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Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, I. Semester. II. Band.

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den Standpunkt der damaligen Kurmainzischen Politik, die bemüht war, den
Status des westfälischen Friedens.festzuhalten und im Interesse des Friedens
und des Gleichgewichts zwischen Frankreich und Oestreich zu vermitteln; für
die Dauer ein gänzlich unhaltbarer Zustand, aber von Leibniz vor Allem im
Sinn der Rüstung und Sammlung der Kräfte vertheidigt. Er rieth den
Holländern, gegen welche allein Ludwig zu einem Schlag aushole, diesem zu¬
vorzukommen und in Frankreich einzubrechen. Den Eintritt des Reichs in die
Tripelallianz von Holland, England und Schweden widerrieth er aber, theils
weil auf diese Allianz, die selbst schon im Schwanken, kein Verlaß sei, theils
aber aus dem triftigsten aller Gründe: Deutschland ist gar nicht in der Ver¬
fassung, einen Krieg gegen Frankreich zu führen. "Abgesehen davon, daß
wir in unserer dermaligen Zerfahrenheit von Niemand sehr als Bundes¬
genosse begehrt und geehrt sind; wir sind zu Haus nicht in der Postur. daß
wir andere außerhalb des Reichs zu garantiren uns verbinden und offeriren
sollten. Offen sage ich es: denn ja die Wahrheit zu bekennen, kein Mensch
außer dem Reich von uns defendiret zu werden hoffet oder begehret. Bei
gegenwärtigem unserm Zustand hat Niemand, der sich in Bündniß mit uns
einläßt, sich etwas anderes zu getrösten, als daß er uns werde beschützen
müssen und hingegen von uns wenig zu gewarten habe. Lasset uns daher
erst und zuvor uns in eine beständige und considerable Postur setzen, so
werden sie wohl eine andere Reflexion auf uns machen müssen. Das deutsche
Reich konnte glücklich sein, wenn es nur wollte, denn die Leute sind herzhaft
und verständig, das Land groß und fruchtbar genug. Gleichwol aber gibts
nichts desto minder die tägliche Erfahrung, daß Deutschland bei weitem nicht
in solchem Flor und Stand sei, als es zu sein in seinen Kräften ist. Denn
der Schäden zu geschweige", so es in diesem letzten (30jährigen) Krieg ge¬
litten, die nichts als die Zeit verbessern kann, so sind doch auch gleichwol
der Mängel viel, die wir Niemand als uns selbst zu danken . . Und welches
ist nun die Hauptgefährlichkeit, das pressirende Hauptsymptom? Nicht etwa
die Schäden in Handel, Münze, Recht, Religion, welche Stücke zusammen¬
genommen uns zwar langsam schwächen und endlich unfehlbar ruiniren, nicht
aber verhoffentlich alsobald über den Haufen werfen können. Was unsere
Republik aber auf einmal stürzen kann, ist ein in- oder äußerlicher Haupt¬
krieg, dagegen wir ganz blind, schläfrig, blos, offen, zertheilt, unbewahrt und
nothwendig entweder des Feinds oder, weil wir bei jeziger Anstalt solchem
nicht gewachsen, des Beschützers Raub sein. So wie es jetzt steht, hängt das
Reich nur an leren seidenen oder strohernen Faden noch zusammen. Alles'
was für die Sicherheit nothwendig ist, fehlt. Was die Geldsachen betrifft,
die Contingente, die oberste Leitung, so ist Alles kläglich bestellt und viele
Reichsstände sehen gar des Reiches Verwirrung und Elend nicht ungern und


den Standpunkt der damaligen Kurmainzischen Politik, die bemüht war, den
Status des westfälischen Friedens.festzuhalten und im Interesse des Friedens
und des Gleichgewichts zwischen Frankreich und Oestreich zu vermitteln; für
die Dauer ein gänzlich unhaltbarer Zustand, aber von Leibniz vor Allem im
Sinn der Rüstung und Sammlung der Kräfte vertheidigt. Er rieth den
Holländern, gegen welche allein Ludwig zu einem Schlag aushole, diesem zu¬
vorzukommen und in Frankreich einzubrechen. Den Eintritt des Reichs in die
Tripelallianz von Holland, England und Schweden widerrieth er aber, theils
weil auf diese Allianz, die selbst schon im Schwanken, kein Verlaß sei, theils
aber aus dem triftigsten aller Gründe: Deutschland ist gar nicht in der Ver¬
fassung, einen Krieg gegen Frankreich zu führen. „Abgesehen davon, daß
wir in unserer dermaligen Zerfahrenheit von Niemand sehr als Bundes¬
genosse begehrt und geehrt sind; wir sind zu Haus nicht in der Postur. daß
wir andere außerhalb des Reichs zu garantiren uns verbinden und offeriren
sollten. Offen sage ich es: denn ja die Wahrheit zu bekennen, kein Mensch
außer dem Reich von uns defendiret zu werden hoffet oder begehret. Bei
gegenwärtigem unserm Zustand hat Niemand, der sich in Bündniß mit uns
einläßt, sich etwas anderes zu getrösten, als daß er uns werde beschützen
müssen und hingegen von uns wenig zu gewarten habe. Lasset uns daher
erst und zuvor uns in eine beständige und considerable Postur setzen, so
werden sie wohl eine andere Reflexion auf uns machen müssen. Das deutsche
Reich konnte glücklich sein, wenn es nur wollte, denn die Leute sind herzhaft
und verständig, das Land groß und fruchtbar genug. Gleichwol aber gibts
nichts desto minder die tägliche Erfahrung, daß Deutschland bei weitem nicht
in solchem Flor und Stand sei, als es zu sein in seinen Kräften ist. Denn
der Schäden zu geschweige», so es in diesem letzten (30jährigen) Krieg ge¬
litten, die nichts als die Zeit verbessern kann, so sind doch auch gleichwol
der Mängel viel, die wir Niemand als uns selbst zu danken . . Und welches
ist nun die Hauptgefährlichkeit, das pressirende Hauptsymptom? Nicht etwa
die Schäden in Handel, Münze, Recht, Religion, welche Stücke zusammen¬
genommen uns zwar langsam schwächen und endlich unfehlbar ruiniren, nicht
aber verhoffentlich alsobald über den Haufen werfen können. Was unsere
Republik aber auf einmal stürzen kann, ist ein in- oder äußerlicher Haupt¬
krieg, dagegen wir ganz blind, schläfrig, blos, offen, zertheilt, unbewahrt und
nothwendig entweder des Feinds oder, weil wir bei jeziger Anstalt solchem
nicht gewachsen, des Beschützers Raub sein. So wie es jetzt steht, hängt das
Reich nur an leren seidenen oder strohernen Faden noch zusammen. Alles'
was für die Sicherheit nothwendig ist, fehlt. Was die Geldsachen betrifft,
die Contingente, die oberste Leitung, so ist Alles kläglich bestellt und viele
Reichsstände sehen gar des Reiches Verwirrung und Elend nicht ungern und


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_123619/12>, abgerufen am 18.12.2024.