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Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, I. Semester. II. Band.

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stellt sich doch schon darin dar, und die gefällt mir wieder nicht, es ist wieder
die unmusikalische, die am Ausdruck des Einzelnen haftet, die wo von Freud
und Leid die Rede ist, beides auseinanderhält und jedes für sich musikalisch
ausdrücken will.--Die Worte sollen aber in Musik gesetzt werden, wie
man einen Fisch ins Wasser setzt, aus dem trockenen, absondernden Verstan-
des-Element in das vermittelnde flüssige Gefühls-Element. So machen es
die Italiener und was ihnen kunstverwandt ist, wie Mozart, Spohr. die
mir nicht übel nehmen mögen, daß ich sie zu diesen zähle. Man hat bei den
Italienern nicht nur an Donizetti und Bellini zu denken, sondern an Raphael.
an Leonardo und Titian. an die schönste Kunstblüthe, die es gegeben hat.
Wagner hat seine Oper in Paris geschrieben und hatte sie für das dortige
große Theater bestimmt, sie trägt auch, soviel sich aus dem Wenigen abneh¬
men läßt, was wir gehört haben, ganz die Uniform der neuen großen fran¬
zösischen Oper, in dem Wenigen war aber doch viel Langweiliges und Leeres.
Wir sitzen in der Oper recht zwischen zwei Stühlen; es ist einem in Lach¬
ners Königin von Cypern so unbehaglich wie in Halevy's.....


Mit innigster Verehrung und Liebe Ihr M. H.

Leipzig, den 3. November 1842.


Lieber verehrter Herr Kapellmeister!

Von Herrn Hofrath Rochlitz erhielt ich vor einiger Zeit ein Oratorium
"Saul und David" zugeschickt, es war ihm ein Brief von Ihnen beigelegt,
worin Sie viel zu vortheilhaft von meinen Fähigkeiten sprechen. Ich bin
aber aus großen Arbeiten so herausgekommen, aus langen meine ich, daß
ich größere als je jetzt zu unternehmen keinen Muth habe und mich erst in
kürzeren dieser Art versuchen muß. Ueberdies finde ich Ihre Ausstellungen
an diesem Oratorium eben so richtig als erheblich; ganz allgemein genom¬
men mag ich überhaupt die Männerchöre nicht. Es ist eine musikalische Un¬
natur, Männer vierstimmig singen zu hören, es bleibt immer eine monotone
Quälerei. Der vierstimmige Gesang ist für Männer und Frauen, und daß
die Herren an ihren Liedertafeln sich allein amüsiren wollen, daß man dieses
Abschließen der Musik anhört, ist eben das Unschönste daran. Am Oratorium
mißfällt mir aber hauptsächlich die gar zu theatralische Disposition; es ist
ohne sacrarium gar nicht verständlich. Da an einem Oratorium nichts zu
sehen ist, sollte auch keine Scene dazu gedichtet werden, dramatisch könnte es
deshalb doch gedacht sein. So sind die von Metastasio mit handelnden Per¬
sonen, ohne daß man jedoch an eine bestimmte Räumlichkeit erinnert wird.
Am liebsten ist mir die Art wie der "Messias", "die letzten Dinge", "Pan-


stellt sich doch schon darin dar, und die gefällt mir wieder nicht, es ist wieder
die unmusikalische, die am Ausdruck des Einzelnen haftet, die wo von Freud
und Leid die Rede ist, beides auseinanderhält und jedes für sich musikalisch
ausdrücken will.--Die Worte sollen aber in Musik gesetzt werden, wie
man einen Fisch ins Wasser setzt, aus dem trockenen, absondernden Verstan-
des-Element in das vermittelnde flüssige Gefühls-Element. So machen es
die Italiener und was ihnen kunstverwandt ist, wie Mozart, Spohr. die
mir nicht übel nehmen mögen, daß ich sie zu diesen zähle. Man hat bei den
Italienern nicht nur an Donizetti und Bellini zu denken, sondern an Raphael.
an Leonardo und Titian. an die schönste Kunstblüthe, die es gegeben hat.
Wagner hat seine Oper in Paris geschrieben und hatte sie für das dortige
große Theater bestimmt, sie trägt auch, soviel sich aus dem Wenigen abneh¬
men läßt, was wir gehört haben, ganz die Uniform der neuen großen fran¬
zösischen Oper, in dem Wenigen war aber doch viel Langweiliges und Leeres.
Wir sitzen in der Oper recht zwischen zwei Stühlen; es ist einem in Lach¬
ners Königin von Cypern so unbehaglich wie in Halevy's.....


Mit innigster Verehrung und Liebe Ihr M. H.

Leipzig, den 3. November 1842.


Lieber verehrter Herr Kapellmeister!

Von Herrn Hofrath Rochlitz erhielt ich vor einiger Zeit ein Oratorium
„Saul und David" zugeschickt, es war ihm ein Brief von Ihnen beigelegt,
worin Sie viel zu vortheilhaft von meinen Fähigkeiten sprechen. Ich bin
aber aus großen Arbeiten so herausgekommen, aus langen meine ich, daß
ich größere als je jetzt zu unternehmen keinen Muth habe und mich erst in
kürzeren dieser Art versuchen muß. Ueberdies finde ich Ihre Ausstellungen
an diesem Oratorium eben so richtig als erheblich; ganz allgemein genom¬
men mag ich überhaupt die Männerchöre nicht. Es ist eine musikalische Un¬
natur, Männer vierstimmig singen zu hören, es bleibt immer eine monotone
Quälerei. Der vierstimmige Gesang ist für Männer und Frauen, und daß
die Herren an ihren Liedertafeln sich allein amüsiren wollen, daß man dieses
Abschließen der Musik anhört, ist eben das Unschönste daran. Am Oratorium
mißfällt mir aber hauptsächlich die gar zu theatralische Disposition; es ist
ohne sacrarium gar nicht verständlich. Da an einem Oratorium nichts zu
sehen ist, sollte auch keine Scene dazu gedichtet werden, dramatisch könnte es
deshalb doch gedacht sein. So sind die von Metastasio mit handelnden Per¬
sonen, ohne daß man jedoch an eine bestimmte Räumlichkeit erinnert wird.
Am liebsten ist mir die Art wie der „Messias", „die letzten Dinge", „Pan-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_123619/188>, abgerufen am 01.09.2024.