Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, I. Semester. II. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

Person, wie dort, und zwar von sehr nobler und Theilnahme erregender
Art. Es ist unsäglich dumm, wie der deutsche Bearbeiter des Königs Thun
in bloße Erzählung verwandeln konnte. Die Erzählung ist auf dem Theater
überhaupt nicht viel werth, in der Oper aber, wo die Worte so leicht ver¬
loren gehen, gar nichts. Hier heißt es, wie Caspar sagt: was das Auge
sieht glaubt das Herz. Aber nicht der Text allein, auch die Musik von
Halevy ist mir als Opernmusik viel lieber als die Lachner'sche. Sie ist gar
nicht sehr lärmend, im ganzen ersten Act fast keine Posaunen, vielmehr ist
eher zuviel nach Halevy'scher Weise fein witzig und spitzig Ausgearbeitetes
darin, oft etwas trocken mit künstlichen Spielereien, dann aber auch wieder
strömend und samisch von großer Wirkung, jedenfalls eine bessere Theateroper
als die Lachner'sche, die mich wie so viel deutsche zweiter und dritter Ord¬
nung immer zu viel an das Schreibepult und an saure Arbeit erinnert.
Heine sagt einmal, er habe in seiner Jugend" sich nie in das complicirte
Linne'sche System finden können, und sich sein eigenes gebildet: er theile die
Pflanzen ein in solche, die man essen könne, und solche, die man nicht essen
könne. So könnte man, von anderen guten und schlechten Oualitäten ab¬
sehend, auch die Opern eintheilen in solche, die gegeben werden und solche,
die nicht gegeben werden. Ich glaube, daß zur ersten Art die Halevy'sche,
zur zweiten die Lachner'sche gehören wird.

Es kann aber im Grunde doch nur auf einer positiven Qualität beruhen,
wenn etwas einer so großen Menschenmasse, als das gesammte Opernpubli-
cum zusammen genommen bildet, Vergnügen macht, und daß eine Oper nicht
gering zu sein braucht, um der Menge anhaltend zu gefallen, sehen wir an
den besten, die wir haben, sie sind auch der Menge die liebsten. Wenn aber
auch so manche gefallen, an denen der Musikverständige technisch und ästhethisch
viel auszusetzen hat, so bleibt diesen eine immerlohnende gute Eigenschaft um
so mehr gesichert, als der Tadel gegründet sein wird, da ein Ding wegen
seiner Schlechtigkeit Niemand Vergnügen machen kann. Und das ist bei Ita¬
lienern und Franzosen wohl hauptsächlich das, daß man sühlt, sie sind hier in
ihrem Element, und die daraus resultirende Leichtigkeit der Production, --
wie denn auch andere als Operncompositionen gegen diese bei ihnen gar
nicht in Betracht kommen, während bei den Deutschen eine geglückte Oper
von gelungenen Compositionen jeder andern Gattung, namentlich der In¬
strumentalmusik, hundertfach aufgewogen wird.

Am Sonntag vor 8 Tagen haben wir bei Härtel den Pianisten Henselt
gehört, welcher mit der Eisenbahn von Dresden kam. sich dort an das Cla-
vier setzte und erst nach 3 Stunden wieder aufstand, er hatte schon l'/z ge¬
spielt als wir kamen. Ich habe noch nichts Vollendeteres in dieser Spiel¬
art gehört, oder vielmehr ich kann mit nichts Vollendeteres denken, weil es


23*

Person, wie dort, und zwar von sehr nobler und Theilnahme erregender
Art. Es ist unsäglich dumm, wie der deutsche Bearbeiter des Königs Thun
in bloße Erzählung verwandeln konnte. Die Erzählung ist auf dem Theater
überhaupt nicht viel werth, in der Oper aber, wo die Worte so leicht ver¬
loren gehen, gar nichts. Hier heißt es, wie Caspar sagt: was das Auge
sieht glaubt das Herz. Aber nicht der Text allein, auch die Musik von
Halevy ist mir als Opernmusik viel lieber als die Lachner'sche. Sie ist gar
nicht sehr lärmend, im ganzen ersten Act fast keine Posaunen, vielmehr ist
eher zuviel nach Halevy'scher Weise fein witzig und spitzig Ausgearbeitetes
darin, oft etwas trocken mit künstlichen Spielereien, dann aber auch wieder
strömend und samisch von großer Wirkung, jedenfalls eine bessere Theateroper
als die Lachner'sche, die mich wie so viel deutsche zweiter und dritter Ord¬
nung immer zu viel an das Schreibepult und an saure Arbeit erinnert.
Heine sagt einmal, er habe in seiner Jugend» sich nie in das complicirte
Linne'sche System finden können, und sich sein eigenes gebildet: er theile die
Pflanzen ein in solche, die man essen könne, und solche, die man nicht essen
könne. So könnte man, von anderen guten und schlechten Oualitäten ab¬
sehend, auch die Opern eintheilen in solche, die gegeben werden und solche,
die nicht gegeben werden. Ich glaube, daß zur ersten Art die Halevy'sche,
zur zweiten die Lachner'sche gehören wird.

Es kann aber im Grunde doch nur auf einer positiven Qualität beruhen,
wenn etwas einer so großen Menschenmasse, als das gesammte Opernpubli-
cum zusammen genommen bildet, Vergnügen macht, und daß eine Oper nicht
gering zu sein braucht, um der Menge anhaltend zu gefallen, sehen wir an
den besten, die wir haben, sie sind auch der Menge die liebsten. Wenn aber
auch so manche gefallen, an denen der Musikverständige technisch und ästhethisch
viel auszusetzen hat, so bleibt diesen eine immerlohnende gute Eigenschaft um
so mehr gesichert, als der Tadel gegründet sein wird, da ein Ding wegen
seiner Schlechtigkeit Niemand Vergnügen machen kann. Und das ist bei Ita¬
lienern und Franzosen wohl hauptsächlich das, daß man sühlt, sie sind hier in
ihrem Element, und die daraus resultirende Leichtigkeit der Production, —
wie denn auch andere als Operncompositionen gegen diese bei ihnen gar
nicht in Betracht kommen, während bei den Deutschen eine geglückte Oper
von gelungenen Compositionen jeder andern Gattung, namentlich der In¬
strumentalmusik, hundertfach aufgewogen wird.

Am Sonntag vor 8 Tagen haben wir bei Härtel den Pianisten Henselt
gehört, welcher mit der Eisenbahn von Dresden kam. sich dort an das Cla-
vier setzte und erst nach 3 Stunden wieder aufstand, er hatte schon l'/z ge¬
spielt als wir kamen. Ich habe noch nichts Vollendeteres in dieser Spiel¬
art gehört, oder vielmehr ich kann mit nichts Vollendeteres denken, weil es


23*
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <pb facs="#f0185" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/123805"/>
            <p xml:id="ID_559" prev="#ID_558"> Person, wie dort, und zwar von sehr nobler und Theilnahme erregender<lb/>
Art. Es ist unsäglich dumm, wie der deutsche Bearbeiter des Königs Thun<lb/>
in bloße Erzählung verwandeln konnte. Die Erzählung ist auf dem Theater<lb/>
überhaupt nicht viel werth, in der Oper aber, wo die Worte so leicht ver¬<lb/>
loren gehen, gar nichts. Hier heißt es, wie Caspar sagt: was das Auge<lb/>
sieht glaubt das Herz. Aber nicht der Text allein, auch die Musik von<lb/>
Halevy ist mir als Opernmusik viel lieber als die Lachner'sche. Sie ist gar<lb/>
nicht sehr lärmend, im ganzen ersten Act fast keine Posaunen, vielmehr ist<lb/>
eher zuviel nach Halevy'scher Weise fein witzig und spitzig Ausgearbeitetes<lb/>
darin, oft etwas trocken mit künstlichen Spielereien, dann aber auch wieder<lb/>
strömend und samisch von großer Wirkung, jedenfalls eine bessere Theateroper<lb/>
als die Lachner'sche, die mich wie so viel deutsche zweiter und dritter Ord¬<lb/>
nung immer zu viel an das Schreibepult und an saure Arbeit erinnert.<lb/>
Heine sagt einmal, er habe in seiner Jugend» sich nie in das complicirte<lb/>
Linne'sche System finden können, und sich sein eigenes gebildet: er theile die<lb/>
Pflanzen ein in solche, die man essen könne, und solche, die man nicht essen<lb/>
könne. So könnte man, von anderen guten und schlechten Oualitäten ab¬<lb/>
sehend, auch die Opern eintheilen in solche, die gegeben werden und solche,<lb/>
die nicht gegeben werden. Ich glaube, daß zur ersten Art die Halevy'sche,<lb/>
zur zweiten die Lachner'sche gehören wird.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_560"> Es kann aber im Grunde doch nur auf einer positiven Qualität beruhen,<lb/>
wenn etwas einer so großen Menschenmasse, als das gesammte Opernpubli-<lb/>
cum zusammen genommen bildet, Vergnügen macht, und daß eine Oper nicht<lb/>
gering zu sein braucht, um der Menge anhaltend zu gefallen, sehen wir an<lb/>
den besten, die wir haben, sie sind auch der Menge die liebsten. Wenn aber<lb/>
auch so manche gefallen, an denen der Musikverständige technisch und ästhethisch<lb/>
viel auszusetzen hat, so bleibt diesen eine immerlohnende gute Eigenschaft um<lb/>
so mehr gesichert, als der Tadel gegründet sein wird, da ein Ding wegen<lb/>
seiner Schlechtigkeit Niemand Vergnügen machen kann. Und das ist bei Ita¬<lb/>
lienern und Franzosen wohl hauptsächlich das, daß man sühlt, sie sind hier in<lb/>
ihrem Element, und die daraus resultirende Leichtigkeit der Production, &#x2014;<lb/>
wie denn auch andere als Operncompositionen gegen diese bei ihnen gar<lb/>
nicht in Betracht kommen, während bei den Deutschen eine geglückte Oper<lb/>
von gelungenen Compositionen jeder andern Gattung, namentlich der In¬<lb/>
strumentalmusik, hundertfach aufgewogen wird.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_561" next="#ID_562"> Am Sonntag vor 8 Tagen haben wir bei Härtel den Pianisten Henselt<lb/>
gehört, welcher mit der Eisenbahn von Dresden kam. sich dort an das Cla-<lb/>
vier setzte und erst nach 3 Stunden wieder aufstand, er hatte schon l'/z ge¬<lb/>
spielt als wir kamen. Ich habe noch nichts Vollendeteres in dieser Spiel¬<lb/>
art gehört, oder vielmehr ich kann mit nichts Vollendeteres denken, weil es</p><lb/>
            <fw type="sig" place="bottom"> 23*</fw><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0185] Person, wie dort, und zwar von sehr nobler und Theilnahme erregender Art. Es ist unsäglich dumm, wie der deutsche Bearbeiter des Königs Thun in bloße Erzählung verwandeln konnte. Die Erzählung ist auf dem Theater überhaupt nicht viel werth, in der Oper aber, wo die Worte so leicht ver¬ loren gehen, gar nichts. Hier heißt es, wie Caspar sagt: was das Auge sieht glaubt das Herz. Aber nicht der Text allein, auch die Musik von Halevy ist mir als Opernmusik viel lieber als die Lachner'sche. Sie ist gar nicht sehr lärmend, im ganzen ersten Act fast keine Posaunen, vielmehr ist eher zuviel nach Halevy'scher Weise fein witzig und spitzig Ausgearbeitetes darin, oft etwas trocken mit künstlichen Spielereien, dann aber auch wieder strömend und samisch von großer Wirkung, jedenfalls eine bessere Theateroper als die Lachner'sche, die mich wie so viel deutsche zweiter und dritter Ord¬ nung immer zu viel an das Schreibepult und an saure Arbeit erinnert. Heine sagt einmal, er habe in seiner Jugend» sich nie in das complicirte Linne'sche System finden können, und sich sein eigenes gebildet: er theile die Pflanzen ein in solche, die man essen könne, und solche, die man nicht essen könne. So könnte man, von anderen guten und schlechten Oualitäten ab¬ sehend, auch die Opern eintheilen in solche, die gegeben werden und solche, die nicht gegeben werden. Ich glaube, daß zur ersten Art die Halevy'sche, zur zweiten die Lachner'sche gehören wird. Es kann aber im Grunde doch nur auf einer positiven Qualität beruhen, wenn etwas einer so großen Menschenmasse, als das gesammte Opernpubli- cum zusammen genommen bildet, Vergnügen macht, und daß eine Oper nicht gering zu sein braucht, um der Menge anhaltend zu gefallen, sehen wir an den besten, die wir haben, sie sind auch der Menge die liebsten. Wenn aber auch so manche gefallen, an denen der Musikverständige technisch und ästhethisch viel auszusetzen hat, so bleibt diesen eine immerlohnende gute Eigenschaft um so mehr gesichert, als der Tadel gegründet sein wird, da ein Ding wegen seiner Schlechtigkeit Niemand Vergnügen machen kann. Und das ist bei Ita¬ lienern und Franzosen wohl hauptsächlich das, daß man sühlt, sie sind hier in ihrem Element, und die daraus resultirende Leichtigkeit der Production, — wie denn auch andere als Operncompositionen gegen diese bei ihnen gar nicht in Betracht kommen, während bei den Deutschen eine geglückte Oper von gelungenen Compositionen jeder andern Gattung, namentlich der In¬ strumentalmusik, hundertfach aufgewogen wird. Am Sonntag vor 8 Tagen haben wir bei Härtel den Pianisten Henselt gehört, welcher mit der Eisenbahn von Dresden kam. sich dort an das Cla- vier setzte und erst nach 3 Stunden wieder aufstand, er hatte schon l'/z ge¬ spielt als wir kamen. Ich habe noch nichts Vollendeteres in dieser Spiel¬ art gehört, oder vielmehr ich kann mit nichts Vollendeteres denken, weil es 23*

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_123619
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_123619/185
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_123619/185>, abgerufen am 01.09.2024.