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Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, I. Semester. II. Band.

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tüchtigkeit zu besetzen, dazu sind der Bühnen zu viele und freudiges Selbst¬
schaffen unter den Schauspielern viel zu selten. Bei den immerhin bescheide¬
nen Mitteln der Karlsruher Bühne mußte Devrient froh sein, wenn er auch
nur mäßige Begabung in manchem wichtigen Rollenfach sich durch einige
Jahre bewahren konnte. Den reicheren Talenten, welche er zu erhalten das
Glück hatte, ließ er jeden Spielraum. Die Befriedigung, welche seine Bühne
gewährte, war deshalb die beste, welche gegenwärtig in einer mittleren Stadt
zu erreichen ist. Es war zuerst die Abwesenheit grober Fehler und eine
consequente Bändigung der dramatischen Rohheiten, durch welche der Schau¬
spieler für sich Beifall sucht, indem er Uebertreibungen der Posse in das
Lustspiel mischt, seine Wirkungen auf Kosten der Mitspielenden aufbläst ze.
Man war immer sicher in guter Gesellschaft zu sein, auch bei gewagten und
possenhaften Momenten vermißte man nie das Zartgefühl guter Sitte. Dazu
kam als besonderer Reiz die Einheit der dramatischen Stils in sämmtlichen
Rollen, die Zuvorkommenheit, mit welcher die Wirkungen durch einen Dar¬
steller dem andern vermittelt wurden, vor Allem die warme und liberale Pietät
des Dirigenten und seiner Künstler gegen die Textworte und die beabsichtigte
Wirkung des Dichters. Das Theater von Karlsruhe bietet manches Hemmniß.
Der Zuschauerraum geht bereits über das Maaß hinaus, welches für feine Wir¬
kungen des Schauspiels wünschenswert!) ist und hat den besonderen akustischen
Uebelstand, daß er ein schnelles Redetempo fast nur an einer Stelle der Bühne
gestattet. Das wird namentlich beim Conversationsstück ein fast unübersteig-
liches Hemmniß. Wenn darin nicht immer ein frisches und lebhaftes Tempo
erreicht wird und nicht durchweg die schönen Wirkungen, welche in der
Steigerung und Abdämpfung des Dialogs, also in dem rhythmischen Grup¬
piren der Scenentheile liegen, so ist der Uebelstand in dem Bau des Hauses
zu suchen, welches den Schauspieler zu einer beständigen Beherrschung seines
Feuers nöthigt.

Das allmälig heranbildende Studium, welches Devrient seinem Personale
an immer schwierigeren Aufgaben zu Gute kommen ließ, theilte unvermerkt
das Publicum. Es genügte der Zeitraum von zehn Jahren, um das Re¬
pertoire auf die ehernen Grundpfeiler von sämmtlichen dem Publicum zu.
gänglichen classischen Werken Shakespeare's und der deutschen Meister zu
stellen (20 Shakespeare'sche, 20 von Lessing. Goethe, Schiller, 3 von Kleist).
Daneben stehen die Namen aller bedeutenderen Dichter der Neuzeit, wenig
modern französische; in der Oper auf S Gluck'sche, 6 Mozart'sche (mit den
Originalrecitativen) solgen Beethovens, Webers, Spohrs, Marschners, Meyer"
beers, R. Wagner's Werke und mancher Name moderner Tondichter, von
französischen Componisten. was sich dramatisch auszeichnete von MeHul bis
zu Ander -- der Name Offenbach blieb unbekannt--, von Italienern dagegen


tüchtigkeit zu besetzen, dazu sind der Bühnen zu viele und freudiges Selbst¬
schaffen unter den Schauspielern viel zu selten. Bei den immerhin bescheide¬
nen Mitteln der Karlsruher Bühne mußte Devrient froh sein, wenn er auch
nur mäßige Begabung in manchem wichtigen Rollenfach sich durch einige
Jahre bewahren konnte. Den reicheren Talenten, welche er zu erhalten das
Glück hatte, ließ er jeden Spielraum. Die Befriedigung, welche seine Bühne
gewährte, war deshalb die beste, welche gegenwärtig in einer mittleren Stadt
zu erreichen ist. Es war zuerst die Abwesenheit grober Fehler und eine
consequente Bändigung der dramatischen Rohheiten, durch welche der Schau¬
spieler für sich Beifall sucht, indem er Uebertreibungen der Posse in das
Lustspiel mischt, seine Wirkungen auf Kosten der Mitspielenden aufbläst ze.
Man war immer sicher in guter Gesellschaft zu sein, auch bei gewagten und
possenhaften Momenten vermißte man nie das Zartgefühl guter Sitte. Dazu
kam als besonderer Reiz die Einheit der dramatischen Stils in sämmtlichen
Rollen, die Zuvorkommenheit, mit welcher die Wirkungen durch einen Dar¬
steller dem andern vermittelt wurden, vor Allem die warme und liberale Pietät
des Dirigenten und seiner Künstler gegen die Textworte und die beabsichtigte
Wirkung des Dichters. Das Theater von Karlsruhe bietet manches Hemmniß.
Der Zuschauerraum geht bereits über das Maaß hinaus, welches für feine Wir¬
kungen des Schauspiels wünschenswert!) ist und hat den besonderen akustischen
Uebelstand, daß er ein schnelles Redetempo fast nur an einer Stelle der Bühne
gestattet. Das wird namentlich beim Conversationsstück ein fast unübersteig-
liches Hemmniß. Wenn darin nicht immer ein frisches und lebhaftes Tempo
erreicht wird und nicht durchweg die schönen Wirkungen, welche in der
Steigerung und Abdämpfung des Dialogs, also in dem rhythmischen Grup¬
piren der Scenentheile liegen, so ist der Uebelstand in dem Bau des Hauses
zu suchen, welches den Schauspieler zu einer beständigen Beherrschung seines
Feuers nöthigt.

Das allmälig heranbildende Studium, welches Devrient seinem Personale
an immer schwierigeren Aufgaben zu Gute kommen ließ, theilte unvermerkt
das Publicum. Es genügte der Zeitraum von zehn Jahren, um das Re¬
pertoire auf die ehernen Grundpfeiler von sämmtlichen dem Publicum zu.
gänglichen classischen Werken Shakespeare's und der deutschen Meister zu
stellen (20 Shakespeare'sche, 20 von Lessing. Goethe, Schiller, 3 von Kleist).
Daneben stehen die Namen aller bedeutenderen Dichter der Neuzeit, wenig
modern französische; in der Oper auf S Gluck'sche, 6 Mozart'sche (mit den
Originalrecitativen) solgen Beethovens, Webers, Spohrs, Marschners, Meyer«
beers, R. Wagner's Werke und mancher Name moderner Tondichter, von
französischen Componisten. was sich dramatisch auszeichnete von MeHul bis
zu Ander — der Name Offenbach blieb unbekannt—, von Italienern dagegen


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[0171] tüchtigkeit zu besetzen, dazu sind der Bühnen zu viele und freudiges Selbst¬ schaffen unter den Schauspielern viel zu selten. Bei den immerhin bescheide¬ nen Mitteln der Karlsruher Bühne mußte Devrient froh sein, wenn er auch nur mäßige Begabung in manchem wichtigen Rollenfach sich durch einige Jahre bewahren konnte. Den reicheren Talenten, welche er zu erhalten das Glück hatte, ließ er jeden Spielraum. Die Befriedigung, welche seine Bühne gewährte, war deshalb die beste, welche gegenwärtig in einer mittleren Stadt zu erreichen ist. Es war zuerst die Abwesenheit grober Fehler und eine consequente Bändigung der dramatischen Rohheiten, durch welche der Schau¬ spieler für sich Beifall sucht, indem er Uebertreibungen der Posse in das Lustspiel mischt, seine Wirkungen auf Kosten der Mitspielenden aufbläst ze. Man war immer sicher in guter Gesellschaft zu sein, auch bei gewagten und possenhaften Momenten vermißte man nie das Zartgefühl guter Sitte. Dazu kam als besonderer Reiz die Einheit der dramatischen Stils in sämmtlichen Rollen, die Zuvorkommenheit, mit welcher die Wirkungen durch einen Dar¬ steller dem andern vermittelt wurden, vor Allem die warme und liberale Pietät des Dirigenten und seiner Künstler gegen die Textworte und die beabsichtigte Wirkung des Dichters. Das Theater von Karlsruhe bietet manches Hemmniß. Der Zuschauerraum geht bereits über das Maaß hinaus, welches für feine Wir¬ kungen des Schauspiels wünschenswert!) ist und hat den besonderen akustischen Uebelstand, daß er ein schnelles Redetempo fast nur an einer Stelle der Bühne gestattet. Das wird namentlich beim Conversationsstück ein fast unübersteig- liches Hemmniß. Wenn darin nicht immer ein frisches und lebhaftes Tempo erreicht wird und nicht durchweg die schönen Wirkungen, welche in der Steigerung und Abdämpfung des Dialogs, also in dem rhythmischen Grup¬ piren der Scenentheile liegen, so ist der Uebelstand in dem Bau des Hauses zu suchen, welches den Schauspieler zu einer beständigen Beherrschung seines Feuers nöthigt. Das allmälig heranbildende Studium, welches Devrient seinem Personale an immer schwierigeren Aufgaben zu Gute kommen ließ, theilte unvermerkt das Publicum. Es genügte der Zeitraum von zehn Jahren, um das Re¬ pertoire auf die ehernen Grundpfeiler von sämmtlichen dem Publicum zu. gänglichen classischen Werken Shakespeare's und der deutschen Meister zu stellen (20 Shakespeare'sche, 20 von Lessing. Goethe, Schiller, 3 von Kleist). Daneben stehen die Namen aller bedeutenderen Dichter der Neuzeit, wenig modern französische; in der Oper auf S Gluck'sche, 6 Mozart'sche (mit den Originalrecitativen) solgen Beethovens, Webers, Spohrs, Marschners, Meyer« beers, R. Wagner's Werke und mancher Name moderner Tondichter, von französischen Componisten. was sich dramatisch auszeichnete von MeHul bis zu Ander — der Name Offenbach blieb unbekannt—, von Italienern dagegen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_123619/171>, abgerufen am 01.09.2024.