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Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, I. Semester. II. Band.

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pflege in Frankreich in den 80 Jahren ihres Bestehens im heutigen Sinn
erworben, trotz jenes Mangels hat erworben werden können. In Baden,
dem ersten deutschen Staat, der mit der Verwaltungsrechtspflege vollen Ernst
gemacht, unterstehen die Mitglieder des Verwaltungsgerichtshofs dem
Ministerium des Innern und genießen zur Zeit nicht die Vortheile des
Richtergesetzes. Die Regierung hat nur im Laufe der Kammerverhandlungen
erklärt, daß die Verwaltungsgerichtsräthe richterliche Unabhängigkeit besitzen
sollen. Die große Achtung, welche der neue Gerichtshof in den wenigen
Jahren seiner Wirksamkeit (1864) erlangt hat, ist bisher nicht dadurch beein¬
trächtigt worden, daß die Mitglieder den erhöhten Schutz der Richter noch
entbehren. Der bairische und, wenn wir nicht irren, der würtenbergische
Entwurf sehen die Gleichstellung der Verwaltungsrichter mit den bürgerlichen
Richtern ausdrücklich vor.

Wir verweilen nicht bei dieser Frage, die, wie wir hoffen, keinen eigent¬
lichen Differenzpunkt bilden wird. Sie tritt in unsern Augen an Bedeutung
zurück hinter der Frage nach der Zusammensetzung des Heimathsgerichtshofs.

Das Bundesamt für das Heimathswesen soll aus zwei Arten von Mit¬
gliedern, Richtern und Verwaltungsbeamten, sich zusammensetzen. Die Ver¬
waltungsbeamten sollen in der Vorhand sein und zur Abfassung einer
gültigen Entscheidung die Anwesenheit von drei Mitgliedern, unter denen
ein Richter, genügen. Das richterliche Element soll nur einen wesentlichen,
nicht den bestimmenden Bestandtheil des Gerichtshofs bilden. Warum soll es
aber überhaupt in so beengender Weise eingeführt werden? Warum sollen dem
Bundesrath bei Ernennung der Mitglieder des Bundesamts die Hände ge¬
bunden werden? Denn die natürliche Folge ist, daß die übrigen Mitglieder
nicht aus der Zahl der Richter gewählt werden, mag auch die Befugniß,
sie aus ihnen zu wählen, gegeben sein.

Es liegt die Wahrscheinlichkeit vor, daß eine Bestimmung der königlich
sächsischen Gesetzgebung zum Vorbild gedient hat. Der sächsiche Gesetzgeber
(1838) schuf bei Neuordnung der obern Gerichts- und Verwaltungsstellen eine
oberstverwaltungsrichterliche Instanz, die aus dem Minister des Innern, aus
zwei Räthen seines Ministeriums und aus zwei fortdauernd deputirten Räthen
der obern Gerichtsstellen sich zusammensetzt und die letzte Instanz in "Ad-
ministrativjustizsachen" ist. Die Landtagsverhandlungen, welche der Schaffung
des Organs vorhergingen, ergeben aber, daß diese Collegialbildung keines-
Wegs aus der Ueberzeugung von ihrer theoretischen Wichtigkeit und praktischen
Zweckdienlichkeit, sondern einzig und allein aus -- finanziellen Gründen ent¬
stand. Dem sächsischen Gesetzgeber schwebte -- wir lassen unentschieden, ob
zuerst in Deutschland -- der Gedanke eines Verwaltungsgerichtshofs vor und
er versagte sich seine Verwirklichung nur, weil er sie sich, der knappen Wirth-


pflege in Frankreich in den 80 Jahren ihres Bestehens im heutigen Sinn
erworben, trotz jenes Mangels hat erworben werden können. In Baden,
dem ersten deutschen Staat, der mit der Verwaltungsrechtspflege vollen Ernst
gemacht, unterstehen die Mitglieder des Verwaltungsgerichtshofs dem
Ministerium des Innern und genießen zur Zeit nicht die Vortheile des
Richtergesetzes. Die Regierung hat nur im Laufe der Kammerverhandlungen
erklärt, daß die Verwaltungsgerichtsräthe richterliche Unabhängigkeit besitzen
sollen. Die große Achtung, welche der neue Gerichtshof in den wenigen
Jahren seiner Wirksamkeit (1864) erlangt hat, ist bisher nicht dadurch beein¬
trächtigt worden, daß die Mitglieder den erhöhten Schutz der Richter noch
entbehren. Der bairische und, wenn wir nicht irren, der würtenbergische
Entwurf sehen die Gleichstellung der Verwaltungsrichter mit den bürgerlichen
Richtern ausdrücklich vor.

Wir verweilen nicht bei dieser Frage, die, wie wir hoffen, keinen eigent¬
lichen Differenzpunkt bilden wird. Sie tritt in unsern Augen an Bedeutung
zurück hinter der Frage nach der Zusammensetzung des Heimathsgerichtshofs.

Das Bundesamt für das Heimathswesen soll aus zwei Arten von Mit¬
gliedern, Richtern und Verwaltungsbeamten, sich zusammensetzen. Die Ver¬
waltungsbeamten sollen in der Vorhand sein und zur Abfassung einer
gültigen Entscheidung die Anwesenheit von drei Mitgliedern, unter denen
ein Richter, genügen. Das richterliche Element soll nur einen wesentlichen,
nicht den bestimmenden Bestandtheil des Gerichtshofs bilden. Warum soll es
aber überhaupt in so beengender Weise eingeführt werden? Warum sollen dem
Bundesrath bei Ernennung der Mitglieder des Bundesamts die Hände ge¬
bunden werden? Denn die natürliche Folge ist, daß die übrigen Mitglieder
nicht aus der Zahl der Richter gewählt werden, mag auch die Befugniß,
sie aus ihnen zu wählen, gegeben sein.

Es liegt die Wahrscheinlichkeit vor, daß eine Bestimmung der königlich
sächsischen Gesetzgebung zum Vorbild gedient hat. Der sächsiche Gesetzgeber
(1838) schuf bei Neuordnung der obern Gerichts- und Verwaltungsstellen eine
oberstverwaltungsrichterliche Instanz, die aus dem Minister des Innern, aus
zwei Räthen seines Ministeriums und aus zwei fortdauernd deputirten Räthen
der obern Gerichtsstellen sich zusammensetzt und die letzte Instanz in „Ad-
ministrativjustizsachen" ist. Die Landtagsverhandlungen, welche der Schaffung
des Organs vorhergingen, ergeben aber, daß diese Collegialbildung keines-
Wegs aus der Ueberzeugung von ihrer theoretischen Wichtigkeit und praktischen
Zweckdienlichkeit, sondern einzig und allein aus — finanziellen Gründen ent¬
stand. Dem sächsischen Gesetzgeber schwebte — wir lassen unentschieden, ob
zuerst in Deutschland — der Gedanke eines Verwaltungsgerichtshofs vor und
er versagte sich seine Verwirklichung nur, weil er sie sich, der knappen Wirth-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_123619/226>, abgerufen am 01.09.2024.