Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, I. Semester. II. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

die notorische Bestechlichkeit, die am Hofe zu Avignon herrschte, gründlich dis-
creditirt wurden, war in diesen Kreisen keine Rede. Wenn Jemand im 14.
Jahrhundert bei der deutschen Bürgerschaft hätte freiwillige Gaben für den
Papst sammeln wollen, er hätte sehr wenig zusammengebracht, ja selbst ein
vom Papste ausgegangener Ablaß hätte in den höheren Schichten der städti¬
schen Bevölkerung nur sehr beschränkten Credit gehabt.

Wir haben hier allerdings ein Entwicklungsmoment vor uns, welches der
späteren Reformation in den deutschen Städten wirksam den Weg gebahnt
und den größten Schritt, den Luther zu thun hatte, das Heraustreten aus
dem altehrwürdigen Gebäude der allgemeinen Kirche wesentlich erleichtert hat.

Wer so die Signatur des 14. Jahrhunderts erkannt hat, der kann
sich leicht versucht fühlen, den folgenden Zeitraum bis zur Reformation etwa
so zu charakterisiren, daß er behauptet: das Bedürfniß einer kirchlichen Reform
ward eigentlich allgemein in ganz Europa empfunden, wie anderwärts so
entfremdeten sich auch in Schlesien mehr und mehr gerade die besseren Schichten
der Bevölkerung von der Hierarchie und standen deren Bestrebungen häufig
directer Opposition gegenüber; die fromme Anhänglichkeit galt nur dem
nächsten kirchlichen Kreise. Es fehlte blos noch, daß diese Opposition auch
das eigentlich religiöse Gebiet ergriff, und dazu hat hier in Schlesien die
hussitische Bewegung mitgewirkt; durch die langjährige enge Berührung mit
den Hussiten sind vielfach Saamenkörner freien Denkens ausgestreut worden,
die da und dort aufgingen und eine veränderte religiöse Anschauungsweise
vorbereiteten, auf welcher dann die große Reformation des 16. Jahrhunderts
fußen konnte. -- Es liegt nahe, so zu schließen.

In dieser Weise hatte sich nun auch die ältere schlesische Geschichts¬
schreibung die Sachen zurecht gelegt, und während man von katholischer
Seite in der Darstellung der Hussitenkriege sich meist auf eine möglichst grelle
Ausmalung der Gräuel beschränkte, versehlten protestantische Historiker selten,
den Klagen um jene Verwüstungen ein Wort über die reformatonsch-propä-
deutische Wirkung des Hussitenthums anzufügen.

Indeß eine derartige Auffassung findet in den Thatsachen keineswegs
ihre Bestätigung.

Sowie König Sigismund zur Regierung gekommen ist, nimmt er in
der böhmischen Frage eine Stellung, wie sie schroffer nicht gedacht werden
kann. Er wirft sich ganz und gar in die Arme der Kirche und verlangt
vom Papst die Organisirung eines Glaubenskrieges gegen seine empörten
böhmischen Unterthanen. Dies geschieht, und Breslau wird von Anfang an
der Heerd der Gegenrevolution. Hier wird der Reichstag versammelt, der
den großen Krieg beschließen soll, hier wird am Lätaresonntage 1420 aus
offnem Markte gegen die Ketzer gepredigt, den am Kriege Theilnehmenden


die notorische Bestechlichkeit, die am Hofe zu Avignon herrschte, gründlich dis-
creditirt wurden, war in diesen Kreisen keine Rede. Wenn Jemand im 14.
Jahrhundert bei der deutschen Bürgerschaft hätte freiwillige Gaben für den
Papst sammeln wollen, er hätte sehr wenig zusammengebracht, ja selbst ein
vom Papste ausgegangener Ablaß hätte in den höheren Schichten der städti¬
schen Bevölkerung nur sehr beschränkten Credit gehabt.

Wir haben hier allerdings ein Entwicklungsmoment vor uns, welches der
späteren Reformation in den deutschen Städten wirksam den Weg gebahnt
und den größten Schritt, den Luther zu thun hatte, das Heraustreten aus
dem altehrwürdigen Gebäude der allgemeinen Kirche wesentlich erleichtert hat.

Wer so die Signatur des 14. Jahrhunderts erkannt hat, der kann
sich leicht versucht fühlen, den folgenden Zeitraum bis zur Reformation etwa
so zu charakterisiren, daß er behauptet: das Bedürfniß einer kirchlichen Reform
ward eigentlich allgemein in ganz Europa empfunden, wie anderwärts so
entfremdeten sich auch in Schlesien mehr und mehr gerade die besseren Schichten
der Bevölkerung von der Hierarchie und standen deren Bestrebungen häufig
directer Opposition gegenüber; die fromme Anhänglichkeit galt nur dem
nächsten kirchlichen Kreise. Es fehlte blos noch, daß diese Opposition auch
das eigentlich religiöse Gebiet ergriff, und dazu hat hier in Schlesien die
hussitische Bewegung mitgewirkt; durch die langjährige enge Berührung mit
den Hussiten sind vielfach Saamenkörner freien Denkens ausgestreut worden,
die da und dort aufgingen und eine veränderte religiöse Anschauungsweise
vorbereiteten, auf welcher dann die große Reformation des 16. Jahrhunderts
fußen konnte. — Es liegt nahe, so zu schließen.

In dieser Weise hatte sich nun auch die ältere schlesische Geschichts¬
schreibung die Sachen zurecht gelegt, und während man von katholischer
Seite in der Darstellung der Hussitenkriege sich meist auf eine möglichst grelle
Ausmalung der Gräuel beschränkte, versehlten protestantische Historiker selten,
den Klagen um jene Verwüstungen ein Wort über die reformatonsch-propä-
deutische Wirkung des Hussitenthums anzufügen.

Indeß eine derartige Auffassung findet in den Thatsachen keineswegs
ihre Bestätigung.

Sowie König Sigismund zur Regierung gekommen ist, nimmt er in
der böhmischen Frage eine Stellung, wie sie schroffer nicht gedacht werden
kann. Er wirft sich ganz und gar in die Arme der Kirche und verlangt
vom Papst die Organisirung eines Glaubenskrieges gegen seine empörten
böhmischen Unterthanen. Dies geschieht, und Breslau wird von Anfang an
der Heerd der Gegenrevolution. Hier wird der Reichstag versammelt, der
den großen Krieg beschließen soll, hier wird am Lätaresonntage 1420 aus
offnem Markte gegen die Ketzer gepredigt, den am Kriege Theilnehmenden


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0214" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/123834"/>
          <p xml:id="ID_642" prev="#ID_641"> die notorische Bestechlichkeit, die am Hofe zu Avignon herrschte, gründlich dis-<lb/>
creditirt wurden, war in diesen Kreisen keine Rede. Wenn Jemand im 14.<lb/>
Jahrhundert bei der deutschen Bürgerschaft hätte freiwillige Gaben für den<lb/>
Papst sammeln wollen, er hätte sehr wenig zusammengebracht, ja selbst ein<lb/>
vom Papste ausgegangener Ablaß hätte in den höheren Schichten der städti¬<lb/>
schen Bevölkerung nur sehr beschränkten Credit gehabt.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_643"> Wir haben hier allerdings ein Entwicklungsmoment vor uns, welches der<lb/>
späteren Reformation in den deutschen Städten wirksam den Weg gebahnt<lb/>
und den größten Schritt, den Luther zu thun hatte, das Heraustreten aus<lb/>
dem altehrwürdigen Gebäude der allgemeinen Kirche wesentlich erleichtert hat.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_644"> Wer so die Signatur des 14. Jahrhunderts erkannt hat, der kann<lb/>
sich leicht versucht fühlen, den folgenden Zeitraum bis zur Reformation etwa<lb/>
so zu charakterisiren, daß er behauptet: das Bedürfniß einer kirchlichen Reform<lb/>
ward eigentlich allgemein in ganz Europa empfunden, wie anderwärts so<lb/>
entfremdeten sich auch in Schlesien mehr und mehr gerade die besseren Schichten<lb/>
der Bevölkerung von der Hierarchie und standen deren Bestrebungen häufig<lb/>
directer Opposition gegenüber; die fromme Anhänglichkeit galt nur dem<lb/>
nächsten kirchlichen Kreise. Es fehlte blos noch, daß diese Opposition auch<lb/>
das eigentlich religiöse Gebiet ergriff, und dazu hat hier in Schlesien die<lb/>
hussitische Bewegung mitgewirkt; durch die langjährige enge Berührung mit<lb/>
den Hussiten sind vielfach Saamenkörner freien Denkens ausgestreut worden,<lb/>
die da und dort aufgingen und eine veränderte religiöse Anschauungsweise<lb/>
vorbereiteten, auf welcher dann die große Reformation des 16. Jahrhunderts<lb/>
fußen konnte. &#x2014; Es liegt nahe, so zu schließen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_645"> In dieser Weise hatte sich nun auch die ältere schlesische Geschichts¬<lb/>
schreibung die Sachen zurecht gelegt, und während man von katholischer<lb/>
Seite in der Darstellung der Hussitenkriege sich meist auf eine möglichst grelle<lb/>
Ausmalung der Gräuel beschränkte, versehlten protestantische Historiker selten,<lb/>
den Klagen um jene Verwüstungen ein Wort über die reformatonsch-propä-<lb/>
deutische Wirkung des Hussitenthums anzufügen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_646"> Indeß eine derartige Auffassung findet in den Thatsachen keineswegs<lb/>
ihre Bestätigung.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_647" next="#ID_648"> Sowie König Sigismund zur Regierung gekommen ist, nimmt er in<lb/>
der böhmischen Frage eine Stellung, wie sie schroffer nicht gedacht werden<lb/>
kann. Er wirft sich ganz und gar in die Arme der Kirche und verlangt<lb/>
vom Papst die Organisirung eines Glaubenskrieges gegen seine empörten<lb/>
böhmischen Unterthanen. Dies geschieht, und Breslau wird von Anfang an<lb/>
der Heerd der Gegenrevolution. Hier wird der Reichstag versammelt, der<lb/>
den großen Krieg beschließen soll, hier wird am Lätaresonntage 1420 aus<lb/>
offnem Markte gegen die Ketzer gepredigt, den am Kriege Theilnehmenden</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0214] die notorische Bestechlichkeit, die am Hofe zu Avignon herrschte, gründlich dis- creditirt wurden, war in diesen Kreisen keine Rede. Wenn Jemand im 14. Jahrhundert bei der deutschen Bürgerschaft hätte freiwillige Gaben für den Papst sammeln wollen, er hätte sehr wenig zusammengebracht, ja selbst ein vom Papste ausgegangener Ablaß hätte in den höheren Schichten der städti¬ schen Bevölkerung nur sehr beschränkten Credit gehabt. Wir haben hier allerdings ein Entwicklungsmoment vor uns, welches der späteren Reformation in den deutschen Städten wirksam den Weg gebahnt und den größten Schritt, den Luther zu thun hatte, das Heraustreten aus dem altehrwürdigen Gebäude der allgemeinen Kirche wesentlich erleichtert hat. Wer so die Signatur des 14. Jahrhunderts erkannt hat, der kann sich leicht versucht fühlen, den folgenden Zeitraum bis zur Reformation etwa so zu charakterisiren, daß er behauptet: das Bedürfniß einer kirchlichen Reform ward eigentlich allgemein in ganz Europa empfunden, wie anderwärts so entfremdeten sich auch in Schlesien mehr und mehr gerade die besseren Schichten der Bevölkerung von der Hierarchie und standen deren Bestrebungen häufig directer Opposition gegenüber; die fromme Anhänglichkeit galt nur dem nächsten kirchlichen Kreise. Es fehlte blos noch, daß diese Opposition auch das eigentlich religiöse Gebiet ergriff, und dazu hat hier in Schlesien die hussitische Bewegung mitgewirkt; durch die langjährige enge Berührung mit den Hussiten sind vielfach Saamenkörner freien Denkens ausgestreut worden, die da und dort aufgingen und eine veränderte religiöse Anschauungsweise vorbereiteten, auf welcher dann die große Reformation des 16. Jahrhunderts fußen konnte. — Es liegt nahe, so zu schließen. In dieser Weise hatte sich nun auch die ältere schlesische Geschichts¬ schreibung die Sachen zurecht gelegt, und während man von katholischer Seite in der Darstellung der Hussitenkriege sich meist auf eine möglichst grelle Ausmalung der Gräuel beschränkte, versehlten protestantische Historiker selten, den Klagen um jene Verwüstungen ein Wort über die reformatonsch-propä- deutische Wirkung des Hussitenthums anzufügen. Indeß eine derartige Auffassung findet in den Thatsachen keineswegs ihre Bestätigung. Sowie König Sigismund zur Regierung gekommen ist, nimmt er in der böhmischen Frage eine Stellung, wie sie schroffer nicht gedacht werden kann. Er wirft sich ganz und gar in die Arme der Kirche und verlangt vom Papst die Organisirung eines Glaubenskrieges gegen seine empörten böhmischen Unterthanen. Dies geschieht, und Breslau wird von Anfang an der Heerd der Gegenrevolution. Hier wird der Reichstag versammelt, der den großen Krieg beschließen soll, hier wird am Lätaresonntage 1420 aus offnem Markte gegen die Ketzer gepredigt, den am Kriege Theilnehmenden

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_123619
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_123619/214
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_123619/214>, abgerufen am 01.09.2024.