundschaftlichem Tone gehalten,
dem größten Theile ihres Inhalts nach von Heiterkeit, hier und da wohl
auch von Frivolität zeugen. Erheben sich diese zum Theil sehr sorgfältig
ausgearbeiteten schriftstellerischen Produktionen zweier gekrönter Vertreter des
Esprit und eleganter Conversation durchaus nicht immer zu der geistvollen
Sprache des Montesquieu, Voltaire, Diderot, der artigen Geschwätzigkeit
Grimms oder der eleganten Medisance des Prinzen von Ligne, so ist dieser


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_123619/249>, abgerufen am 27.07.2024.