Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, I. Semester. II. Band.Die darüber eingeleitete Untersuchung entzog sich bisher jeder weiteren Beur¬ Die schwarze Wolke hing am dicksten über Landeck zu, wie denn über¬ Die darüber eingeleitete Untersuchung entzog sich bisher jeder weiteren Beur¬ Die schwarze Wolke hing am dicksten über Landeck zu, wie denn über¬ <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0198" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/123818"/> <p xml:id="ID_592" prev="#ID_591"> Die darüber eingeleitete Untersuchung entzog sich bisher jeder weiteren Beur¬<lb/> theilung, und es scheint, daß man die wahren Urheber noch nicht ausfindig<lb/> machen konnte. An mehreren Orten des Etschthales ließen die Geistlichen<lb/> schlechtweg Vacanz ansagen, wenn sich der Inspektor zeigte, oder durch<lb/> Eilboten verkündet wurde; der Pfarrer in schöuna nächst Meran wies<lb/> ihm geradezu die Thüre. In Haid, einem Dorfe zuoberst im Vintschgau,<lb/> waren es wieder die Weiber, welche den Inspector Nigg am 17. v. M.<lb/> nicht zur Prüfung kommen ließen, indem sie die Kinder vor seinen Augen<lb/> aus der Schule holten; eine Wittwe führte ihn vor das Krucifix, und<lb/> erklärte ihm dort das neunte Gebot. Hart an der Schweizer Grenze, im<lb/> Dorfe Nauders wurden nach dem Eintreffen des Inspectors am 23. v. M.<lb/> während der Frühmesse Zettel angeschlagen, welche das Volk zur Vertheidi¬<lb/> gung gegen diesen neuen „Martin Luther" aufforderten; als nun gleichwohl<lb/> die Prüfung in Gegenwart des Bezirkshauptmanns und unter dem Schutze<lb/> von Gensdarmen stattfand, rottete sich das Volk in den Gassen zusammen,<lb/> und hetzte zum Sturmläuten und „Herunterhauen" der Prüfungscommission;<lb/> nur mit Mühe gelang es einigen verständigen Männern dieses zu hindern.<lb/> Ein humoristisches Seitenstück lieferten am 29. v. M. der Gemeindeausschuß<lb/> und die Weiber von Silz unweit Imst im Oberinnthale. Nachdem nämlich<lb/> der Gemeindeausschuß dem Inspector Durig und dem herbeigeeilten Bezirks-<lb/> commissar das Wort gegeben, sich bei der Prüfung einzufinden, bat er am<lb/> Tage der Prüfung um Entbindung von diesem Versprechen, indem er sonst<lb/> „die Rache der Weiber fürchten müsse." Wirklich erschien auch ein Heller<lb/> Haufe Weiber in der Schule mit einer Sprecherin an der Spitze, welche sofort<lb/> den beiden Herren erklärte, daß der Kaiser von Ungläubigen und Protestan¬<lb/> ten umgeben sei und die neue Schuleinrichtung erst von dem in Rom lager¬<lb/> ten Concil genehmigt werden müsse. Nach einigem Hader unter den Weibern<lb/> selbst entfernten sie sich mit den Kindern aus dem Schulzimmer.</p><lb/> <p xml:id="ID_593" next="#ID_594"> Die schwarze Wolke hing am dicksten über Landeck zu, wie denn über¬<lb/> haupt im Oberinnthal der eigentliche Herd dieser Bewegung ist. Ein ganzes<lb/> Dutzend Gemeinden hatte dem dortigen Bezirkshauptmann einen von dem<lb/> in Wien erscheinenden „Vaterland" in seiner ganzen Ausdehnung abgedruckten<lb/> Protest gegen die „neuärarischen Schulvisitationen" übergeben, da die neue<lb/> Schulordnung gegen die Landtagöbeschlüsse und „gegen die Rechte und Inter¬<lb/> essen der katholischen Kirche verstoße." Bald darauf wurde der Protest von nicht<lb/> weniger als 35 Gemeinden jenes Bezirks wiederholt. Als nun am 21. März<lb/> einer der hauptsächlichen Ruhestörer, der Küster Fidel Schmid. daselbst verhaftet<lb/> wurde, füllte sich schon drei Stunden nachher die Amtsstube des Bezirks¬<lb/> richters Zerzer mit Männern aus drei verschiedenen Nachbargemeinden, denen<lb/> sich später auch der Vorsteher des katholischen Vereins in Zams und der</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0198]
Die darüber eingeleitete Untersuchung entzog sich bisher jeder weiteren Beur¬
theilung, und es scheint, daß man die wahren Urheber noch nicht ausfindig
machen konnte. An mehreren Orten des Etschthales ließen die Geistlichen
schlechtweg Vacanz ansagen, wenn sich der Inspektor zeigte, oder durch
Eilboten verkündet wurde; der Pfarrer in schöuna nächst Meran wies
ihm geradezu die Thüre. In Haid, einem Dorfe zuoberst im Vintschgau,
waren es wieder die Weiber, welche den Inspector Nigg am 17. v. M.
nicht zur Prüfung kommen ließen, indem sie die Kinder vor seinen Augen
aus der Schule holten; eine Wittwe führte ihn vor das Krucifix, und
erklärte ihm dort das neunte Gebot. Hart an der Schweizer Grenze, im
Dorfe Nauders wurden nach dem Eintreffen des Inspectors am 23. v. M.
während der Frühmesse Zettel angeschlagen, welche das Volk zur Vertheidi¬
gung gegen diesen neuen „Martin Luther" aufforderten; als nun gleichwohl
die Prüfung in Gegenwart des Bezirkshauptmanns und unter dem Schutze
von Gensdarmen stattfand, rottete sich das Volk in den Gassen zusammen,
und hetzte zum Sturmläuten und „Herunterhauen" der Prüfungscommission;
nur mit Mühe gelang es einigen verständigen Männern dieses zu hindern.
Ein humoristisches Seitenstück lieferten am 29. v. M. der Gemeindeausschuß
und die Weiber von Silz unweit Imst im Oberinnthale. Nachdem nämlich
der Gemeindeausschuß dem Inspector Durig und dem herbeigeeilten Bezirks-
commissar das Wort gegeben, sich bei der Prüfung einzufinden, bat er am
Tage der Prüfung um Entbindung von diesem Versprechen, indem er sonst
„die Rache der Weiber fürchten müsse." Wirklich erschien auch ein Heller
Haufe Weiber in der Schule mit einer Sprecherin an der Spitze, welche sofort
den beiden Herren erklärte, daß der Kaiser von Ungläubigen und Protestan¬
ten umgeben sei und die neue Schuleinrichtung erst von dem in Rom lager¬
ten Concil genehmigt werden müsse. Nach einigem Hader unter den Weibern
selbst entfernten sie sich mit den Kindern aus dem Schulzimmer.
Die schwarze Wolke hing am dicksten über Landeck zu, wie denn über¬
haupt im Oberinnthal der eigentliche Herd dieser Bewegung ist. Ein ganzes
Dutzend Gemeinden hatte dem dortigen Bezirkshauptmann einen von dem
in Wien erscheinenden „Vaterland" in seiner ganzen Ausdehnung abgedruckten
Protest gegen die „neuärarischen Schulvisitationen" übergeben, da die neue
Schulordnung gegen die Landtagöbeschlüsse und „gegen die Rechte und Inter¬
essen der katholischen Kirche verstoße." Bald darauf wurde der Protest von nicht
weniger als 35 Gemeinden jenes Bezirks wiederholt. Als nun am 21. März
einer der hauptsächlichen Ruhestörer, der Küster Fidel Schmid. daselbst verhaftet
wurde, füllte sich schon drei Stunden nachher die Amtsstube des Bezirks¬
richters Zerzer mit Männern aus drei verschiedenen Nachbargemeinden, denen
sich später auch der Vorsteher des katholischen Vereins in Zams und der
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