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Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, I. Semester. II. Band.

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den Landes- und Bezirksinspectoren, übertrug, war unser Clerus vor Aerger
aus Rand und Band gerathen. Der Bischof von Brixen und seine Schlepp¬
träger in Trient verboten der seelsorgenden Geistlichkeit an den Prüfungen
theilzunehmen, die Prüfungen in der Religion wurden also mit großer Osten¬
tation von dem Examen abgesondert und früher als die gesetzlichen von den
bischöflichen Commissarien gehalten. Die Regierung vermied gleichwohl jede
Reibung, da die Besorgung des Religionsunterrichtes jeder Kirche freistehe;
und die im Lande herumreisenden neuen Jnspectoren ließen, da sich die
Katecheten von den gesetzlichen öffentlichen Prüfungen fern hielten, in der
Religion durch weltliche Lehrer abfragen. So war die Gefahr nahe gelegt,
daß der Clerus seinen Zweck nicht erreichen dürste. Er sann daher auf nach¬
drücklichere Mittel und ohne es zu wollen, gab ihm das Unterrichtsministerium
selbst dazu Anlaß. Nach dem Grundsatze, daß der Unterricht in allen Lehr"
gegenständen außer der Religion vom Einflüsse jeder Kirche unabhängig sein
müsse, ging man in Wien an eine verbesserte zweite Ausgabe des Lesebuches
für Volksschulen, welches im Anfange der fünfziger Jahre von Concordats-
freunden verfaßt war; man ließ daraus alle Absätze und Stellen weg. die
nach Jesuitenart unter die Uebungsstücke erbauliche Anekdoten und päpstliche
Lehrmeinungen mengten. Der ehemalige Reichsrathsabgeordnete Monfignore
Greuter hatte davon kaum Kunde erlangt, als er die Kunde unge¬
säumt den hochwürdigen Herren in seinem Geburtsorte Tarrenz bei Imst
im Oberinnthale mittheilte, worauf der dortige Gemeindevorstand am
9. December v. I. einen Protest gegen diese neuen Lesebücher, die er noch
gar nicht kannte, erhob. Dazu wurde von den Geistlichen der Glaubens¬
satz aufgestellt, alle Schulbücher müßten vor ihrer Einführung vom Bischöfe
approbirt werden, und der Bürgermeister von Kältern im Etschthale hielt
daran so fest, daß er sogar 11 landwirthschaftliche Wandtafeln, deren der
Kaiser 900 aus seiner Privatcasse für die Volksschulen in Tirol angeschafft,
der k. k. Statthalterei mit einer Ablehnung dieses Geschenks zurücksandte. Als
der Bezirkshauptmann von Imst seinen Amtsdiener am 7. Januar d. I.
mit den neuen Lesebüchern nach Tarrenz sandte, ward er von zwei Geist¬
lichen aus der Schule hinausgedrängt, dann von Weibern und Kindern durch
das ganze Dorf mit Schimpfworten verfolgt und für den Fall der Wiederkehr
mit Thätlichkeiten bedroht. Es sollte aber bald noch besser kommen. Am
8. Februar d. I. besuchte der Inspector Urthaler die Schule von Se. Peter
in Asm, einem abgelegenen Dörflein des Tauferer Thals, unweit Bruneck.
Da standen gegenüber den Schulbänken die Mütter mit Knitteln unter ihren
Schürzen, und als sich der "Lutherische", wie sie ihn schalten, vor ihrem
Geschrei und Andringen gegen die Stiege zurückzog, warf ihm eine derselben
noch ihr Holzstück auf den Nacken, so daß er eine blutende Wunde davontrug.


den Landes- und Bezirksinspectoren, übertrug, war unser Clerus vor Aerger
aus Rand und Band gerathen. Der Bischof von Brixen und seine Schlepp¬
träger in Trient verboten der seelsorgenden Geistlichkeit an den Prüfungen
theilzunehmen, die Prüfungen in der Religion wurden also mit großer Osten¬
tation von dem Examen abgesondert und früher als die gesetzlichen von den
bischöflichen Commissarien gehalten. Die Regierung vermied gleichwohl jede
Reibung, da die Besorgung des Religionsunterrichtes jeder Kirche freistehe;
und die im Lande herumreisenden neuen Jnspectoren ließen, da sich die
Katecheten von den gesetzlichen öffentlichen Prüfungen fern hielten, in der
Religion durch weltliche Lehrer abfragen. So war die Gefahr nahe gelegt,
daß der Clerus seinen Zweck nicht erreichen dürste. Er sann daher auf nach¬
drücklichere Mittel und ohne es zu wollen, gab ihm das Unterrichtsministerium
selbst dazu Anlaß. Nach dem Grundsatze, daß der Unterricht in allen Lehr«
gegenständen außer der Religion vom Einflüsse jeder Kirche unabhängig sein
müsse, ging man in Wien an eine verbesserte zweite Ausgabe des Lesebuches
für Volksschulen, welches im Anfange der fünfziger Jahre von Concordats-
freunden verfaßt war; man ließ daraus alle Absätze und Stellen weg. die
nach Jesuitenart unter die Uebungsstücke erbauliche Anekdoten und päpstliche
Lehrmeinungen mengten. Der ehemalige Reichsrathsabgeordnete Monfignore
Greuter hatte davon kaum Kunde erlangt, als er die Kunde unge¬
säumt den hochwürdigen Herren in seinem Geburtsorte Tarrenz bei Imst
im Oberinnthale mittheilte, worauf der dortige Gemeindevorstand am
9. December v. I. einen Protest gegen diese neuen Lesebücher, die er noch
gar nicht kannte, erhob. Dazu wurde von den Geistlichen der Glaubens¬
satz aufgestellt, alle Schulbücher müßten vor ihrer Einführung vom Bischöfe
approbirt werden, und der Bürgermeister von Kältern im Etschthale hielt
daran so fest, daß er sogar 11 landwirthschaftliche Wandtafeln, deren der
Kaiser 900 aus seiner Privatcasse für die Volksschulen in Tirol angeschafft,
der k. k. Statthalterei mit einer Ablehnung dieses Geschenks zurücksandte. Als
der Bezirkshauptmann von Imst seinen Amtsdiener am 7. Januar d. I.
mit den neuen Lesebüchern nach Tarrenz sandte, ward er von zwei Geist¬
lichen aus der Schule hinausgedrängt, dann von Weibern und Kindern durch
das ganze Dorf mit Schimpfworten verfolgt und für den Fall der Wiederkehr
mit Thätlichkeiten bedroht. Es sollte aber bald noch besser kommen. Am
8. Februar d. I. besuchte der Inspector Urthaler die Schule von Se. Peter
in Asm, einem abgelegenen Dörflein des Tauferer Thals, unweit Bruneck.
Da standen gegenüber den Schulbänken die Mütter mit Knitteln unter ihren
Schürzen, und als sich der „Lutherische", wie sie ihn schalten, vor ihrem
Geschrei und Andringen gegen die Stiege zurückzog, warf ihm eine derselben
noch ihr Holzstück auf den Nacken, so daß er eine blutende Wunde davontrug.


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[0197] den Landes- und Bezirksinspectoren, übertrug, war unser Clerus vor Aerger aus Rand und Band gerathen. Der Bischof von Brixen und seine Schlepp¬ träger in Trient verboten der seelsorgenden Geistlichkeit an den Prüfungen theilzunehmen, die Prüfungen in der Religion wurden also mit großer Osten¬ tation von dem Examen abgesondert und früher als die gesetzlichen von den bischöflichen Commissarien gehalten. Die Regierung vermied gleichwohl jede Reibung, da die Besorgung des Religionsunterrichtes jeder Kirche freistehe; und die im Lande herumreisenden neuen Jnspectoren ließen, da sich die Katecheten von den gesetzlichen öffentlichen Prüfungen fern hielten, in der Religion durch weltliche Lehrer abfragen. So war die Gefahr nahe gelegt, daß der Clerus seinen Zweck nicht erreichen dürste. Er sann daher auf nach¬ drücklichere Mittel und ohne es zu wollen, gab ihm das Unterrichtsministerium selbst dazu Anlaß. Nach dem Grundsatze, daß der Unterricht in allen Lehr« gegenständen außer der Religion vom Einflüsse jeder Kirche unabhängig sein müsse, ging man in Wien an eine verbesserte zweite Ausgabe des Lesebuches für Volksschulen, welches im Anfange der fünfziger Jahre von Concordats- freunden verfaßt war; man ließ daraus alle Absätze und Stellen weg. die nach Jesuitenart unter die Uebungsstücke erbauliche Anekdoten und päpstliche Lehrmeinungen mengten. Der ehemalige Reichsrathsabgeordnete Monfignore Greuter hatte davon kaum Kunde erlangt, als er die Kunde unge¬ säumt den hochwürdigen Herren in seinem Geburtsorte Tarrenz bei Imst im Oberinnthale mittheilte, worauf der dortige Gemeindevorstand am 9. December v. I. einen Protest gegen diese neuen Lesebücher, die er noch gar nicht kannte, erhob. Dazu wurde von den Geistlichen der Glaubens¬ satz aufgestellt, alle Schulbücher müßten vor ihrer Einführung vom Bischöfe approbirt werden, und der Bürgermeister von Kältern im Etschthale hielt daran so fest, daß er sogar 11 landwirthschaftliche Wandtafeln, deren der Kaiser 900 aus seiner Privatcasse für die Volksschulen in Tirol angeschafft, der k. k. Statthalterei mit einer Ablehnung dieses Geschenks zurücksandte. Als der Bezirkshauptmann von Imst seinen Amtsdiener am 7. Januar d. I. mit den neuen Lesebüchern nach Tarrenz sandte, ward er von zwei Geist¬ lichen aus der Schule hinausgedrängt, dann von Weibern und Kindern durch das ganze Dorf mit Schimpfworten verfolgt und für den Fall der Wiederkehr mit Thätlichkeiten bedroht. Es sollte aber bald noch besser kommen. Am 8. Februar d. I. besuchte der Inspector Urthaler die Schule von Se. Peter in Asm, einem abgelegenen Dörflein des Tauferer Thals, unweit Bruneck. Da standen gegenüber den Schulbänken die Mütter mit Knitteln unter ihren Schürzen, und als sich der „Lutherische", wie sie ihn schalten, vor ihrem Geschrei und Andringen gegen die Stiege zurückzog, warf ihm eine derselben noch ihr Holzstück auf den Nacken, so daß er eine blutende Wunde davontrug.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_123619/197>, abgerufen am 27.07.2024.