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Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, I. Semester. II. Band.

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einen Wunsch, den Hussiten Zugeständnisse gemacht zu sehn, herauslesen, viel¬
mehr haben wir immerfort den Eindruck, man beklage wohl den üblen Gang
des Kampfes, aber man zweifle keinen Augenblick an der guten Sache, die
man verfechte, an der Nothwendigkeit einer Bekämpfung des entgegenstehen-
den Princips.

Es ist dieser Sachlage gegenüber wohl kühn, noch von einer Sympathie
der Schlesier für die hussitische Sache zu sprechen, ich wenigstens habe nichts
der Art gefunden. Wohl kenne ich einige Fälle, wo schlesische Adelige auf
von den Böhmen besetzten schlesischen Burgen Kriegsdienste gethan haben,
aber ich zweifle keinen Augenblick, daß diese nicht der Glaube der Hussiten,
sondern die sichere Aussicht auf Abenteuer, Sold und Beute gelockthat; diese
Ritter an der Heerstraße haben keinen Anspruch darauf, die Gesinnung des
Volkes zu vertreten. Und in dieselbe Kategorie nur dem Stande, nicht der
Art nach höherstehend, gehört jener Herzog Bolko von Oppeln, der allein
von den schlesischen Fürsten für die Sache der Hussiten sich gewinnen ließ.
Auch er wandelte, wie es schon sein Vater und seine Ohne gethan, die Wege
der Raubritter, und wenn er dann die Bundesgenossenschaft mit den Hussiten
dazu benutzte, den Kanonikern von Ober-Glogau ihre Güter wegzunehmen,
so hat sicherlich die Raubsucht ungleich mehr Antheil daran gehabt, als
irgend welche religiöse Ueberzeugung. Ebensowenig will es etwas besagen,
wenn den siegreich daherziehenden böhmischen Heeren sich Leute der unteren
Volksclassen, sei es durch Zwang, sei es auch durch Gewinnsucht getrieben
zu Dienstleistungen mancherlei Art bereit finden lassen. Das Alles ändert
Nichts an der Thatsache, daß für das Volk im Großen und Ganzen bis in
die höchsten Schichten hinauf die Hussiten unverändert die "verdammten
Ketzer" sind und bleiben, daß in dem Stadtbuch von jener Zeit Signaturen
uns ausstoßen, wo ein obrigkeitliches Zeugniß angerufen wird, um Einzelne
vor dem Vorwurfe hussitischer Sympathien, wie vor dem größten Schimpfe
zu sichern, und daß irgendwelche Edikte der geistlichen Gewalt, wie sie in
Polen und Ungarn,' ja selbst an einzelnen Orten des westlichen Deutschlands
zur Unterdrückung hussitischer Ketzereien erlassen wurden, in Schlesien ganz
überflüssig waren.

Freilich darf dem gegenüber nicht verschwiegen werden, daß auch die
Hussiten keine Propaganda gemacht haben. Es verdient dies wohl hervor¬
gehoben zu werden, denn es ist ein seltener Fall, daß Heere, welche siegreich
für religiöse Zwecke kämpfen und großentheils von Priestern angeführt wer¬
den, sich enthalten, dem Glauben, für den sie streiten, auch in der Fremde
Anerkennung zu sichern. Aber kein Zeugniß spricht dafür, daß sie hier in
den Städten, welche sie erobert, Bekehrungspredigten gehalten, daß sie ihrer
Glaubensform und speciell dem Abendmahl unter beiderlei Gestalt Eingang


einen Wunsch, den Hussiten Zugeständnisse gemacht zu sehn, herauslesen, viel¬
mehr haben wir immerfort den Eindruck, man beklage wohl den üblen Gang
des Kampfes, aber man zweifle keinen Augenblick an der guten Sache, die
man verfechte, an der Nothwendigkeit einer Bekämpfung des entgegenstehen-
den Princips.

Es ist dieser Sachlage gegenüber wohl kühn, noch von einer Sympathie
der Schlesier für die hussitische Sache zu sprechen, ich wenigstens habe nichts
der Art gefunden. Wohl kenne ich einige Fälle, wo schlesische Adelige auf
von den Böhmen besetzten schlesischen Burgen Kriegsdienste gethan haben,
aber ich zweifle keinen Augenblick, daß diese nicht der Glaube der Hussiten,
sondern die sichere Aussicht auf Abenteuer, Sold und Beute gelockthat; diese
Ritter an der Heerstraße haben keinen Anspruch darauf, die Gesinnung des
Volkes zu vertreten. Und in dieselbe Kategorie nur dem Stande, nicht der
Art nach höherstehend, gehört jener Herzog Bolko von Oppeln, der allein
von den schlesischen Fürsten für die Sache der Hussiten sich gewinnen ließ.
Auch er wandelte, wie es schon sein Vater und seine Ohne gethan, die Wege
der Raubritter, und wenn er dann die Bundesgenossenschaft mit den Hussiten
dazu benutzte, den Kanonikern von Ober-Glogau ihre Güter wegzunehmen,
so hat sicherlich die Raubsucht ungleich mehr Antheil daran gehabt, als
irgend welche religiöse Ueberzeugung. Ebensowenig will es etwas besagen,
wenn den siegreich daherziehenden böhmischen Heeren sich Leute der unteren
Volksclassen, sei es durch Zwang, sei es auch durch Gewinnsucht getrieben
zu Dienstleistungen mancherlei Art bereit finden lassen. Das Alles ändert
Nichts an der Thatsache, daß für das Volk im Großen und Ganzen bis in
die höchsten Schichten hinauf die Hussiten unverändert die „verdammten
Ketzer" sind und bleiben, daß in dem Stadtbuch von jener Zeit Signaturen
uns ausstoßen, wo ein obrigkeitliches Zeugniß angerufen wird, um Einzelne
vor dem Vorwurfe hussitischer Sympathien, wie vor dem größten Schimpfe
zu sichern, und daß irgendwelche Edikte der geistlichen Gewalt, wie sie in
Polen und Ungarn,' ja selbst an einzelnen Orten des westlichen Deutschlands
zur Unterdrückung hussitischer Ketzereien erlassen wurden, in Schlesien ganz
überflüssig waren.

Freilich darf dem gegenüber nicht verschwiegen werden, daß auch die
Hussiten keine Propaganda gemacht haben. Es verdient dies wohl hervor¬
gehoben zu werden, denn es ist ein seltener Fall, daß Heere, welche siegreich
für religiöse Zwecke kämpfen und großentheils von Priestern angeführt wer¬
den, sich enthalten, dem Glauben, für den sie streiten, auch in der Fremde
Anerkennung zu sichern. Aber kein Zeugniß spricht dafür, daß sie hier in
den Städten, welche sie erobert, Bekehrungspredigten gehalten, daß sie ihrer
Glaubensform und speciell dem Abendmahl unter beiderlei Gestalt Eingang


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[0216] einen Wunsch, den Hussiten Zugeständnisse gemacht zu sehn, herauslesen, viel¬ mehr haben wir immerfort den Eindruck, man beklage wohl den üblen Gang des Kampfes, aber man zweifle keinen Augenblick an der guten Sache, die man verfechte, an der Nothwendigkeit einer Bekämpfung des entgegenstehen- den Princips. Es ist dieser Sachlage gegenüber wohl kühn, noch von einer Sympathie der Schlesier für die hussitische Sache zu sprechen, ich wenigstens habe nichts der Art gefunden. Wohl kenne ich einige Fälle, wo schlesische Adelige auf von den Böhmen besetzten schlesischen Burgen Kriegsdienste gethan haben, aber ich zweifle keinen Augenblick, daß diese nicht der Glaube der Hussiten, sondern die sichere Aussicht auf Abenteuer, Sold und Beute gelockthat; diese Ritter an der Heerstraße haben keinen Anspruch darauf, die Gesinnung des Volkes zu vertreten. Und in dieselbe Kategorie nur dem Stande, nicht der Art nach höherstehend, gehört jener Herzog Bolko von Oppeln, der allein von den schlesischen Fürsten für die Sache der Hussiten sich gewinnen ließ. Auch er wandelte, wie es schon sein Vater und seine Ohne gethan, die Wege der Raubritter, und wenn er dann die Bundesgenossenschaft mit den Hussiten dazu benutzte, den Kanonikern von Ober-Glogau ihre Güter wegzunehmen, so hat sicherlich die Raubsucht ungleich mehr Antheil daran gehabt, als irgend welche religiöse Ueberzeugung. Ebensowenig will es etwas besagen, wenn den siegreich daherziehenden böhmischen Heeren sich Leute der unteren Volksclassen, sei es durch Zwang, sei es auch durch Gewinnsucht getrieben zu Dienstleistungen mancherlei Art bereit finden lassen. Das Alles ändert Nichts an der Thatsache, daß für das Volk im Großen und Ganzen bis in die höchsten Schichten hinauf die Hussiten unverändert die „verdammten Ketzer" sind und bleiben, daß in dem Stadtbuch von jener Zeit Signaturen uns ausstoßen, wo ein obrigkeitliches Zeugniß angerufen wird, um Einzelne vor dem Vorwurfe hussitischer Sympathien, wie vor dem größten Schimpfe zu sichern, und daß irgendwelche Edikte der geistlichen Gewalt, wie sie in Polen und Ungarn,' ja selbst an einzelnen Orten des westlichen Deutschlands zur Unterdrückung hussitischer Ketzereien erlassen wurden, in Schlesien ganz überflüssig waren. Freilich darf dem gegenüber nicht verschwiegen werden, daß auch die Hussiten keine Propaganda gemacht haben. Es verdient dies wohl hervor¬ gehoben zu werden, denn es ist ein seltener Fall, daß Heere, welche siegreich für religiöse Zwecke kämpfen und großentheils von Priestern angeführt wer¬ den, sich enthalten, dem Glauben, für den sie streiten, auch in der Fremde Anerkennung zu sichern. Aber kein Zeugniß spricht dafür, daß sie hier in den Städten, welche sie erobert, Bekehrungspredigten gehalten, daß sie ihrer Glaubensform und speciell dem Abendmahl unter beiderlei Gestalt Eingang

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_123619/216>, abgerufen am 01.09.2024.