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Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, I. Semester. II. Band.

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in Polizeistrafsachen beginnen uns wieder einzuführen in die Zeiten des
lebendigen Rechts, des mündlichen und öffentlichen Gerichtsverkehrs.

Einstweilen wollen wir am früheren obersten Reichsgerichtshof lernen,
wie der künftige Reichsgerichtshof -- nicht sein wird.




Eine Stadtgründung unter Katharina II.

Man hat es der großen Kaiserin von Rußland zum Lobe angerechnet,
daß sie einen dritten Stand geschaffen habe, und daß unter ihrer Regierung so
viele Städte entstanden seien; zweihundert Städte werden namhaft gemacht,
welche, wie es in einem russischen Geschichtswerke heißt, "alsbald zu großer
Blüthe gelangten." In Wahrheit mag dies von sehr wenigen Städten gelten,
und zu diesen gehört Odessa. Die meisten Stadtgründungen ihrer Zeit sind
keineswegs erfolgreich gewesen, weil nicht eine rasch steigende Dichtigkeit der
Bevölkerung, Handels- und Judustrieverkehr schuf, sondern eine Polizei,
welche selten nach rationellen Grundsätzen verfuhr.

Die russischen Minister haben sich es oft zu leicht gedacht den Orient zu
reformiren. Da gab es ein großes Feld für neue Schöpfungen, einen gewal¬
tigen Spielraum und man verfügte über relativ bedeutende Mittel. Die ab¬
solute Gewalt wirkte in einem Volksthum, welches lange Zeit an ein ab¬
solutes Gehorchen gewöhnt war; es gab keine öffentliche Meinung, keine
organischen Institutionen, welche der reformirenden Gewalt hätten erhebliche
Schranken setzen wollen. So meinte man viel Neues hervorzaubern zu kön¬
nen. Es ist einiges Bedeutende geschehen. Man hat viel versucht, noch viel
mehr sich zugetraut. Zum Phantastischen geneigte Naturen, wie der Fürst
Potemkin, haben Unmögliches für möglich gehalten. Die Ausführung ist
dann kläglich hinter dem Entwürfe zurückgeblieben. Der Fürst wollte die
Steppen Südrußlands wie mit einem Zauberschlage in einen Garten, die
öde Wildniß in eine Menge reichbevölkerter Städte verwandeln, das ist nicht
gelungen.

Merkwürdig ist es, wie nach der Besetzung Südrußlands und der Krim
Potemkin eine Thätigkeit entfaltet, welche auf alle nur erdenklichen Zweige
der Verwaltung gerichtet ist. Eine große Menge von Ackerstücken, zum
Theil eigenhändige Schreiben des Fürsten sind erhalten, woraus zu ersehen
ist. mit welchem Eifer, mit welcher Hast und Ueberstürzung die Neugestal-
tung Südrußlands und der Taurischen Halbinsel angebahnt wurde. Die
Landwirthschaft sollte zuerst einen Aufschwung nehmen; allerlei Vergünstigun-


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in Polizeistrafsachen beginnen uns wieder einzuführen in die Zeiten des
lebendigen Rechts, des mündlichen und öffentlichen Gerichtsverkehrs.

Einstweilen wollen wir am früheren obersten Reichsgerichtshof lernen,
wie der künftige Reichsgerichtshof — nicht sein wird.




Eine Stadtgründung unter Katharina II.

Man hat es der großen Kaiserin von Rußland zum Lobe angerechnet,
daß sie einen dritten Stand geschaffen habe, und daß unter ihrer Regierung so
viele Städte entstanden seien; zweihundert Städte werden namhaft gemacht,
welche, wie es in einem russischen Geschichtswerke heißt, „alsbald zu großer
Blüthe gelangten." In Wahrheit mag dies von sehr wenigen Städten gelten,
und zu diesen gehört Odessa. Die meisten Stadtgründungen ihrer Zeit sind
keineswegs erfolgreich gewesen, weil nicht eine rasch steigende Dichtigkeit der
Bevölkerung, Handels- und Judustrieverkehr schuf, sondern eine Polizei,
welche selten nach rationellen Grundsätzen verfuhr.

Die russischen Minister haben sich es oft zu leicht gedacht den Orient zu
reformiren. Da gab es ein großes Feld für neue Schöpfungen, einen gewal¬
tigen Spielraum und man verfügte über relativ bedeutende Mittel. Die ab¬
solute Gewalt wirkte in einem Volksthum, welches lange Zeit an ein ab¬
solutes Gehorchen gewöhnt war; es gab keine öffentliche Meinung, keine
organischen Institutionen, welche der reformirenden Gewalt hätten erhebliche
Schranken setzen wollen. So meinte man viel Neues hervorzaubern zu kön¬
nen. Es ist einiges Bedeutende geschehen. Man hat viel versucht, noch viel
mehr sich zugetraut. Zum Phantastischen geneigte Naturen, wie der Fürst
Potemkin, haben Unmögliches für möglich gehalten. Die Ausführung ist
dann kläglich hinter dem Entwürfe zurückgeblieben. Der Fürst wollte die
Steppen Südrußlands wie mit einem Zauberschlage in einen Garten, die
öde Wildniß in eine Menge reichbevölkerter Städte verwandeln, das ist nicht
gelungen.

Merkwürdig ist es, wie nach der Besetzung Südrußlands und der Krim
Potemkin eine Thätigkeit entfaltet, welche auf alle nur erdenklichen Zweige
der Verwaltung gerichtet ist. Eine große Menge von Ackerstücken, zum
Theil eigenhändige Schreiben des Fürsten sind erhalten, woraus zu ersehen
ist. mit welchem Eifer, mit welcher Hast und Ueberstürzung die Neugestal-
tung Südrußlands und der Taurischen Halbinsel angebahnt wurde. Die
Landwirthschaft sollte zuerst einen Aufschwung nehmen; allerlei Vergünstigun-


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[0145] in Polizeistrafsachen beginnen uns wieder einzuführen in die Zeiten des lebendigen Rechts, des mündlichen und öffentlichen Gerichtsverkehrs. Einstweilen wollen wir am früheren obersten Reichsgerichtshof lernen, wie der künftige Reichsgerichtshof — nicht sein wird. Eine Stadtgründung unter Katharina II. Man hat es der großen Kaiserin von Rußland zum Lobe angerechnet, daß sie einen dritten Stand geschaffen habe, und daß unter ihrer Regierung so viele Städte entstanden seien; zweihundert Städte werden namhaft gemacht, welche, wie es in einem russischen Geschichtswerke heißt, „alsbald zu großer Blüthe gelangten." In Wahrheit mag dies von sehr wenigen Städten gelten, und zu diesen gehört Odessa. Die meisten Stadtgründungen ihrer Zeit sind keineswegs erfolgreich gewesen, weil nicht eine rasch steigende Dichtigkeit der Bevölkerung, Handels- und Judustrieverkehr schuf, sondern eine Polizei, welche selten nach rationellen Grundsätzen verfuhr. Die russischen Minister haben sich es oft zu leicht gedacht den Orient zu reformiren. Da gab es ein großes Feld für neue Schöpfungen, einen gewal¬ tigen Spielraum und man verfügte über relativ bedeutende Mittel. Die ab¬ solute Gewalt wirkte in einem Volksthum, welches lange Zeit an ein ab¬ solutes Gehorchen gewöhnt war; es gab keine öffentliche Meinung, keine organischen Institutionen, welche der reformirenden Gewalt hätten erhebliche Schranken setzen wollen. So meinte man viel Neues hervorzaubern zu kön¬ nen. Es ist einiges Bedeutende geschehen. Man hat viel versucht, noch viel mehr sich zugetraut. Zum Phantastischen geneigte Naturen, wie der Fürst Potemkin, haben Unmögliches für möglich gehalten. Die Ausführung ist dann kläglich hinter dem Entwürfe zurückgeblieben. Der Fürst wollte die Steppen Südrußlands wie mit einem Zauberschlage in einen Garten, die öde Wildniß in eine Menge reichbevölkerter Städte verwandeln, das ist nicht gelungen. Merkwürdig ist es, wie nach der Besetzung Südrußlands und der Krim Potemkin eine Thätigkeit entfaltet, welche auf alle nur erdenklichen Zweige der Verwaltung gerichtet ist. Eine große Menge von Ackerstücken, zum Theil eigenhändige Schreiben des Fürsten sind erhalten, woraus zu ersehen ist. mit welchem Eifer, mit welcher Hast und Ueberstürzung die Neugestal- tung Südrußlands und der Taurischen Halbinsel angebahnt wurde. Die Landwirthschaft sollte zuerst einen Aufschwung nehmen; allerlei Vergünstigun- 18*

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_123619/145>, abgerufen am 27.07.2024.