Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, I. Semester. II. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

ten die Parteien, im andern brachte der Kläger seine Zeugen zur Stelle und
ließ sie abhören, im dritten sprach das Gericht das Urtheil, nachdem beide
Theile ihre Ansichten über den Werth oder Unwerth der Zeugenaussagen
ausgetauscht hatten. Alles das ging mündlich vor sich und wurde kurz vom
Gerichtsschreiber im Gerichtsbuch eingetragen. Der Kläger vertrat sich selbst;
der Verklagte, wohl im Bewußtsein der Schwäche seiner Vertheidigung, hatte
sich einen "Fürsprach" angenommen, der statt seiner "redete"; was aber dieser
vorzubringen wußte, beschränkte sich darauf, daß ein Theil der Zeugen sich
vor der Vernehmung mit dem Kläger über die Sache besprochen hätte und
daß ein anderer Theil dem Kläger verwandt sei. Da Ersteres eine leere
Ausflucht und Letzteres ein Umstand war, der nur einzelne Zeugen traf, so
mußte das Gericht selbstverständlich des Klägers Beweis für erbracht an¬
nehmen.

Aber Appel glaubte sich bei dem Urtheil nicht beruhigen zu sollen; er
ließ sich deshalb von dem Fürsprach ein Schriftstück verfassen, worin er er¬
klärt, sich von dem Urtheil des "vermessenen Schultheiß und Landschöffen" --
"doch ihre Ehre und ihren Glimpf vorbehalten" -- an Herrn Friedrich,
römischen Kaiser und an sein königlich Hof- und Kammergericht zu berufen,
"wie von geistlichen und weltlichen Rechten erlaubt ist zu Steuer Derer, die
an ihren Rechten geletzt und beschwert." Um diesem Schriftstück öffentliche
Glaubwürdigkeit zu geben, muß Appel sich an einen Notar wenden. Der
Notar ist damals der stete Vermittler zwischen dem Publicum und dem
häufig entfernt gelegenen Gerichte. Da aber die Schreib - und Geschäftskunde
in jener Zeit immer noch vorzugsweise an dem geistlichen Stand haftete, so sind
die Notare, welche beim Volke Cleriker heißen, in Wahrheit noch oft Geistliche,
an den kleineren Orten der dort befindliche einzige Cleriker, der Pfarrer; ihr
Geschäftsbureau schlagen sie im Chor der Kirche oder im Umgang derselben
oder draußen vor der Kirche auf dem Kirchhof auf. Die zwei Zeugen, die
sie nöthig haben, entnehmen sie, wenn sie ihr Client nicht mitbringt, aus
den Mitclerikern ihrer Kirche. Wir sehen daher unseren Appel mit dem
papiernen Zettel, den ihm sein Fürsprach aufgeschrieben hat, am 18. Juni 1791
auf dem Se. Leonhard's Kirchhof in Frankfurt erscheinen und den dort ge¬
rade anwesenden Notar, Philippus, Pfarrer zu Rumpenheim, in Gegenwart
zweier Geistlichen als Zeugen um einen "offenen Urkundsbrief" über die statt¬
gehabte Appellationsanzeige bitten. Der Notar, der nur "offene" Briefe
verfaßt und deshalb zu deutsch "ein Offenschreiber" sich nennt, bezeugt, daß
Appel mit dem papiernen Zettel vor ihm erschienen, und rückt dessen Jnhnlt
wörtlich in das Pergament ein, auf das er den vor ihm geschehenen
Rechtsaet niederschreibe. Dann begibt sich der Notar mit dem Pergament
einige Wochen später in Begleitung zweier Hanauer Bürger zum Vor-


ten die Parteien, im andern brachte der Kläger seine Zeugen zur Stelle und
ließ sie abhören, im dritten sprach das Gericht das Urtheil, nachdem beide
Theile ihre Ansichten über den Werth oder Unwerth der Zeugenaussagen
ausgetauscht hatten. Alles das ging mündlich vor sich und wurde kurz vom
Gerichtsschreiber im Gerichtsbuch eingetragen. Der Kläger vertrat sich selbst;
der Verklagte, wohl im Bewußtsein der Schwäche seiner Vertheidigung, hatte
sich einen „Fürsprach" angenommen, der statt seiner „redete"; was aber dieser
vorzubringen wußte, beschränkte sich darauf, daß ein Theil der Zeugen sich
vor der Vernehmung mit dem Kläger über die Sache besprochen hätte und
daß ein anderer Theil dem Kläger verwandt sei. Da Ersteres eine leere
Ausflucht und Letzteres ein Umstand war, der nur einzelne Zeugen traf, so
mußte das Gericht selbstverständlich des Klägers Beweis für erbracht an¬
nehmen.

Aber Appel glaubte sich bei dem Urtheil nicht beruhigen zu sollen; er
ließ sich deshalb von dem Fürsprach ein Schriftstück verfassen, worin er er¬
klärt, sich von dem Urtheil des „vermessenen Schultheiß und Landschöffen" —
„doch ihre Ehre und ihren Glimpf vorbehalten" — an Herrn Friedrich,
römischen Kaiser und an sein königlich Hof- und Kammergericht zu berufen,
„wie von geistlichen und weltlichen Rechten erlaubt ist zu Steuer Derer, die
an ihren Rechten geletzt und beschwert." Um diesem Schriftstück öffentliche
Glaubwürdigkeit zu geben, muß Appel sich an einen Notar wenden. Der
Notar ist damals der stete Vermittler zwischen dem Publicum und dem
häufig entfernt gelegenen Gerichte. Da aber die Schreib - und Geschäftskunde
in jener Zeit immer noch vorzugsweise an dem geistlichen Stand haftete, so sind
die Notare, welche beim Volke Cleriker heißen, in Wahrheit noch oft Geistliche,
an den kleineren Orten der dort befindliche einzige Cleriker, der Pfarrer; ihr
Geschäftsbureau schlagen sie im Chor der Kirche oder im Umgang derselben
oder draußen vor der Kirche auf dem Kirchhof auf. Die zwei Zeugen, die
sie nöthig haben, entnehmen sie, wenn sie ihr Client nicht mitbringt, aus
den Mitclerikern ihrer Kirche. Wir sehen daher unseren Appel mit dem
papiernen Zettel, den ihm sein Fürsprach aufgeschrieben hat, am 18. Juni 1791
auf dem Se. Leonhard's Kirchhof in Frankfurt erscheinen und den dort ge¬
rade anwesenden Notar, Philippus, Pfarrer zu Rumpenheim, in Gegenwart
zweier Geistlichen als Zeugen um einen „offenen Urkundsbrief" über die statt¬
gehabte Appellationsanzeige bitten. Der Notar, der nur „offene" Briefe
verfaßt und deshalb zu deutsch „ein Offenschreiber" sich nennt, bezeugt, daß
Appel mit dem papiernen Zettel vor ihm erschienen, und rückt dessen Jnhnlt
wörtlich in das Pergament ein, auf das er den vor ihm geschehenen
Rechtsaet niederschreibe. Dann begibt sich der Notar mit dem Pergament
einige Wochen später in Begleitung zweier Hanauer Bürger zum Vor-


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0138" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/123758"/>
          <p xml:id="ID_416" prev="#ID_415"> ten die Parteien, im andern brachte der Kläger seine Zeugen zur Stelle und<lb/>
ließ sie abhören, im dritten sprach das Gericht das Urtheil, nachdem beide<lb/>
Theile ihre Ansichten über den Werth oder Unwerth der Zeugenaussagen<lb/>
ausgetauscht hatten. Alles das ging mündlich vor sich und wurde kurz vom<lb/>
Gerichtsschreiber im Gerichtsbuch eingetragen. Der Kläger vertrat sich selbst;<lb/>
der Verklagte, wohl im Bewußtsein der Schwäche seiner Vertheidigung, hatte<lb/>
sich einen &#x201E;Fürsprach" angenommen, der statt seiner &#x201E;redete"; was aber dieser<lb/>
vorzubringen wußte, beschränkte sich darauf, daß ein Theil der Zeugen sich<lb/>
vor der Vernehmung mit dem Kläger über die Sache besprochen hätte und<lb/>
daß ein anderer Theil dem Kläger verwandt sei. Da Ersteres eine leere<lb/>
Ausflucht und Letzteres ein Umstand war, der nur einzelne Zeugen traf, so<lb/>
mußte das Gericht selbstverständlich des Klägers Beweis für erbracht an¬<lb/>
nehmen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_417" next="#ID_418"> Aber Appel glaubte sich bei dem Urtheil nicht beruhigen zu sollen; er<lb/>
ließ sich deshalb von dem Fürsprach ein Schriftstück verfassen, worin er er¬<lb/>
klärt, sich von dem Urtheil des &#x201E;vermessenen Schultheiß und Landschöffen" &#x2014;<lb/>
&#x201E;doch ihre Ehre und ihren Glimpf vorbehalten" &#x2014; an Herrn Friedrich,<lb/>
römischen Kaiser und an sein königlich Hof- und Kammergericht zu berufen,<lb/>
&#x201E;wie von geistlichen und weltlichen Rechten erlaubt ist zu Steuer Derer, die<lb/>
an ihren Rechten geletzt und beschwert."  Um diesem Schriftstück öffentliche<lb/>
Glaubwürdigkeit zu geben, muß Appel sich an einen Notar wenden. Der<lb/>
Notar ist damals der stete Vermittler zwischen dem Publicum und dem<lb/>
häufig entfernt gelegenen Gerichte. Da aber die Schreib - und Geschäftskunde<lb/>
in jener Zeit immer noch vorzugsweise an dem geistlichen Stand haftete, so sind<lb/>
die Notare, welche beim Volke Cleriker heißen, in Wahrheit noch oft Geistliche,<lb/>
an den kleineren Orten der dort befindliche einzige Cleriker, der Pfarrer; ihr<lb/>
Geschäftsbureau schlagen sie im Chor der Kirche oder im Umgang derselben<lb/>
oder draußen vor der Kirche auf dem Kirchhof auf.  Die zwei Zeugen, die<lb/>
sie nöthig haben, entnehmen sie, wenn sie ihr Client nicht mitbringt, aus<lb/>
den Mitclerikern ihrer Kirche.  Wir sehen daher unseren Appel mit dem<lb/>
papiernen Zettel, den ihm sein Fürsprach aufgeschrieben hat, am 18. Juni 1791<lb/>
auf dem Se. Leonhard's Kirchhof in Frankfurt erscheinen und den dort ge¬<lb/>
rade anwesenden Notar, Philippus, Pfarrer zu Rumpenheim, in Gegenwart<lb/>
zweier Geistlichen als Zeugen um einen &#x201E;offenen Urkundsbrief" über die statt¬<lb/>
gehabte Appellationsanzeige bitten.  Der Notar, der nur &#x201E;offene" Briefe<lb/>
verfaßt und deshalb zu deutsch &#x201E;ein Offenschreiber" sich nennt, bezeugt, daß<lb/>
Appel mit dem papiernen Zettel vor ihm erschienen, und rückt dessen Jnhnlt<lb/>
wörtlich in das Pergament ein, auf das er den vor ihm geschehenen<lb/>
Rechtsaet niederschreibe. Dann begibt sich der Notar mit dem Pergament<lb/>
einige Wochen später in Begleitung zweier Hanauer Bürger zum Vor-</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0138] ten die Parteien, im andern brachte der Kläger seine Zeugen zur Stelle und ließ sie abhören, im dritten sprach das Gericht das Urtheil, nachdem beide Theile ihre Ansichten über den Werth oder Unwerth der Zeugenaussagen ausgetauscht hatten. Alles das ging mündlich vor sich und wurde kurz vom Gerichtsschreiber im Gerichtsbuch eingetragen. Der Kläger vertrat sich selbst; der Verklagte, wohl im Bewußtsein der Schwäche seiner Vertheidigung, hatte sich einen „Fürsprach" angenommen, der statt seiner „redete"; was aber dieser vorzubringen wußte, beschränkte sich darauf, daß ein Theil der Zeugen sich vor der Vernehmung mit dem Kläger über die Sache besprochen hätte und daß ein anderer Theil dem Kläger verwandt sei. Da Ersteres eine leere Ausflucht und Letzteres ein Umstand war, der nur einzelne Zeugen traf, so mußte das Gericht selbstverständlich des Klägers Beweis für erbracht an¬ nehmen. Aber Appel glaubte sich bei dem Urtheil nicht beruhigen zu sollen; er ließ sich deshalb von dem Fürsprach ein Schriftstück verfassen, worin er er¬ klärt, sich von dem Urtheil des „vermessenen Schultheiß und Landschöffen" — „doch ihre Ehre und ihren Glimpf vorbehalten" — an Herrn Friedrich, römischen Kaiser und an sein königlich Hof- und Kammergericht zu berufen, „wie von geistlichen und weltlichen Rechten erlaubt ist zu Steuer Derer, die an ihren Rechten geletzt und beschwert." Um diesem Schriftstück öffentliche Glaubwürdigkeit zu geben, muß Appel sich an einen Notar wenden. Der Notar ist damals der stete Vermittler zwischen dem Publicum und dem häufig entfernt gelegenen Gerichte. Da aber die Schreib - und Geschäftskunde in jener Zeit immer noch vorzugsweise an dem geistlichen Stand haftete, so sind die Notare, welche beim Volke Cleriker heißen, in Wahrheit noch oft Geistliche, an den kleineren Orten der dort befindliche einzige Cleriker, der Pfarrer; ihr Geschäftsbureau schlagen sie im Chor der Kirche oder im Umgang derselben oder draußen vor der Kirche auf dem Kirchhof auf. Die zwei Zeugen, die sie nöthig haben, entnehmen sie, wenn sie ihr Client nicht mitbringt, aus den Mitclerikern ihrer Kirche. Wir sehen daher unseren Appel mit dem papiernen Zettel, den ihm sein Fürsprach aufgeschrieben hat, am 18. Juni 1791 auf dem Se. Leonhard's Kirchhof in Frankfurt erscheinen und den dort ge¬ rade anwesenden Notar, Philippus, Pfarrer zu Rumpenheim, in Gegenwart zweier Geistlichen als Zeugen um einen „offenen Urkundsbrief" über die statt¬ gehabte Appellationsanzeige bitten. Der Notar, der nur „offene" Briefe verfaßt und deshalb zu deutsch „ein Offenschreiber" sich nennt, bezeugt, daß Appel mit dem papiernen Zettel vor ihm erschienen, und rückt dessen Jnhnlt wörtlich in das Pergament ein, auf das er den vor ihm geschehenen Rechtsaet niederschreibe. Dann begibt sich der Notar mit dem Pergament einige Wochen später in Begleitung zweier Hanauer Bürger zum Vor-

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_123619
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_123619/138
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_123619/138>, abgerufen am 27.07.2024.