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Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, I. Semester. II. Band.

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Schichten der Gesellschaft; jene denkwürdige Bethlehemskirche, die Stätte von
Hus' Wirksamkeit, war 1391 gegründet worden, weil "die Prediger, welche
sich der böhmischen Landessprache bedienten, genöthigt waren, sich in Häusern
und abgelegenen Winkeln umherzutreiben."

Wenn nun eben in dieser Kirche, wo den Worten der Stiftungsurkunde
gemäß vorzugsweise das "gemeine Volk mit dem Brode der heiligen Predigt
erquickt werden sollte", ein Mann von der Gelehrsamkeit, der Beredsamkeit
und dem rücksichtslosen Fretmuthe des Joh. Hus als Prediger thätig war,
so mußten die Resultate dieser Wirksamkeit sofort der czechischen Nationalität
zu Gute kommen, die czechische Sprache kam zu neuen Ehren dadurch, daß
der gefeierteste Prediger sich ihrer bediente. Die von Hus veranlaßte, wenn
auch vielleicht nicht beabsichtigte Auswanderung der deutschen Studenten und
Lehrer im Jahre 1409 machte ihn vollends zum nationalen Parteihaupte.
Je mehr ihn seitdem die Deutschen, wie er selbst so oft klagt, anfeindeten
und verfolgten, desto dankbarer hingen ihm die Czechen an. Schon hier
kamen sociale Momente mit ins Spiel. In dem Nationalitätenkampfe wirkte
unvermeidlich eine gewisse Mißgunst des niederen czechischen Volkes gegen
die hier, wie überall in den slavischen Ländern, zu einem höheren Wohlstand
gekommenen Deutschen, und in demselben Sinn wirkte der heftige Tadel in
des Hus Predigten gegen die Verderbtheit des Klerus, gegen ihre Ueppigkeit
und Geldgier im Gegensatze zu der Einfachheit der Apostel. Wiederholt
klagten die Geistlichen, wenn auch vielleicht übertreibend, Huß denuncire sei¬
nen Hörern die Zahlung der geistlichen Zehnten als ungerechtfertigt. Nicht
so sehr, was Hus sagte, als die Consequenzen. die seine Hörer zogen, machten
seine Predigten zu nationalen und socialen Agitationen, die eines mächtigen
Eindruckes nicht verfehlen konnten. Und diese Keime waren längst auf¬
gegangen, als Hus' Auftreten gegen den Ablaß sein vollständiges Zerwürfniß
mit den kirchlichen Gewalten und in letzter Folge seine Citation vor das
Concil zu Kosemitz bewirkte. Die Flamme seines Scheiterhaufens setzte ganz
Böhmen in Brand. Als nach dem Tode Wenzels das Land dem Kaiser
Sigismund huldigen sollte, in welchem es den wortbrüchigen Henker des
Märtyrers verabscheute, brach die Bewegung los, und als sich die Mafien
erhoben, schwenkten sie ihre Waffen nicht für ein größeres Maß von religiöser
Freiheit, sie verlangten in erster Linie die Befreiung vom Joche der Deutschen,
denen sie die Verfolgung des verehrten Lehrers und Führers schuld gaben.
Die Bekämpfung der Deutschen an den Orten, wo sie dicht genug saßen, um
Widerstand zu leisten, wie z. B. in Kuttenberg, war der erste Schritt. Gleich¬
zeitig griff man überall nach den geistlichen Gütern, plünderte die Klöster,
und sowie die Bewegung Zehnten und Abgaben an den Klerus hinweg¬
spülte, so auch zum größten Theile die Zinsen und Steuern, welche der Adel


Schichten der Gesellschaft; jene denkwürdige Bethlehemskirche, die Stätte von
Hus' Wirksamkeit, war 1391 gegründet worden, weil „die Prediger, welche
sich der böhmischen Landessprache bedienten, genöthigt waren, sich in Häusern
und abgelegenen Winkeln umherzutreiben."

Wenn nun eben in dieser Kirche, wo den Worten der Stiftungsurkunde
gemäß vorzugsweise das „gemeine Volk mit dem Brode der heiligen Predigt
erquickt werden sollte", ein Mann von der Gelehrsamkeit, der Beredsamkeit
und dem rücksichtslosen Fretmuthe des Joh. Hus als Prediger thätig war,
so mußten die Resultate dieser Wirksamkeit sofort der czechischen Nationalität
zu Gute kommen, die czechische Sprache kam zu neuen Ehren dadurch, daß
der gefeierteste Prediger sich ihrer bediente. Die von Hus veranlaßte, wenn
auch vielleicht nicht beabsichtigte Auswanderung der deutschen Studenten und
Lehrer im Jahre 1409 machte ihn vollends zum nationalen Parteihaupte.
Je mehr ihn seitdem die Deutschen, wie er selbst so oft klagt, anfeindeten
und verfolgten, desto dankbarer hingen ihm die Czechen an. Schon hier
kamen sociale Momente mit ins Spiel. In dem Nationalitätenkampfe wirkte
unvermeidlich eine gewisse Mißgunst des niederen czechischen Volkes gegen
die hier, wie überall in den slavischen Ländern, zu einem höheren Wohlstand
gekommenen Deutschen, und in demselben Sinn wirkte der heftige Tadel in
des Hus Predigten gegen die Verderbtheit des Klerus, gegen ihre Ueppigkeit
und Geldgier im Gegensatze zu der Einfachheit der Apostel. Wiederholt
klagten die Geistlichen, wenn auch vielleicht übertreibend, Huß denuncire sei¬
nen Hörern die Zahlung der geistlichen Zehnten als ungerechtfertigt. Nicht
so sehr, was Hus sagte, als die Consequenzen. die seine Hörer zogen, machten
seine Predigten zu nationalen und socialen Agitationen, die eines mächtigen
Eindruckes nicht verfehlen konnten. Und diese Keime waren längst auf¬
gegangen, als Hus' Auftreten gegen den Ablaß sein vollständiges Zerwürfniß
mit den kirchlichen Gewalten und in letzter Folge seine Citation vor das
Concil zu Kosemitz bewirkte. Die Flamme seines Scheiterhaufens setzte ganz
Böhmen in Brand. Als nach dem Tode Wenzels das Land dem Kaiser
Sigismund huldigen sollte, in welchem es den wortbrüchigen Henker des
Märtyrers verabscheute, brach die Bewegung los, und als sich die Mafien
erhoben, schwenkten sie ihre Waffen nicht für ein größeres Maß von religiöser
Freiheit, sie verlangten in erster Linie die Befreiung vom Joche der Deutschen,
denen sie die Verfolgung des verehrten Lehrers und Führers schuld gaben.
Die Bekämpfung der Deutschen an den Orten, wo sie dicht genug saßen, um
Widerstand zu leisten, wie z. B. in Kuttenberg, war der erste Schritt. Gleich¬
zeitig griff man überall nach den geistlichen Gütern, plünderte die Klöster,
und sowie die Bewegung Zehnten und Abgaben an den Klerus hinweg¬
spülte, so auch zum größten Theile die Zinsen und Steuern, welche der Adel


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[0220] Schichten der Gesellschaft; jene denkwürdige Bethlehemskirche, die Stätte von Hus' Wirksamkeit, war 1391 gegründet worden, weil „die Prediger, welche sich der böhmischen Landessprache bedienten, genöthigt waren, sich in Häusern und abgelegenen Winkeln umherzutreiben." Wenn nun eben in dieser Kirche, wo den Worten der Stiftungsurkunde gemäß vorzugsweise das „gemeine Volk mit dem Brode der heiligen Predigt erquickt werden sollte", ein Mann von der Gelehrsamkeit, der Beredsamkeit und dem rücksichtslosen Fretmuthe des Joh. Hus als Prediger thätig war, so mußten die Resultate dieser Wirksamkeit sofort der czechischen Nationalität zu Gute kommen, die czechische Sprache kam zu neuen Ehren dadurch, daß der gefeierteste Prediger sich ihrer bediente. Die von Hus veranlaßte, wenn auch vielleicht nicht beabsichtigte Auswanderung der deutschen Studenten und Lehrer im Jahre 1409 machte ihn vollends zum nationalen Parteihaupte. Je mehr ihn seitdem die Deutschen, wie er selbst so oft klagt, anfeindeten und verfolgten, desto dankbarer hingen ihm die Czechen an. Schon hier kamen sociale Momente mit ins Spiel. In dem Nationalitätenkampfe wirkte unvermeidlich eine gewisse Mißgunst des niederen czechischen Volkes gegen die hier, wie überall in den slavischen Ländern, zu einem höheren Wohlstand gekommenen Deutschen, und in demselben Sinn wirkte der heftige Tadel in des Hus Predigten gegen die Verderbtheit des Klerus, gegen ihre Ueppigkeit und Geldgier im Gegensatze zu der Einfachheit der Apostel. Wiederholt klagten die Geistlichen, wenn auch vielleicht übertreibend, Huß denuncire sei¬ nen Hörern die Zahlung der geistlichen Zehnten als ungerechtfertigt. Nicht so sehr, was Hus sagte, als die Consequenzen. die seine Hörer zogen, machten seine Predigten zu nationalen und socialen Agitationen, die eines mächtigen Eindruckes nicht verfehlen konnten. Und diese Keime waren längst auf¬ gegangen, als Hus' Auftreten gegen den Ablaß sein vollständiges Zerwürfniß mit den kirchlichen Gewalten und in letzter Folge seine Citation vor das Concil zu Kosemitz bewirkte. Die Flamme seines Scheiterhaufens setzte ganz Böhmen in Brand. Als nach dem Tode Wenzels das Land dem Kaiser Sigismund huldigen sollte, in welchem es den wortbrüchigen Henker des Märtyrers verabscheute, brach die Bewegung los, und als sich die Mafien erhoben, schwenkten sie ihre Waffen nicht für ein größeres Maß von religiöser Freiheit, sie verlangten in erster Linie die Befreiung vom Joche der Deutschen, denen sie die Verfolgung des verehrten Lehrers und Führers schuld gaben. Die Bekämpfung der Deutschen an den Orten, wo sie dicht genug saßen, um Widerstand zu leisten, wie z. B. in Kuttenberg, war der erste Schritt. Gleich¬ zeitig griff man überall nach den geistlichen Gütern, plünderte die Klöster, und sowie die Bewegung Zehnten und Abgaben an den Klerus hinweg¬ spülte, so auch zum größten Theile die Zinsen und Steuern, welche der Adel

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_123619/220>, abgerufen am 01.09.2024.