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Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, I. Semester. II. Band.

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blieb. Aber es würde ein Irrthum sein, zu glauben, daß dieser Zweck durch
die Bestimmungen des Strafgesetzes auch nur annähernd erreicht werden
könne. Wir sprechen hier nicht von den vielen unentdeckten Verbrechen, um
uns nicht dem Vorwurfe auszusetzen, daß wir die UnVollkommenheit aller
menschlichen Einrichtungen außer Acht ließen. Allein die Erreichung jenes
Zweckes wird vor Allem durch das Bestehen des Strafgesetzes selbst verhin¬
dert. Denn worauf beruht dieses und wie wirkt es? Es soll durch die
Furcht vor der Strafe, die es verbreitet, ein Mittel zur Sicherung der ge¬
sellschaftlichen Ordnung sein. Die hochtönenden Theorien, welche den Straf¬
zweck in der Wiederherstellung des verletzten Rechts durch die sühnende Macht
der Strafe sehen, haben in den praktischen Köpfen unserer Gesetzgeber
sich durchaus noch nicht einzubürgern vermocht und werden es schwer¬
lich jemals vermögen, weil sie! als Grundlage zur Herstellung eines
Strafgesetzes völlig unbrauchbar sind; wie es denn auch anerkannt werden
muß, daß der Reichstag in seinen Berathungen über den Entwurf des Straf¬
gesetzes sich von ihnen fern gehalten hat. Zweck des Strafgesetzes ist, durch
die Furcht vor der Strafe in den Bürgern ein wirksames Gegengewicht
gegen diejenigen Motive zu schaffen, welche zur Begehung von Handlungen
drängen, die mit der gesellschaftlichen Ordnung unverträglich sind. Auch
sind wir keineswegs der oft gehörten Ansicht, daß dieses Gegenmotiv
deshalb unwirksam sei, weil diejenigen, welche eines Verbrechens fähig und
dazu geneigt seien, sich der Hoffnung hingäben, daß die That unentdeckt
bleiben werde, oder weil sie auch wohl in ihrer blinden Leidenschaft an die
Strafe gar nicht dächten. Voraussetzung der Wirksamkeit des Strafgesetzes
ist freilich, daß dessen Organe nicht machtlos seien, und daß sie das Ver¬
brechen mit Klugheit und Energie verfolgen. In Zeiten, wo sie sich ohn¬
mächtig oder unfähig zeigen, den Thäter zur Rechenschaft zu ziehen, wächst
das Verbrechen rasch empor; aber in geordneten Zuständen ist das Gesetz ein
wohlthätiger Zwang, unter welchem die Menschen sich gewöhnen, ihre Hand¬
lungen in Einklang zu bringen mit den Anforderungen staatlicher Ordnung. --
Wenn dem so ist, so leuchtet es auch ein, daß unter denjenigen, welche ihrer
Gesinnung nach verbrecherischer Handlungen wohl fähig sind, die wirklichen
Verbrecher den kleinsten Theil bilden. Neben denen, welche sich durch den
Zwang des Gesetzes vom Verbrechen nicht abhalten lassen, gibt es weit mehr
Menschen, welche in gleicher Gesinnung und weder von Motiven der
Moral noch der Ehre geleitet, dennoch aus Furcht vor der Strafe das Ver¬
brechen meiden. Ihre Handlungsweise geht bis hart an die Schranken des
Strafgesetzes und enthält oft Dinge, welche von der öffentlichen Meinung ge¬
brandmarkt werden, aber sie verstößt nicht gegen das Strafgesetz, welches, da


blieb. Aber es würde ein Irrthum sein, zu glauben, daß dieser Zweck durch
die Bestimmungen des Strafgesetzes auch nur annähernd erreicht werden
könne. Wir sprechen hier nicht von den vielen unentdeckten Verbrechen, um
uns nicht dem Vorwurfe auszusetzen, daß wir die UnVollkommenheit aller
menschlichen Einrichtungen außer Acht ließen. Allein die Erreichung jenes
Zweckes wird vor Allem durch das Bestehen des Strafgesetzes selbst verhin¬
dert. Denn worauf beruht dieses und wie wirkt es? Es soll durch die
Furcht vor der Strafe, die es verbreitet, ein Mittel zur Sicherung der ge¬
sellschaftlichen Ordnung sein. Die hochtönenden Theorien, welche den Straf¬
zweck in der Wiederherstellung des verletzten Rechts durch die sühnende Macht
der Strafe sehen, haben in den praktischen Köpfen unserer Gesetzgeber
sich durchaus noch nicht einzubürgern vermocht und werden es schwer¬
lich jemals vermögen, weil sie! als Grundlage zur Herstellung eines
Strafgesetzes völlig unbrauchbar sind; wie es denn auch anerkannt werden
muß, daß der Reichstag in seinen Berathungen über den Entwurf des Straf¬
gesetzes sich von ihnen fern gehalten hat. Zweck des Strafgesetzes ist, durch
die Furcht vor der Strafe in den Bürgern ein wirksames Gegengewicht
gegen diejenigen Motive zu schaffen, welche zur Begehung von Handlungen
drängen, die mit der gesellschaftlichen Ordnung unverträglich sind. Auch
sind wir keineswegs der oft gehörten Ansicht, daß dieses Gegenmotiv
deshalb unwirksam sei, weil diejenigen, welche eines Verbrechens fähig und
dazu geneigt seien, sich der Hoffnung hingäben, daß die That unentdeckt
bleiben werde, oder weil sie auch wohl in ihrer blinden Leidenschaft an die
Strafe gar nicht dächten. Voraussetzung der Wirksamkeit des Strafgesetzes
ist freilich, daß dessen Organe nicht machtlos seien, und daß sie das Ver¬
brechen mit Klugheit und Energie verfolgen. In Zeiten, wo sie sich ohn¬
mächtig oder unfähig zeigen, den Thäter zur Rechenschaft zu ziehen, wächst
das Verbrechen rasch empor; aber in geordneten Zuständen ist das Gesetz ein
wohlthätiger Zwang, unter welchem die Menschen sich gewöhnen, ihre Hand¬
lungen in Einklang zu bringen mit den Anforderungen staatlicher Ordnung. —
Wenn dem so ist, so leuchtet es auch ein, daß unter denjenigen, welche ihrer
Gesinnung nach verbrecherischer Handlungen wohl fähig sind, die wirklichen
Verbrecher den kleinsten Theil bilden. Neben denen, welche sich durch den
Zwang des Gesetzes vom Verbrechen nicht abhalten lassen, gibt es weit mehr
Menschen, welche in gleicher Gesinnung und weder von Motiven der
Moral noch der Ehre geleitet, dennoch aus Furcht vor der Strafe das Ver¬
brechen meiden. Ihre Handlungsweise geht bis hart an die Schranken des
Strafgesetzes und enthält oft Dinge, welche von der öffentlichen Meinung ge¬
brandmarkt werden, aber sie verstößt nicht gegen das Strafgesetz, welches, da


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_123619/234>, abgerufen am 01.09.2024.