Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, I. Semester. II. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

Man vergegenwärtige sich den Anblick des Luzerner Weinmarktes am
Mittwoch vor Palmarum des Jahres 1683. Die Brügger auf dem Platze
und in den Seitenstraßen mit Menschen dicht erfüllt, alle Fenster der um¬
liegenden Häuser besetzt und die Dächer zum Theil abgedeckt. Die Mitte des
Platzes (Lx) ist noch leer. In der Ferne ertönt endlich Musik; sie kömmt
näher und das Gitterthor bei der Kornmarktgasse (so) wird geöffnet. Herein
ziehen die Spielleute, vom Volke mit lautem Jubel begrüßt. Jhnenfolgen
die Trompeter von Solothurn, in Luzerns Farben, blau und weiß
gekleidet. Sobald sie auf den Platz treten, nehmen sie das Spiel auf.

Einen Augenblick lauscht ihnen Alles, da plötzlich hallt von Brügger
und Dächern ein lautes Gelächter. Aus dem folgenden Zug reißen sich die
acht Teufel los, schwarze Gestalten mit Schwänzen, rothen Gesichtern und
Hörnern, jagen sich wild über den Platz, schlagen Purzelbäume, schneiden den
Zuschauern Fratzen und fahren dann in das Höllenmaul (bei x) das mit
seinen flammenden Augen, seinem Rüssel, seiner großen rothen Zunge und
den furchtbaren Zähnen einen entsetzlichen Anblick gewährt und sich hinter
ihnen wieder schließt.

Inzwischen ist der Zug etwas vorangeschritten und seine charakteristischen
Gestalten lassen sich deutlicher erkennen, da sie in ziemlicher Ordnung, meist
zwei und zwei nebeneinander hergehn.

Zunächst den Trompetern folgen der Schildknabe und der Fähndrich
des Proclamators oder Einschreiers. Die weiße Fahne des letztern zeigt
Jesus betend am Oelberg.

Hinter der Fahne folgen zwei Hornbläser, darauf die vier Erzengel
mit Flügeln und Sceptern und hierauf Gott Vater der "?ater asternus" selbst.
Er trägt eine Aide und darüber eine köstliche Chorkappe, langes graues Haar
und einen würdigen Bart, sein Haupt schmückt ein Diadem, in beiden
Händen trägt er vorsichtig einen Reichsapfel, alles in allem eine Erscheinung,
die halb Papst, halb deutscher Kaiser ist, unter dessen Schutz Luzern damals
bekanntlich noch stand. Vier Engel mit langem blondem Haar, mit nackten
Füßen und weißen Hemdchen, die von goldenem Gürtel zusammengehalten
werden, geben ihm das Geleit.

Abermals zwei Hornbläser, welche vor den vier Kirchenvätern,
die hier gewöhnlich als Lehrer bezeichnet werden, einherschreiten. Gregorius
erscheint als Papst, Hieronymus als Cardinal, Ambrosius als Erz-
bischof und Ambrosius als Bischof. Vier liebliche Knaben folgen als
Diener den Lehrern auf dem Fuße.

Darauf erscheint der Zug der Propheten. Kain und Abel gehen
in friedlicher Gemeinschaft hinter ihnen her; ebenso paarweise Abraham
und Jsaak; Jacob und Esau; Israel und Joseph. An diese schließen


Man vergegenwärtige sich den Anblick des Luzerner Weinmarktes am
Mittwoch vor Palmarum des Jahres 1683. Die Brügger auf dem Platze
und in den Seitenstraßen mit Menschen dicht erfüllt, alle Fenster der um¬
liegenden Häuser besetzt und die Dächer zum Theil abgedeckt. Die Mitte des
Platzes (Lx) ist noch leer. In der Ferne ertönt endlich Musik; sie kömmt
näher und das Gitterthor bei der Kornmarktgasse (so) wird geöffnet. Herein
ziehen die Spielleute, vom Volke mit lautem Jubel begrüßt. Jhnenfolgen
die Trompeter von Solothurn, in Luzerns Farben, blau und weiß
gekleidet. Sobald sie auf den Platz treten, nehmen sie das Spiel auf.

Einen Augenblick lauscht ihnen Alles, da plötzlich hallt von Brügger
und Dächern ein lautes Gelächter. Aus dem folgenden Zug reißen sich die
acht Teufel los, schwarze Gestalten mit Schwänzen, rothen Gesichtern und
Hörnern, jagen sich wild über den Platz, schlagen Purzelbäume, schneiden den
Zuschauern Fratzen und fahren dann in das Höllenmaul (bei x) das mit
seinen flammenden Augen, seinem Rüssel, seiner großen rothen Zunge und
den furchtbaren Zähnen einen entsetzlichen Anblick gewährt und sich hinter
ihnen wieder schließt.

Inzwischen ist der Zug etwas vorangeschritten und seine charakteristischen
Gestalten lassen sich deutlicher erkennen, da sie in ziemlicher Ordnung, meist
zwei und zwei nebeneinander hergehn.

Zunächst den Trompetern folgen der Schildknabe und der Fähndrich
des Proclamators oder Einschreiers. Die weiße Fahne des letztern zeigt
Jesus betend am Oelberg.

Hinter der Fahne folgen zwei Hornbläser, darauf die vier Erzengel
mit Flügeln und Sceptern und hierauf Gott Vater der „?ater asternus" selbst.
Er trägt eine Aide und darüber eine köstliche Chorkappe, langes graues Haar
und einen würdigen Bart, sein Haupt schmückt ein Diadem, in beiden
Händen trägt er vorsichtig einen Reichsapfel, alles in allem eine Erscheinung,
die halb Papst, halb deutscher Kaiser ist, unter dessen Schutz Luzern damals
bekanntlich noch stand. Vier Engel mit langem blondem Haar, mit nackten
Füßen und weißen Hemdchen, die von goldenem Gürtel zusammengehalten
werden, geben ihm das Geleit.

Abermals zwei Hornbläser, welche vor den vier Kirchenvätern,
die hier gewöhnlich als Lehrer bezeichnet werden, einherschreiten. Gregorius
erscheint als Papst, Hieronymus als Cardinal, Ambrosius als Erz-
bischof und Ambrosius als Bischof. Vier liebliche Knaben folgen als
Diener den Lehrern auf dem Fuße.

Darauf erscheint der Zug der Propheten. Kain und Abel gehen
in friedlicher Gemeinschaft hinter ihnen her; ebenso paarweise Abraham
und Jsaak; Jacob und Esau; Israel und Joseph. An diese schließen


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0118" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/123738"/>
          <p xml:id="ID_347"> Man vergegenwärtige sich den Anblick des Luzerner Weinmarktes am<lb/>
Mittwoch vor Palmarum des Jahres 1683. Die Brügger auf dem Platze<lb/>
und in den Seitenstraßen mit Menschen dicht erfüllt, alle Fenster der um¬<lb/>
liegenden Häuser besetzt und die Dächer zum Theil abgedeckt. Die Mitte des<lb/>
Platzes (Lx) ist noch leer. In der Ferne ertönt endlich Musik; sie kömmt<lb/>
näher und das Gitterthor bei der Kornmarktgasse (so) wird geöffnet. Herein<lb/>
ziehen die Spielleute, vom Volke mit lautem Jubel begrüßt. Jhnenfolgen<lb/>
die Trompeter von Solothurn, in Luzerns Farben, blau und weiß<lb/>
gekleidet. Sobald sie auf den Platz treten, nehmen sie das Spiel auf.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_348"> Einen Augenblick lauscht ihnen Alles, da plötzlich hallt von Brügger<lb/>
und Dächern ein lautes Gelächter. Aus dem folgenden Zug reißen sich die<lb/>
acht Teufel los, schwarze Gestalten mit Schwänzen, rothen Gesichtern und<lb/>
Hörnern, jagen sich wild über den Platz, schlagen Purzelbäume, schneiden den<lb/>
Zuschauern Fratzen und fahren dann in das Höllenmaul (bei x) das mit<lb/>
seinen flammenden Augen, seinem Rüssel, seiner großen rothen Zunge und<lb/>
den furchtbaren Zähnen einen entsetzlichen Anblick gewährt und sich hinter<lb/>
ihnen wieder schließt.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_349"> Inzwischen ist der Zug etwas vorangeschritten und seine charakteristischen<lb/>
Gestalten lassen sich deutlicher erkennen, da sie in ziemlicher Ordnung, meist<lb/>
zwei und zwei nebeneinander hergehn.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_350"> Zunächst den Trompetern folgen der Schildknabe und der Fähndrich<lb/>
des Proclamators oder Einschreiers. Die weiße Fahne des letztern zeigt<lb/>
Jesus betend am Oelberg.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_351"> Hinter der Fahne folgen zwei Hornbläser, darauf die vier Erzengel<lb/>
mit Flügeln und Sceptern und hierauf Gott Vater der &#x201E;?ater asternus" selbst.<lb/>
Er trägt eine Aide und darüber eine köstliche Chorkappe, langes graues Haar<lb/>
und einen würdigen Bart, sein Haupt schmückt ein Diadem, in beiden<lb/>
Händen trägt er vorsichtig einen Reichsapfel, alles in allem eine Erscheinung,<lb/>
die halb Papst, halb deutscher Kaiser ist, unter dessen Schutz Luzern damals<lb/>
bekanntlich noch stand. Vier Engel mit langem blondem Haar, mit nackten<lb/>
Füßen und weißen Hemdchen, die von goldenem Gürtel zusammengehalten<lb/>
werden, geben ihm das Geleit.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_352"> Abermals zwei Hornbläser, welche vor den vier Kirchenvätern,<lb/>
die hier gewöhnlich als Lehrer bezeichnet werden, einherschreiten. Gregorius<lb/>
erscheint als Papst, Hieronymus als Cardinal, Ambrosius als Erz-<lb/>
bischof und Ambrosius als Bischof. Vier liebliche Knaben folgen als<lb/>
Diener den Lehrern auf dem Fuße.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_353" next="#ID_354"> Darauf erscheint der Zug der Propheten. Kain und Abel gehen<lb/>
in friedlicher Gemeinschaft hinter ihnen her; ebenso paarweise Abraham<lb/>
und Jsaak; Jacob und Esau; Israel und Joseph. An diese schließen</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0118] Man vergegenwärtige sich den Anblick des Luzerner Weinmarktes am Mittwoch vor Palmarum des Jahres 1683. Die Brügger auf dem Platze und in den Seitenstraßen mit Menschen dicht erfüllt, alle Fenster der um¬ liegenden Häuser besetzt und die Dächer zum Theil abgedeckt. Die Mitte des Platzes (Lx) ist noch leer. In der Ferne ertönt endlich Musik; sie kömmt näher und das Gitterthor bei der Kornmarktgasse (so) wird geöffnet. Herein ziehen die Spielleute, vom Volke mit lautem Jubel begrüßt. Jhnenfolgen die Trompeter von Solothurn, in Luzerns Farben, blau und weiß gekleidet. Sobald sie auf den Platz treten, nehmen sie das Spiel auf. Einen Augenblick lauscht ihnen Alles, da plötzlich hallt von Brügger und Dächern ein lautes Gelächter. Aus dem folgenden Zug reißen sich die acht Teufel los, schwarze Gestalten mit Schwänzen, rothen Gesichtern und Hörnern, jagen sich wild über den Platz, schlagen Purzelbäume, schneiden den Zuschauern Fratzen und fahren dann in das Höllenmaul (bei x) das mit seinen flammenden Augen, seinem Rüssel, seiner großen rothen Zunge und den furchtbaren Zähnen einen entsetzlichen Anblick gewährt und sich hinter ihnen wieder schließt. Inzwischen ist der Zug etwas vorangeschritten und seine charakteristischen Gestalten lassen sich deutlicher erkennen, da sie in ziemlicher Ordnung, meist zwei und zwei nebeneinander hergehn. Zunächst den Trompetern folgen der Schildknabe und der Fähndrich des Proclamators oder Einschreiers. Die weiße Fahne des letztern zeigt Jesus betend am Oelberg. Hinter der Fahne folgen zwei Hornbläser, darauf die vier Erzengel mit Flügeln und Sceptern und hierauf Gott Vater der „?ater asternus" selbst. Er trägt eine Aide und darüber eine köstliche Chorkappe, langes graues Haar und einen würdigen Bart, sein Haupt schmückt ein Diadem, in beiden Händen trägt er vorsichtig einen Reichsapfel, alles in allem eine Erscheinung, die halb Papst, halb deutscher Kaiser ist, unter dessen Schutz Luzern damals bekanntlich noch stand. Vier Engel mit langem blondem Haar, mit nackten Füßen und weißen Hemdchen, die von goldenem Gürtel zusammengehalten werden, geben ihm das Geleit. Abermals zwei Hornbläser, welche vor den vier Kirchenvätern, die hier gewöhnlich als Lehrer bezeichnet werden, einherschreiten. Gregorius erscheint als Papst, Hieronymus als Cardinal, Ambrosius als Erz- bischof und Ambrosius als Bischof. Vier liebliche Knaben folgen als Diener den Lehrern auf dem Fuße. Darauf erscheint der Zug der Propheten. Kain und Abel gehen in friedlicher Gemeinschaft hinter ihnen her; ebenso paarweise Abraham und Jsaak; Jacob und Esau; Israel und Joseph. An diese schließen

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_123619
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_123619/118
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_123619/118>, abgerufen am 18.12.2024.