Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, I. Semester. II. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

mit Leichtigkeit zu spielen, daß es frei klingt. Die Sonate hat uns aber sehr
viel Vergnügen gemacht, besonders gefiel uns der erste Satz und das Scherzo.
Im letzten Satz scheint mir der breitere Rhythmus in ^ Tact gegen den ^
Tact sich zu sehr abzusetzen, nicht recht musikalisch zur Einheit mit diesem
einzugehen. Man muß so etwas mehreremal hören, dann befreundet man
sich damit. Im Allgemeinen genommen, scheint mir das Rhythmische in der
Musik das aller Ernsthafteste und Strengste, was sich am wenigsten willig
der Laune des Componisten hingibt und gar nicht mit sich spaßen lassen
will. Ich meine das Rhythmische im gewöhnlichen Sinne des Worts, man
sollte sagen das Metrische, denn dieses ist doch das zeitliche Gerüst, für sich be-
stehend, das von den rhythmischen Figuren überdeckt ist, dessen Fugen von diesen
verbunden werden, sodaß ein rhythmischer Schluß allezeit auf einen metrischen
Anfang fällt, wodurch er eben Schluß ist, daß er metrisch getrenntes zusammen¬
schließt. Im vorletzten Concert hörten wir auch Ihre neue Ouvertüre, die
ganz vortrefflich ging und ein recht tüchtiges Meisterstück ist. Mendelssohn
sagt mir. daß Sie noch in Zweifel seien, ihr einen Namen zu geben, ich
würde es bei dem jetzigen lassen, vielleicht noch gar den "ernsten Styl" (vor der
Correctur stand auf einem Zettel im "ersten" Styl) weglassen, da Sie so
Vieles in diesem edlen ernsten Styl geschrieben, wo es nicht beisteht.


M. H.

Leipzig, den 23. October 1843.


Lieber Herr Capellmeister!

.......Für Ihren lieben Brief über die englische Reise muß
ich Ihnen nochmals danken, er hat uns viel Vergnügen gemacht, des Inhaltes
und der Schilderung wegen. -- Den letzten Satz der Beethoven'schen 6-moII
Symphonie kann ich auch nicht leiden, das Chorgekreisch und auch die unge¬
schickt und so gesangwidrig geschriebenen Solostellen sind mir ganz zuwider, sie
wurden das letzte Mal, daß ich sie hier hörte, recht gut herausgebracht, das
ist aber auch alles, was den besten Sängern und dem besten Chöre dabei
gelingen kann, denn an eigentliches Singen ist hier nicht zu denken. Der
erste Satz dieser Symphonie ist mir der liebste. Herr Schindler, der vor
einiger Zeit in Leipzig war, hatte mehrere Beethoven'sche Skizzenbücher mit,
das eine davon soll fast angefüllt sein mit Entwürfen zu dem Anfang dieser
Symphonie; wie ich auch ein Blatt hatte, worauf Beethoven Clärchen's
Lied "die Trommel gerührt" zu Egmont entworfen, das heißt vielerlei An¬
fänge und einzelne Stellen zu dem Liede mit fast unleserlicher Noten und
Schwänzen darauf zusammengebracht hatte. Bei dem Anfange, wie wir ihn
jetzt kennen, hatte er mit fingerlangen Buchstaben dazu geschrieben: "yuesto
6 ü migliore --" Es kommt nun freilich nichts darauf an, wie Einer etwas


mit Leichtigkeit zu spielen, daß es frei klingt. Die Sonate hat uns aber sehr
viel Vergnügen gemacht, besonders gefiel uns der erste Satz und das Scherzo.
Im letzten Satz scheint mir der breitere Rhythmus in ^ Tact gegen den ^
Tact sich zu sehr abzusetzen, nicht recht musikalisch zur Einheit mit diesem
einzugehen. Man muß so etwas mehreremal hören, dann befreundet man
sich damit. Im Allgemeinen genommen, scheint mir das Rhythmische in der
Musik das aller Ernsthafteste und Strengste, was sich am wenigsten willig
der Laune des Componisten hingibt und gar nicht mit sich spaßen lassen
will. Ich meine das Rhythmische im gewöhnlichen Sinne des Worts, man
sollte sagen das Metrische, denn dieses ist doch das zeitliche Gerüst, für sich be-
stehend, das von den rhythmischen Figuren überdeckt ist, dessen Fugen von diesen
verbunden werden, sodaß ein rhythmischer Schluß allezeit auf einen metrischen
Anfang fällt, wodurch er eben Schluß ist, daß er metrisch getrenntes zusammen¬
schließt. Im vorletzten Concert hörten wir auch Ihre neue Ouvertüre, die
ganz vortrefflich ging und ein recht tüchtiges Meisterstück ist. Mendelssohn
sagt mir. daß Sie noch in Zweifel seien, ihr einen Namen zu geben, ich
würde es bei dem jetzigen lassen, vielleicht noch gar den „ernsten Styl" (vor der
Correctur stand auf einem Zettel im „ersten" Styl) weglassen, da Sie so
Vieles in diesem edlen ernsten Styl geschrieben, wo es nicht beisteht.


M. H.

Leipzig, den 23. October 1843.


Lieber Herr Capellmeister!

.......Für Ihren lieben Brief über die englische Reise muß
ich Ihnen nochmals danken, er hat uns viel Vergnügen gemacht, des Inhaltes
und der Schilderung wegen. — Den letzten Satz der Beethoven'schen 6-moII
Symphonie kann ich auch nicht leiden, das Chorgekreisch und auch die unge¬
schickt und so gesangwidrig geschriebenen Solostellen sind mir ganz zuwider, sie
wurden das letzte Mal, daß ich sie hier hörte, recht gut herausgebracht, das
ist aber auch alles, was den besten Sängern und dem besten Chöre dabei
gelingen kann, denn an eigentliches Singen ist hier nicht zu denken. Der
erste Satz dieser Symphonie ist mir der liebste. Herr Schindler, der vor
einiger Zeit in Leipzig war, hatte mehrere Beethoven'sche Skizzenbücher mit,
das eine davon soll fast angefüllt sein mit Entwürfen zu dem Anfang dieser
Symphonie; wie ich auch ein Blatt hatte, worauf Beethoven Clärchen's
Lied „die Trommel gerührt" zu Egmont entworfen, das heißt vielerlei An¬
fänge und einzelne Stellen zu dem Liede mit fast unleserlicher Noten und
Schwänzen darauf zusammengebracht hatte. Bei dem Anfange, wie wir ihn
jetzt kennen, hatte er mit fingerlangen Buchstaben dazu geschrieben: „yuesto
6 ü migliore —" Es kommt nun freilich nichts darauf an, wie Einer etwas


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <pb facs="#f0194" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/123814"/>
            <p xml:id="ID_583" prev="#ID_582"> mit Leichtigkeit zu spielen, daß es frei klingt. Die Sonate hat uns aber sehr<lb/>
viel Vergnügen gemacht, besonders gefiel uns der erste Satz und das Scherzo.<lb/>
Im letzten Satz scheint mir der breitere Rhythmus in ^ Tact gegen den ^<lb/>
Tact sich zu sehr abzusetzen, nicht recht musikalisch zur Einheit mit diesem<lb/>
einzugehen. Man muß so etwas mehreremal hören, dann befreundet man<lb/>
sich damit. Im Allgemeinen genommen, scheint mir das Rhythmische in der<lb/>
Musik das aller Ernsthafteste und Strengste, was sich am wenigsten willig<lb/>
der Laune des Componisten hingibt und gar nicht mit sich spaßen lassen<lb/>
will. Ich meine das Rhythmische im gewöhnlichen Sinne des Worts, man<lb/>
sollte sagen das Metrische, denn dieses ist doch das zeitliche Gerüst, für sich be-<lb/>
stehend, das von den rhythmischen Figuren überdeckt ist, dessen Fugen von diesen<lb/>
verbunden werden, sodaß ein rhythmischer Schluß allezeit auf einen metrischen<lb/>
Anfang fällt, wodurch er eben Schluß ist, daß er metrisch getrenntes zusammen¬<lb/>
schließt. Im vorletzten Concert hörten wir auch Ihre neue Ouvertüre, die<lb/>
ganz vortrefflich ging und ein recht tüchtiges Meisterstück ist. Mendelssohn<lb/>
sagt mir. daß Sie noch in Zweifel seien, ihr einen Namen zu geben, ich<lb/>
würde es bei dem jetzigen lassen, vielleicht noch gar den &#x201E;ernsten Styl" (vor der<lb/>
Correctur stand auf einem Zettel im &#x201E;ersten" Styl) weglassen, da Sie so<lb/>
Vieles in diesem edlen ernsten Styl geschrieben, wo es nicht beisteht.</p><lb/>
            <note type="bibl"> M. H.</note><lb/>
            <p xml:id="ID_584"> Leipzig, den 23. October 1843.</p><lb/>
            <note type="salute"> Lieber Herr Capellmeister!</note><lb/>
            <p xml:id="ID_585" next="#ID_586"> .......Für Ihren lieben Brief über die englische Reise muß<lb/>
ich Ihnen nochmals danken, er hat uns viel Vergnügen gemacht, des Inhaltes<lb/>
und der Schilderung wegen. &#x2014; Den letzten Satz der Beethoven'schen 6-moII<lb/>
Symphonie kann ich auch nicht leiden, das Chorgekreisch und auch die unge¬<lb/>
schickt und so gesangwidrig geschriebenen Solostellen sind mir ganz zuwider, sie<lb/>
wurden das letzte Mal, daß ich sie hier hörte, recht gut herausgebracht, das<lb/>
ist aber auch alles, was den besten Sängern und dem besten Chöre dabei<lb/>
gelingen kann, denn an eigentliches Singen ist hier nicht zu denken. Der<lb/>
erste Satz dieser Symphonie ist mir der liebste. Herr Schindler, der vor<lb/>
einiger Zeit in Leipzig war, hatte mehrere Beethoven'sche Skizzenbücher mit,<lb/>
das eine davon soll fast angefüllt sein mit Entwürfen zu dem Anfang dieser<lb/>
Symphonie; wie ich auch ein Blatt hatte, worauf Beethoven Clärchen's<lb/>
Lied &#x201E;die Trommel gerührt" zu Egmont entworfen, das heißt vielerlei An¬<lb/>
fänge und einzelne Stellen zu dem Liede mit fast unleserlicher Noten und<lb/>
Schwänzen darauf zusammengebracht hatte. Bei dem Anfange, wie wir ihn<lb/>
jetzt kennen, hatte er mit fingerlangen Buchstaben dazu geschrieben: &#x201E;yuesto<lb/>
6 ü migliore &#x2014;" Es kommt nun freilich nichts darauf an, wie Einer etwas</p><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0194] mit Leichtigkeit zu spielen, daß es frei klingt. Die Sonate hat uns aber sehr viel Vergnügen gemacht, besonders gefiel uns der erste Satz und das Scherzo. Im letzten Satz scheint mir der breitere Rhythmus in ^ Tact gegen den ^ Tact sich zu sehr abzusetzen, nicht recht musikalisch zur Einheit mit diesem einzugehen. Man muß so etwas mehreremal hören, dann befreundet man sich damit. Im Allgemeinen genommen, scheint mir das Rhythmische in der Musik das aller Ernsthafteste und Strengste, was sich am wenigsten willig der Laune des Componisten hingibt und gar nicht mit sich spaßen lassen will. Ich meine das Rhythmische im gewöhnlichen Sinne des Worts, man sollte sagen das Metrische, denn dieses ist doch das zeitliche Gerüst, für sich be- stehend, das von den rhythmischen Figuren überdeckt ist, dessen Fugen von diesen verbunden werden, sodaß ein rhythmischer Schluß allezeit auf einen metrischen Anfang fällt, wodurch er eben Schluß ist, daß er metrisch getrenntes zusammen¬ schließt. Im vorletzten Concert hörten wir auch Ihre neue Ouvertüre, die ganz vortrefflich ging und ein recht tüchtiges Meisterstück ist. Mendelssohn sagt mir. daß Sie noch in Zweifel seien, ihr einen Namen zu geben, ich würde es bei dem jetzigen lassen, vielleicht noch gar den „ernsten Styl" (vor der Correctur stand auf einem Zettel im „ersten" Styl) weglassen, da Sie so Vieles in diesem edlen ernsten Styl geschrieben, wo es nicht beisteht. M. H. Leipzig, den 23. October 1843. Lieber Herr Capellmeister! .......Für Ihren lieben Brief über die englische Reise muß ich Ihnen nochmals danken, er hat uns viel Vergnügen gemacht, des Inhaltes und der Schilderung wegen. — Den letzten Satz der Beethoven'schen 6-moII Symphonie kann ich auch nicht leiden, das Chorgekreisch und auch die unge¬ schickt und so gesangwidrig geschriebenen Solostellen sind mir ganz zuwider, sie wurden das letzte Mal, daß ich sie hier hörte, recht gut herausgebracht, das ist aber auch alles, was den besten Sängern und dem besten Chöre dabei gelingen kann, denn an eigentliches Singen ist hier nicht zu denken. Der erste Satz dieser Symphonie ist mir der liebste. Herr Schindler, der vor einiger Zeit in Leipzig war, hatte mehrere Beethoven'sche Skizzenbücher mit, das eine davon soll fast angefüllt sein mit Entwürfen zu dem Anfang dieser Symphonie; wie ich auch ein Blatt hatte, worauf Beethoven Clärchen's Lied „die Trommel gerührt" zu Egmont entworfen, das heißt vielerlei An¬ fänge und einzelne Stellen zu dem Liede mit fast unleserlicher Noten und Schwänzen darauf zusammengebracht hatte. Bei dem Anfange, wie wir ihn jetzt kennen, hatte er mit fingerlangen Buchstaben dazu geschrieben: „yuesto 6 ü migliore —" Es kommt nun freilich nichts darauf an, wie Einer etwas

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_123619
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_123619/194
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_123619/194>, abgerufen am 18.12.2024.