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Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, I. Semester. II. Band.

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der Böhmen mit ihren Gegnern: zu Eger, Krakau und noch auf dem Baseler
Concil erscheint die Berufung auf die heilige Schrift als die Hauptwaffe
der Hussiten, grade dieser große principielle Gegensatz droht ja längere Zeit
jede Verständigung mit der alten Kirche unmöglich zu machen.

Nicht daß sie alle Consequenzen dieses Princips gezogen und daran
unverbrüchlich fest gehalten hätten, werden wir behaupten können, wohl aber,
daß Hus und seine Anhänger gerade einen der wichtigsten Fundamentalsätze,
auf welchen später Luthers Reformation fußte, begriffen und anerkannnt haben,
und daß ihre Lehrmeinungen dem Protestantismus im innersten Wesen nach
durchaus verwandt sind.

Doch nicht die hussitische Bewegung selbst haben wir zu verfolgen, son¬
dern nur ihren Reflex auf ein Nachbarland, aus Schlesien, und zwar nur
nach der religiösen Seite hin. Eingedenk der gewaltigen Expansionskraft
einer neuen und großen Idee fragen wir suchend, ob denn Schlesien von
jenen reformatorischen Principien, welche in der hussitischen Bewegung zu
Tage kamen, gar nicht berührt worden ist. War es möglich, daß dasselbe
Land, in welchem beim Beginn des 16. Jahrhunderts Luthers Ideen so
schnell und leicht Eingang fanden. 100 Jahre vorher, als in dem Nach¬
barlande Tendenzen der Lutherischen Zeit zur vieljährigen Herrschaft kamen,
sich diesen ganz und vollkommen verschloß? Keines der Nachbarländer
Böhmens hat die Hussiten und ihre Art so gründlich kennen zu lernen
Gelegenheit gehabt als unser Schlesien. Sieben Jahre hindurch haben ihre
Heere fast immer siegreich dasselbe nach allen Richtungen durchzogen, kaum ist
ein noch so entfernter Winkel geblieben, den die unwillkommenen Gäste nicht
besucht hätten, und eine Anzahl fester Burgen in Schlesien haben die Böh¬
men Jahr aus Jahr ein besetzt gehalten, Häuser, mit deren Besatzungen die
Umwohner doch unvermeidlich einen raoäus vivendi, eine Art des Verkehrs
finden mußten. Nun pflegt ja doch schon der Erfolg an sich der siegreichen
Sache ein gewisses Ansehen zu verleihen, wenn nun noch auf den Fahnen, unter
welchen die Böhmen kämpften und siegten, das Losungswort kirchlicher oder
religiöser Freiheit stand, sollte das hier ganz ohne jeden Eindruck geblieben sein?
Behielten dieselben Worte, welche jenseits der Sudeten das Volk zu dem
höchsten Grade religiöser Begeisterung entflammten, diesseits derselben gar
Nichts von jenem Zauber? Haben die Stürme, die damals über Schlesien
hinbrausten, Nichts als Zerstörung und Verwüstung gebracht, führten sie
nicht auch Saamenkörner mit sich, die hier und da auf guten Boden gefallen,
allmälig ausgingen und dann zur Blüthe und Frucht kamen, als der große
Frühling der deutschen Reformation auf gewaltigen Schwingen durch die
Welt zog? Kurz -- hat nicht das Hussitenthum hier den Boden ber"net
der Kirchenverbesserung des 16. Jahrhunderts?


der Böhmen mit ihren Gegnern: zu Eger, Krakau und noch auf dem Baseler
Concil erscheint die Berufung auf die heilige Schrift als die Hauptwaffe
der Hussiten, grade dieser große principielle Gegensatz droht ja längere Zeit
jede Verständigung mit der alten Kirche unmöglich zu machen.

Nicht daß sie alle Consequenzen dieses Princips gezogen und daran
unverbrüchlich fest gehalten hätten, werden wir behaupten können, wohl aber,
daß Hus und seine Anhänger gerade einen der wichtigsten Fundamentalsätze,
auf welchen später Luthers Reformation fußte, begriffen und anerkannnt haben,
und daß ihre Lehrmeinungen dem Protestantismus im innersten Wesen nach
durchaus verwandt sind.

Doch nicht die hussitische Bewegung selbst haben wir zu verfolgen, son¬
dern nur ihren Reflex auf ein Nachbarland, aus Schlesien, und zwar nur
nach der religiösen Seite hin. Eingedenk der gewaltigen Expansionskraft
einer neuen und großen Idee fragen wir suchend, ob denn Schlesien von
jenen reformatorischen Principien, welche in der hussitischen Bewegung zu
Tage kamen, gar nicht berührt worden ist. War es möglich, daß dasselbe
Land, in welchem beim Beginn des 16. Jahrhunderts Luthers Ideen so
schnell und leicht Eingang fanden. 100 Jahre vorher, als in dem Nach¬
barlande Tendenzen der Lutherischen Zeit zur vieljährigen Herrschaft kamen,
sich diesen ganz und vollkommen verschloß? Keines der Nachbarländer
Böhmens hat die Hussiten und ihre Art so gründlich kennen zu lernen
Gelegenheit gehabt als unser Schlesien. Sieben Jahre hindurch haben ihre
Heere fast immer siegreich dasselbe nach allen Richtungen durchzogen, kaum ist
ein noch so entfernter Winkel geblieben, den die unwillkommenen Gäste nicht
besucht hätten, und eine Anzahl fester Burgen in Schlesien haben die Böh¬
men Jahr aus Jahr ein besetzt gehalten, Häuser, mit deren Besatzungen die
Umwohner doch unvermeidlich einen raoäus vivendi, eine Art des Verkehrs
finden mußten. Nun pflegt ja doch schon der Erfolg an sich der siegreichen
Sache ein gewisses Ansehen zu verleihen, wenn nun noch auf den Fahnen, unter
welchen die Böhmen kämpften und siegten, das Losungswort kirchlicher oder
religiöser Freiheit stand, sollte das hier ganz ohne jeden Eindruck geblieben sein?
Behielten dieselben Worte, welche jenseits der Sudeten das Volk zu dem
höchsten Grade religiöser Begeisterung entflammten, diesseits derselben gar
Nichts von jenem Zauber? Haben die Stürme, die damals über Schlesien
hinbrausten, Nichts als Zerstörung und Verwüstung gebracht, führten sie
nicht auch Saamenkörner mit sich, die hier und da auf guten Boden gefallen,
allmälig ausgingen und dann zur Blüthe und Frucht kamen, als der große
Frühling der deutschen Reformation auf gewaltigen Schwingen durch die
Welt zog? Kurz — hat nicht das Hussitenthum hier den Boden ber»net
der Kirchenverbesserung des 16. Jahrhunderts?


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[0210] der Böhmen mit ihren Gegnern: zu Eger, Krakau und noch auf dem Baseler Concil erscheint die Berufung auf die heilige Schrift als die Hauptwaffe der Hussiten, grade dieser große principielle Gegensatz droht ja längere Zeit jede Verständigung mit der alten Kirche unmöglich zu machen. Nicht daß sie alle Consequenzen dieses Princips gezogen und daran unverbrüchlich fest gehalten hätten, werden wir behaupten können, wohl aber, daß Hus und seine Anhänger gerade einen der wichtigsten Fundamentalsätze, auf welchen später Luthers Reformation fußte, begriffen und anerkannnt haben, und daß ihre Lehrmeinungen dem Protestantismus im innersten Wesen nach durchaus verwandt sind. Doch nicht die hussitische Bewegung selbst haben wir zu verfolgen, son¬ dern nur ihren Reflex auf ein Nachbarland, aus Schlesien, und zwar nur nach der religiösen Seite hin. Eingedenk der gewaltigen Expansionskraft einer neuen und großen Idee fragen wir suchend, ob denn Schlesien von jenen reformatorischen Principien, welche in der hussitischen Bewegung zu Tage kamen, gar nicht berührt worden ist. War es möglich, daß dasselbe Land, in welchem beim Beginn des 16. Jahrhunderts Luthers Ideen so schnell und leicht Eingang fanden. 100 Jahre vorher, als in dem Nach¬ barlande Tendenzen der Lutherischen Zeit zur vieljährigen Herrschaft kamen, sich diesen ganz und vollkommen verschloß? Keines der Nachbarländer Böhmens hat die Hussiten und ihre Art so gründlich kennen zu lernen Gelegenheit gehabt als unser Schlesien. Sieben Jahre hindurch haben ihre Heere fast immer siegreich dasselbe nach allen Richtungen durchzogen, kaum ist ein noch so entfernter Winkel geblieben, den die unwillkommenen Gäste nicht besucht hätten, und eine Anzahl fester Burgen in Schlesien haben die Böh¬ men Jahr aus Jahr ein besetzt gehalten, Häuser, mit deren Besatzungen die Umwohner doch unvermeidlich einen raoäus vivendi, eine Art des Verkehrs finden mußten. Nun pflegt ja doch schon der Erfolg an sich der siegreichen Sache ein gewisses Ansehen zu verleihen, wenn nun noch auf den Fahnen, unter welchen die Böhmen kämpften und siegten, das Losungswort kirchlicher oder religiöser Freiheit stand, sollte das hier ganz ohne jeden Eindruck geblieben sein? Behielten dieselben Worte, welche jenseits der Sudeten das Volk zu dem höchsten Grade religiöser Begeisterung entflammten, diesseits derselben gar Nichts von jenem Zauber? Haben die Stürme, die damals über Schlesien hinbrausten, Nichts als Zerstörung und Verwüstung gebracht, führten sie nicht auch Saamenkörner mit sich, die hier und da auf guten Boden gefallen, allmälig ausgingen und dann zur Blüthe und Frucht kamen, als der große Frühling der deutschen Reformation auf gewaltigen Schwingen durch die Welt zog? Kurz — hat nicht das Hussitenthum hier den Boden ber»net der Kirchenverbesserung des 16. Jahrhunderts?

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_123619/210>, abgerufen am 01.09.2024.