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Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, I. Semester. II. Band.

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sten Credit finden, sich immer mehr und mehr in Schulden einzuwickeln
keinen Abscheu tragen. -- Eine herzliche und mütterliche Ermahnung an die
treugebliebenen Kinder schließt diese gewaltige Flugschrift: "Schaffet die fran¬
zösischen Agenten und Residenten aus dem Land. Ermuntert eure deutsche
Tapferkeit und zeiget denen Franzosen, daß man mehr mit Drausschlagen
als mit Prahlen gewinne. Verlasset euch auf eure gerechte Sache und glaubet
gewiß, daß euch Gott Muth, Stärke und Sieg geben werde. Lasset
euch die Ungelegenheiten des Kriegs nicht abschrecken, denn ohne dieselben kein
Krieg geführt werden kann. Lasset euch die großen Unkosten des Kriegs
nicht dauern; denn ihr erhaltet dadurch ein unschätzbares Kleinod, die Frei¬
heit des Vaterlandes von fremdem Joch ist nicht mit Geld zu bezahlen.
nunmehro ist ohne Krieg kein Friede und Ruhe in Deutschland zu hoffen;
bellum gsritur ut pax sonirawr; der Deutschen von denen Franzosen an¬
gegriffene Freiheit muß durchs Schwert erhalten sein. Darum auf, alle red¬
lichen deutschen Patrioten, auf, auf! Eure Freiheit stehet auf dem Spiel,
lasset euch solche zu erhalten keine Gefahr abschrecken. Gedenket, daß "Süß
ist und rühmlich der Tod fürs Vaterland".

Was solche Ermahnungen fruchteten, das zeigte der schmähliche Friede
von Nimwegen 1678--1679. Und doch sollte dieser Friede erst der Anfang
der Demüthigungen sein, welche über das Reich verhängt waren. Im Jahr
1680 begann das System der Reunionen und 1681 folgte der Raub Straß-
burgs. Aus dieser Zeit stammt eine Anzahl von Leibnizischen Gedichten und
Anagrammen, deren spielende Künsteleien nicht verhindern, daß des Deutschen
Trauer und Zorn über das Schicksal der deutschen Stadt zu lebhaftem Aus¬
druck kommt. Zwei Jahre später schreibt er die meisterhafte Satire Ng.rs
OnristiÄuissimus, um die öffentliche Meinung Europas gegen den großen
König aufzubringen, unter bitteren Ausfällen gegen die Gallogrecs, die Ver¬
räther in Deutschland. Bekanntlich schreibt der Verfasser selbst unter der
Maske eines dieser Gallogrecs, der seiner Bewunderung für Frankreich und
dessen großen Monarchen freien Lauf läßt. Die Satire erreicht ihren Höhe¬
punkt in jener Stelle, wo der Verfasser ein Gespräch beschreibt mit anderen,
patriotisch gesinnten Deutschen, die er zu seiner verrätherischen Meinung be¬
kehrt. "Ich machte sogar, daß sie begriffen, wie wir vor der Kirche Bestes
arbeiteten, und daß der Name des Vaterlandes nur ein Schrecksal der Idioten
sei, da hingegen ein herzhafter Mensch allenthalben sein Vaterland finde,
oder vielmehr der Himmel das allgemeine Vaterland der Christen sei, haupt¬
sächlich aber der Sondernutz der deutschen Völkerschaft dem allgemeinen
Besten der Christenheit, wie auch des Himmels Verordnung weichen müsse."

Allein während Leibniz diese agitatorische Schrift, eine seiner besten, ver-
faßte, -- er schrieb sie lateinisch und französisch und ließ sie auch in deutscher


sten Credit finden, sich immer mehr und mehr in Schulden einzuwickeln
keinen Abscheu tragen. — Eine herzliche und mütterliche Ermahnung an die
treugebliebenen Kinder schließt diese gewaltige Flugschrift: „Schaffet die fran¬
zösischen Agenten und Residenten aus dem Land. Ermuntert eure deutsche
Tapferkeit und zeiget denen Franzosen, daß man mehr mit Drausschlagen
als mit Prahlen gewinne. Verlasset euch auf eure gerechte Sache und glaubet
gewiß, daß euch Gott Muth, Stärke und Sieg geben werde. Lasset
euch die Ungelegenheiten des Kriegs nicht abschrecken, denn ohne dieselben kein
Krieg geführt werden kann. Lasset euch die großen Unkosten des Kriegs
nicht dauern; denn ihr erhaltet dadurch ein unschätzbares Kleinod, die Frei¬
heit des Vaterlandes von fremdem Joch ist nicht mit Geld zu bezahlen.
nunmehro ist ohne Krieg kein Friede und Ruhe in Deutschland zu hoffen;
bellum gsritur ut pax sonirawr; der Deutschen von denen Franzosen an¬
gegriffene Freiheit muß durchs Schwert erhalten sein. Darum auf, alle red¬
lichen deutschen Patrioten, auf, auf! Eure Freiheit stehet auf dem Spiel,
lasset euch solche zu erhalten keine Gefahr abschrecken. Gedenket, daß „Süß
ist und rühmlich der Tod fürs Vaterland".

Was solche Ermahnungen fruchteten, das zeigte der schmähliche Friede
von Nimwegen 1678—1679. Und doch sollte dieser Friede erst der Anfang
der Demüthigungen sein, welche über das Reich verhängt waren. Im Jahr
1680 begann das System der Reunionen und 1681 folgte der Raub Straß-
burgs. Aus dieser Zeit stammt eine Anzahl von Leibnizischen Gedichten und
Anagrammen, deren spielende Künsteleien nicht verhindern, daß des Deutschen
Trauer und Zorn über das Schicksal der deutschen Stadt zu lebhaftem Aus¬
druck kommt. Zwei Jahre später schreibt er die meisterhafte Satire Ng.rs
OnristiÄuissimus, um die öffentliche Meinung Europas gegen den großen
König aufzubringen, unter bitteren Ausfällen gegen die Gallogrecs, die Ver¬
räther in Deutschland. Bekanntlich schreibt der Verfasser selbst unter der
Maske eines dieser Gallogrecs, der seiner Bewunderung für Frankreich und
dessen großen Monarchen freien Lauf läßt. Die Satire erreicht ihren Höhe¬
punkt in jener Stelle, wo der Verfasser ein Gespräch beschreibt mit anderen,
patriotisch gesinnten Deutschen, die er zu seiner verrätherischen Meinung be¬
kehrt. „Ich machte sogar, daß sie begriffen, wie wir vor der Kirche Bestes
arbeiteten, und daß der Name des Vaterlandes nur ein Schrecksal der Idioten
sei, da hingegen ein herzhafter Mensch allenthalben sein Vaterland finde,
oder vielmehr der Himmel das allgemeine Vaterland der Christen sei, haupt¬
sächlich aber der Sondernutz der deutschen Völkerschaft dem allgemeinen
Besten der Christenheit, wie auch des Himmels Verordnung weichen müsse."

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_123619/18>, abgerufen am 27.07.2024.