Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, I. Semester. II. Band.denn die Vertreter aller nichtungarischen .Länder hatten, von der Krone zur Die Regierung hat vorläufig abgelehnt, ein Programm zu veröffentlichen, Verantwortliche Redacteure : Gustav Areytag u. Julius Eckardt. Verlag von F. L. Hervig. -- Druck von Hüthel H Segler in Leipzig. denn die Vertreter aller nichtungarischen .Länder hatten, von der Krone zur Die Regierung hat vorläufig abgelehnt, ein Programm zu veröffentlichen, Verantwortliche Redacteure : Gustav Areytag u. Julius Eckardt. Verlag von F. L. Hervig. — Druck von Hüthel H Segler in Leipzig. <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0166" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/123786"/> <p xml:id="ID_488" prev="#ID_487"> denn die Vertreter aller nichtungarischen .Länder hatten, von der Krone zur<lb/> Verfassungsgebung berufen, jenem Entwürfe ihre Zustimmung gegeben, erst<lb/> durch die nachfolgenden Octroyirungen war der Zwiespalt erzeugt worden.<lb/> Damals verschmähte man diesen Weg, wird er heute noch zu betreten sein?</p><lb/> <p xml:id="ID_489"> Die Regierung hat vorläufig abgelehnt, ein Programm zu veröffentlichen,<lb/> sie beabsichtigt, wie man hört, zuvörderst mit den Führern der verschiedenen<lb/> nationalen Parteien in außerparlamentarische Unterhandlung zu treten, wie<lb/> es seinerzeit mit den Ungarn geschah. Allein es fragt sich, ob die Führer<lb/> ebenso wie Deal, Eötvös u. s. w. in der Lage sein werden, zu verbürgen,<lb/> daß die Nation gut heißen werde, was sie vereinbaren — immer vorausge¬<lb/> setzt, daß eine Vereinbarung mit ihnen überhaupt gelingt. Nach den Ante-<lb/> cedentien der Grasen Potocki und Taaffe, denen ihr früherer College Berger<lb/> wenigstens als rathender Freund zur Seite stehen soll, darf man annehmen,<lb/> daß sie dem Verlangen der Länder nachgeben, die Befugnisse der Landrage er¬<lb/> weitern und das Gegengewicht in dem reformirten Institute des Reichsraths<lb/> finden wollen. Jetzt ist das Abgeordnetenhaus die Quintessenz der Landtage,<lb/> das Herrenhaus, eine von dem Belieben der jeweiligen Regierungen bunt<lb/> zusammengewürfelte Versammlung von Aristokraten, alten Beamten und Mili¬<lb/> tärs, einigen Dichtern, Gelehrten, reichen Kaufleuten. Künftig würde die<lb/> zweite Kammer aus directen Wahlen hervorgehen, die erste hingegen eine<lb/> Länderkammer werden. Daß eine Versammlung solcher Art eine starke cen-<lb/> tripetale Gewalt entwickeln würde, dafür sprechen die Erfahrungen der meisten<lb/> Staaten. Aber der Durchführung des Projects stehen die Besorgnisse ein¬<lb/> zelner Nationalitäten entgegen. Die Polen werden sich stets gegen directe<lb/> Wahlen wehren, weil durch dieselben eine starke ruthenische Fraction in die<lb/> Reichsversammlung kommen würde, während sie gegenwärtig ihre Majorität<lb/> im Landtage dazu benutzen, die ländliche Bevölkerung Galiziens beinah mund¬<lb/> todt zu machen. Die Deutschen lassen sich durch die Aussicht schrecken, von<lb/> einer slavischen Majorität erdrückt zu werden — so gering ist in Wahrheit<lb/> ihr Glaube an die Ueberlegenheit ihrer Cultur, die doch die Herren Schindler<lb/> und Consorten so gern im Munde führen. Dieses leere Phrasenwesen muß<lb/> freilich einmal aufhören, es hat zu nichts genützt, als die anderen Völker¬<lb/> schaften zu erbittern oder mit Rücksicht auf die Persönlichkeiten der Haupt¬<lb/> culturträger den Hohn der Slaven herauszufordern. Beweisen müssen die<lb/> Deutschen endlich, daß sie wirklich auf einer höheren Stufe stehen, wir sind<lb/> des guten Glaubens, daß dieses Element in der That die Majoristrung nicht<lb/> zu fürchten habe: sollte es aber so schwach sein, daß es nur durch ungerechte<lb/> Wahlgesetze und Bevorzugung bei Vergebung der Aemter u. s. w. — nun,<lb/> woraus in aller Welt wollte es dann seine Separatansprüche stützen?<lb/> Schickt man den Ländern nicht mehr Beamte, welche die Verachtung alles<lb/> nationalen Wesens zur Schau tragen, zeigt der Deutsche nicht bloß Stolz<lb/> auf dasjenige, was seine Stammesbrüder geleistet haben, sondern bewährt er<lb/> die gleiche Tüchtigkeit in feiner Sphäre, so wird auch das Widerstreben gegen<lb/> die deutsche Cultur wieder schwinden. Die Slaven sind ja nicht so dumm<lb/> zu verkennen, daß sie deutsche Sprache und Wissenschaft und Kunst gar nicht<lb/> entbehren können. In Prag hat man den Czechen ein eigenes technisches<lb/> Institut eingerichtet, aber nur eine winzige Minorität besucht dasselbe, die<lb/> Mehrzahl ist der deutschen Anstalt treu geblieben, selbst die besten Lehrer<lb/> ezechischer Nationalität! Solche Thatsachen reden.</p><lb/> <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/> <note type="byline"> Verantwortliche Redacteure : Gustav Areytag u. Julius Eckardt.<lb/> Verlag von F. L. Hervig. — Druck von Hüthel H Segler in Leipzig.</note><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0166]
denn die Vertreter aller nichtungarischen .Länder hatten, von der Krone zur
Verfassungsgebung berufen, jenem Entwürfe ihre Zustimmung gegeben, erst
durch die nachfolgenden Octroyirungen war der Zwiespalt erzeugt worden.
Damals verschmähte man diesen Weg, wird er heute noch zu betreten sein?
Die Regierung hat vorläufig abgelehnt, ein Programm zu veröffentlichen,
sie beabsichtigt, wie man hört, zuvörderst mit den Führern der verschiedenen
nationalen Parteien in außerparlamentarische Unterhandlung zu treten, wie
es seinerzeit mit den Ungarn geschah. Allein es fragt sich, ob die Führer
ebenso wie Deal, Eötvös u. s. w. in der Lage sein werden, zu verbürgen,
daß die Nation gut heißen werde, was sie vereinbaren — immer vorausge¬
setzt, daß eine Vereinbarung mit ihnen überhaupt gelingt. Nach den Ante-
cedentien der Grasen Potocki und Taaffe, denen ihr früherer College Berger
wenigstens als rathender Freund zur Seite stehen soll, darf man annehmen,
daß sie dem Verlangen der Länder nachgeben, die Befugnisse der Landrage er¬
weitern und das Gegengewicht in dem reformirten Institute des Reichsraths
finden wollen. Jetzt ist das Abgeordnetenhaus die Quintessenz der Landtage,
das Herrenhaus, eine von dem Belieben der jeweiligen Regierungen bunt
zusammengewürfelte Versammlung von Aristokraten, alten Beamten und Mili¬
tärs, einigen Dichtern, Gelehrten, reichen Kaufleuten. Künftig würde die
zweite Kammer aus directen Wahlen hervorgehen, die erste hingegen eine
Länderkammer werden. Daß eine Versammlung solcher Art eine starke cen-
tripetale Gewalt entwickeln würde, dafür sprechen die Erfahrungen der meisten
Staaten. Aber der Durchführung des Projects stehen die Besorgnisse ein¬
zelner Nationalitäten entgegen. Die Polen werden sich stets gegen directe
Wahlen wehren, weil durch dieselben eine starke ruthenische Fraction in die
Reichsversammlung kommen würde, während sie gegenwärtig ihre Majorität
im Landtage dazu benutzen, die ländliche Bevölkerung Galiziens beinah mund¬
todt zu machen. Die Deutschen lassen sich durch die Aussicht schrecken, von
einer slavischen Majorität erdrückt zu werden — so gering ist in Wahrheit
ihr Glaube an die Ueberlegenheit ihrer Cultur, die doch die Herren Schindler
und Consorten so gern im Munde führen. Dieses leere Phrasenwesen muß
freilich einmal aufhören, es hat zu nichts genützt, als die anderen Völker¬
schaften zu erbittern oder mit Rücksicht auf die Persönlichkeiten der Haupt¬
culturträger den Hohn der Slaven herauszufordern. Beweisen müssen die
Deutschen endlich, daß sie wirklich auf einer höheren Stufe stehen, wir sind
des guten Glaubens, daß dieses Element in der That die Majoristrung nicht
zu fürchten habe: sollte es aber so schwach sein, daß es nur durch ungerechte
Wahlgesetze und Bevorzugung bei Vergebung der Aemter u. s. w. — nun,
woraus in aller Welt wollte es dann seine Separatansprüche stützen?
Schickt man den Ländern nicht mehr Beamte, welche die Verachtung alles
nationalen Wesens zur Schau tragen, zeigt der Deutsche nicht bloß Stolz
auf dasjenige, was seine Stammesbrüder geleistet haben, sondern bewährt er
die gleiche Tüchtigkeit in feiner Sphäre, so wird auch das Widerstreben gegen
die deutsche Cultur wieder schwinden. Die Slaven sind ja nicht so dumm
zu verkennen, daß sie deutsche Sprache und Wissenschaft und Kunst gar nicht
entbehren können. In Prag hat man den Czechen ein eigenes technisches
Institut eingerichtet, aber nur eine winzige Minorität besucht dasselbe, die
Mehrzahl ist der deutschen Anstalt treu geblieben, selbst die besten Lehrer
ezechischer Nationalität! Solche Thatsachen reden.
Verantwortliche Redacteure : Gustav Areytag u. Julius Eckardt.
Verlag von F. L. Hervig. — Druck von Hüthel H Segler in Leipzig.
Informationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.
Weitere Informationen:Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur. Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (ꝛ): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja; Nachkorrektur erfolgte automatisch.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |