Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, I. Semester. II. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

Können sei für Einen, der so etwas zu beurtheilen weiß, gar nicht zu ver¬
kennen. Er spielt sein großes Instrument mit großer Virtuosität und weiß
die beabsichtigten Effecte sehr wohl hervorzubringen; das sind nun freilich oft
sehr ungefällige und absurde. Am behaglichsten und anmuthigsten finde ich
ihn, wo der Teufel ganz und gar los ist, weit weniger im Anmuthiger, wie
Einem bei Seydelmanns und Devrients Bösewichtern viel wohler zu Muthe
war, als wenn sie Liebhaber vorstellen wollten. Gegen den Hexensabbath
in der gestrigen Symphonie ist Webers Wolfsschlucht ein Wiegenlied; es
wäre gar nicht übel, jenes Stück einmal in den Freischützen einzulegen.
Einige Tage vorher war Mendelssohns "Erste Walpurgisnacht," Musik zu
Goethe's Gedicht im Abonnementsconcert gegeben worden, ein Musikstück
voller Frische und Schönheit; es ist eine frühere Arbeit, die er jetzt unge¬
schrieben, nur in der Jnstrumentation, so viel ich weiß, verändert hat. Da
kommt auch der Blocksberg mit allem Zubehör darin vor und es fehlt nicht
an einschneidend Dissonantem, aber erstens ist es nicht so toll und dann ist
auch das andere Element dabei, was bei Berlioz gänzlich fehlt. Berlioz
bleibt bei der Dissonanz stehen. Mendelssohn löst sie aus. Mendelssohns
neue Symphonie wird Ihnen, glaube ich, sehr gut gefallen. Ich hätte sie
gern früher gehört, es war an jenem Abend gar zu viel vorausgegangen und
ich kann nicht viel Concertmusik vertragen, aber mir schien sie sehr schön;
großartiger jedoch habe ich noch immer seine Gesangsachen gefunden.

Im nächsten wird die 9te von Beethoven gegeben. Der Chor aus Tho-
manern und Dilettanten bestehend ist bei solchen Aufführungen sehr gut und
stark besetzt, nur leidet dabei die Wirkung der Instrumente etwas, indem
der Chor auf demselben Boden vor dem Orchester steht. Ihre neue Ouver¬
türe ist neulich zweimal durchprobirt worden und ging das zweitemal so
gut, daß sie sogleich hätte gegeben werden können, nur wenige Erinnerungen
Mendelssohns waren nöthig beim erstenmal. Sie nahm sich sehr schön aus
und gefiel uns, vorläufig gesagt, sehr gut. Mir war's auch lieb, wieder
einmal ein neues Musikstück zu hören, was nichts als sich selbst bedeuten
sollte; die dürften doch nicht ganz aus der Mode kommen -- indessen ist
dagegen nichts zu thun; soll die Instrumentalmusik im Ganzen diese
charakteristische Richtung nehmen, so wird sie sie nehmen, ob es Einem Recht
ist oder nicht. -- Mir scheint das nun wie Genremalerei gegen historische
und daß das Höchste jener seiner Natur nach auf einer tieferen Stufe steht
und sich nicht zu dieser erheben kann, von der relativen Vollkommenheit der
Production abgesehen. -- Zu unserer Musikschule haben sich schon viele Theil"
nehmer gemeldet, sie soll im April ihren Anfang nehmen, aber nicht den
Ersten -- das fand Mendelssohn ominös. Vor der Hand sind noch immer


Grenzboten II. 1870. 24

Können sei für Einen, der so etwas zu beurtheilen weiß, gar nicht zu ver¬
kennen. Er spielt sein großes Instrument mit großer Virtuosität und weiß
die beabsichtigten Effecte sehr wohl hervorzubringen; das sind nun freilich oft
sehr ungefällige und absurde. Am behaglichsten und anmuthigsten finde ich
ihn, wo der Teufel ganz und gar los ist, weit weniger im Anmuthiger, wie
Einem bei Seydelmanns und Devrients Bösewichtern viel wohler zu Muthe
war, als wenn sie Liebhaber vorstellen wollten. Gegen den Hexensabbath
in der gestrigen Symphonie ist Webers Wolfsschlucht ein Wiegenlied; es
wäre gar nicht übel, jenes Stück einmal in den Freischützen einzulegen.
Einige Tage vorher war Mendelssohns „Erste Walpurgisnacht," Musik zu
Goethe's Gedicht im Abonnementsconcert gegeben worden, ein Musikstück
voller Frische und Schönheit; es ist eine frühere Arbeit, die er jetzt unge¬
schrieben, nur in der Jnstrumentation, so viel ich weiß, verändert hat. Da
kommt auch der Blocksberg mit allem Zubehör darin vor und es fehlt nicht
an einschneidend Dissonantem, aber erstens ist es nicht so toll und dann ist
auch das andere Element dabei, was bei Berlioz gänzlich fehlt. Berlioz
bleibt bei der Dissonanz stehen. Mendelssohn löst sie aus. Mendelssohns
neue Symphonie wird Ihnen, glaube ich, sehr gut gefallen. Ich hätte sie
gern früher gehört, es war an jenem Abend gar zu viel vorausgegangen und
ich kann nicht viel Concertmusik vertragen, aber mir schien sie sehr schön;
großartiger jedoch habe ich noch immer seine Gesangsachen gefunden.

Im nächsten wird die 9te von Beethoven gegeben. Der Chor aus Tho-
manern und Dilettanten bestehend ist bei solchen Aufführungen sehr gut und
stark besetzt, nur leidet dabei die Wirkung der Instrumente etwas, indem
der Chor auf demselben Boden vor dem Orchester steht. Ihre neue Ouver¬
türe ist neulich zweimal durchprobirt worden und ging das zweitemal so
gut, daß sie sogleich hätte gegeben werden können, nur wenige Erinnerungen
Mendelssohns waren nöthig beim erstenmal. Sie nahm sich sehr schön aus
und gefiel uns, vorläufig gesagt, sehr gut. Mir war's auch lieb, wieder
einmal ein neues Musikstück zu hören, was nichts als sich selbst bedeuten
sollte; die dürften doch nicht ganz aus der Mode kommen — indessen ist
dagegen nichts zu thun; soll die Instrumentalmusik im Ganzen diese
charakteristische Richtung nehmen, so wird sie sie nehmen, ob es Einem Recht
ist oder nicht. — Mir scheint das nun wie Genremalerei gegen historische
und daß das Höchste jener seiner Natur nach auf einer tieferen Stufe steht
und sich nicht zu dieser erheben kann, von der relativen Vollkommenheit der
Production abgesehen. — Zu unserer Musikschule haben sich schon viele Theil«
nehmer gemeldet, sie soll im April ihren Anfang nehmen, aber nicht den
Ersten — das fand Mendelssohn ominös. Vor der Hand sind noch immer


Grenzboten II. 1870. 24
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <pb facs="#f0191" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/123811"/>
            <p xml:id="ID_575" prev="#ID_574"> Können sei für Einen, der so etwas zu beurtheilen weiß, gar nicht zu ver¬<lb/>
kennen. Er spielt sein großes Instrument mit großer Virtuosität und weiß<lb/>
die beabsichtigten Effecte sehr wohl hervorzubringen; das sind nun freilich oft<lb/>
sehr ungefällige und absurde. Am behaglichsten und anmuthigsten finde ich<lb/>
ihn, wo der Teufel ganz und gar los ist, weit weniger im Anmuthiger, wie<lb/>
Einem bei Seydelmanns und Devrients Bösewichtern viel wohler zu Muthe<lb/>
war, als wenn sie Liebhaber vorstellen wollten.  Gegen den Hexensabbath<lb/>
in der gestrigen Symphonie ist Webers Wolfsschlucht ein Wiegenlied; es<lb/>
wäre gar nicht übel, jenes Stück einmal in den Freischützen einzulegen.<lb/>
Einige Tage vorher war Mendelssohns &#x201E;Erste Walpurgisnacht," Musik zu<lb/>
Goethe's Gedicht im Abonnementsconcert gegeben worden, ein Musikstück<lb/>
voller Frische und Schönheit; es ist eine frühere Arbeit, die er jetzt unge¬<lb/>
schrieben, nur in der Jnstrumentation, so viel ich weiß, verändert hat. Da<lb/>
kommt auch der Blocksberg mit allem Zubehör darin vor und es fehlt nicht<lb/>
an einschneidend Dissonantem, aber erstens ist es nicht so toll und dann ist<lb/>
auch das andere Element dabei, was bei Berlioz gänzlich fehlt. Berlioz<lb/>
bleibt bei der Dissonanz stehen. Mendelssohn löst sie aus. Mendelssohns<lb/>
neue Symphonie wird Ihnen, glaube ich, sehr gut gefallen. Ich hätte sie<lb/>
gern früher gehört, es war an jenem Abend gar zu viel vorausgegangen und<lb/>
ich kann nicht viel Concertmusik vertragen, aber mir schien sie sehr schön;<lb/>
großartiger jedoch habe ich noch immer seine Gesangsachen gefunden.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_576" next="#ID_577"> Im nächsten wird die 9te von Beethoven gegeben. Der Chor aus Tho-<lb/>
manern und Dilettanten bestehend ist bei solchen Aufführungen sehr gut und<lb/>
stark besetzt, nur leidet dabei die Wirkung der Instrumente etwas, indem<lb/>
der Chor auf demselben Boden vor dem Orchester steht. Ihre neue Ouver¬<lb/>
türe ist neulich zweimal durchprobirt worden und ging das zweitemal so<lb/>
gut, daß sie sogleich hätte gegeben werden können, nur wenige Erinnerungen<lb/>
Mendelssohns waren nöthig beim erstenmal. Sie nahm sich sehr schön aus<lb/>
und gefiel uns, vorläufig gesagt, sehr gut. Mir war's auch lieb, wieder<lb/>
einmal ein neues Musikstück zu hören, was nichts als sich selbst bedeuten<lb/>
sollte; die dürften doch nicht ganz aus der Mode kommen &#x2014; indessen ist<lb/>
dagegen nichts zu thun; soll die Instrumentalmusik im Ganzen diese<lb/>
charakteristische Richtung nehmen, so wird sie sie nehmen, ob es Einem Recht<lb/>
ist oder nicht. &#x2014; Mir scheint das nun wie Genremalerei gegen historische<lb/>
und daß das Höchste jener seiner Natur nach auf einer tieferen Stufe steht<lb/>
und sich nicht zu dieser erheben kann, von der relativen Vollkommenheit der<lb/>
Production abgesehen. &#x2014; Zu unserer Musikschule haben sich schon viele Theil«<lb/>
nehmer gemeldet, sie soll im April ihren Anfang nehmen, aber nicht den<lb/>
Ersten &#x2014; das fand Mendelssohn ominös. Vor der Hand sind noch immer</p><lb/>
            <fw type="sig" place="bottom"> Grenzboten II. 1870. 24</fw><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0191] Können sei für Einen, der so etwas zu beurtheilen weiß, gar nicht zu ver¬ kennen. Er spielt sein großes Instrument mit großer Virtuosität und weiß die beabsichtigten Effecte sehr wohl hervorzubringen; das sind nun freilich oft sehr ungefällige und absurde. Am behaglichsten und anmuthigsten finde ich ihn, wo der Teufel ganz und gar los ist, weit weniger im Anmuthiger, wie Einem bei Seydelmanns und Devrients Bösewichtern viel wohler zu Muthe war, als wenn sie Liebhaber vorstellen wollten. Gegen den Hexensabbath in der gestrigen Symphonie ist Webers Wolfsschlucht ein Wiegenlied; es wäre gar nicht übel, jenes Stück einmal in den Freischützen einzulegen. Einige Tage vorher war Mendelssohns „Erste Walpurgisnacht," Musik zu Goethe's Gedicht im Abonnementsconcert gegeben worden, ein Musikstück voller Frische und Schönheit; es ist eine frühere Arbeit, die er jetzt unge¬ schrieben, nur in der Jnstrumentation, so viel ich weiß, verändert hat. Da kommt auch der Blocksberg mit allem Zubehör darin vor und es fehlt nicht an einschneidend Dissonantem, aber erstens ist es nicht so toll und dann ist auch das andere Element dabei, was bei Berlioz gänzlich fehlt. Berlioz bleibt bei der Dissonanz stehen. Mendelssohn löst sie aus. Mendelssohns neue Symphonie wird Ihnen, glaube ich, sehr gut gefallen. Ich hätte sie gern früher gehört, es war an jenem Abend gar zu viel vorausgegangen und ich kann nicht viel Concertmusik vertragen, aber mir schien sie sehr schön; großartiger jedoch habe ich noch immer seine Gesangsachen gefunden. Im nächsten wird die 9te von Beethoven gegeben. Der Chor aus Tho- manern und Dilettanten bestehend ist bei solchen Aufführungen sehr gut und stark besetzt, nur leidet dabei die Wirkung der Instrumente etwas, indem der Chor auf demselben Boden vor dem Orchester steht. Ihre neue Ouver¬ türe ist neulich zweimal durchprobirt worden und ging das zweitemal so gut, daß sie sogleich hätte gegeben werden können, nur wenige Erinnerungen Mendelssohns waren nöthig beim erstenmal. Sie nahm sich sehr schön aus und gefiel uns, vorläufig gesagt, sehr gut. Mir war's auch lieb, wieder einmal ein neues Musikstück zu hören, was nichts als sich selbst bedeuten sollte; die dürften doch nicht ganz aus der Mode kommen — indessen ist dagegen nichts zu thun; soll die Instrumentalmusik im Ganzen diese charakteristische Richtung nehmen, so wird sie sie nehmen, ob es Einem Recht ist oder nicht. — Mir scheint das nun wie Genremalerei gegen historische und daß das Höchste jener seiner Natur nach auf einer tieferen Stufe steht und sich nicht zu dieser erheben kann, von der relativen Vollkommenheit der Production abgesehen. — Zu unserer Musikschule haben sich schon viele Theil« nehmer gemeldet, sie soll im April ihren Anfang nehmen, aber nicht den Ersten — das fand Mendelssohn ominös. Vor der Hand sind noch immer Grenzboten II. 1870. 24

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_123619
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_123619/191
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_123619/191>, abgerufen am 01.09.2024.