Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, I. Semester. II. Band.

Bild:
<< vorherige Seite


Die Ostseite des Platzes war durch ein einziges großes Gebäude, das
Haus zur Sonnen, abgeschlossen. Wenn der Leser so gefällig wäre, seine
Aufstellung etwa beim Brunnen (L) zu nehmen, so würde ihm das mit hohen
Eckthürmen und hervorspringenden Erkern versehene Gebäude wie ein natür¬
licher Abschluß der Scene, als eine Art Hinterwand erscheinen.

Wer sich das Verständniß der mittelalterlichen Bühne aneignen will,
muß die uns geläufige Vorstellung gänzlich aufgeben, wonach die ganze
Darstellung auf einem vom Zuschauerraum streng abgeschlossenen Bühnen¬
raum vor sich geht, der seitwärts durch Coulissen, rückwärts durch die
Hinterwand und von den Zuschauern etwa durch das Proscenium, Orchester
und Vorhang abgegrenzt ist. Vielmehr rufe man sich eine antike Arena oder
einen modernen Circus ins Gedächtniß, die Handlung auf ebener Erde und
die Zuschauer auf drei Seiten herum.

Denkt man sich vor dem Hause zur Sonnen einen viereckigen Raum
abgesteckt, der sich bis zum Brunnen (L) erstreckt, so erhält man damit im
Allgemeinen den Raum, auf dem die Darstellung sich bewegte und den wir
kurzweg den Spielplatz (8x) nennen wollen. Dieser Raum beträgt etwa
Vz des ganzen Flächeninhalts des Marktes, den wir auf ungefähr 11,284
veranschlagen, die übrig bleibenden zwei Drittheile des Platzes nun, die sich
längs der Nordseite*<A), der Südseite (8) und der Westseite <M erstrecken
sind mit hölzernen Gerüsten, von Cysat Brügger oder Brügginnen ge¬
nannt, bedeckt, welche vom ersten Stockwerk der umstehenden Häuser an sich
gegen die Mitte des Platzes abwärts neigen. Sie nehmen also ungefähr
eine Fläche von 7524 in ' ein und auf ihnen waren die Sitze der Zuschauer
errichtet; weist man jedem derselben im Durchschnitte 4sH' zu, so
hatten darauf 1881 Personen Platz. Die größte der Brügger, die für das


11*


Die Ostseite des Platzes war durch ein einziges großes Gebäude, das
Haus zur Sonnen, abgeschlossen. Wenn der Leser so gefällig wäre, seine
Aufstellung etwa beim Brunnen (L) zu nehmen, so würde ihm das mit hohen
Eckthürmen und hervorspringenden Erkern versehene Gebäude wie ein natür¬
licher Abschluß der Scene, als eine Art Hinterwand erscheinen.

Wer sich das Verständniß der mittelalterlichen Bühne aneignen will,
muß die uns geläufige Vorstellung gänzlich aufgeben, wonach die ganze
Darstellung auf einem vom Zuschauerraum streng abgeschlossenen Bühnen¬
raum vor sich geht, der seitwärts durch Coulissen, rückwärts durch die
Hinterwand und von den Zuschauern etwa durch das Proscenium, Orchester
und Vorhang abgegrenzt ist. Vielmehr rufe man sich eine antike Arena oder
einen modernen Circus ins Gedächtniß, die Handlung auf ebener Erde und
die Zuschauer auf drei Seiten herum.

Denkt man sich vor dem Hause zur Sonnen einen viereckigen Raum
abgesteckt, der sich bis zum Brunnen (L) erstreckt, so erhält man damit im
Allgemeinen den Raum, auf dem die Darstellung sich bewegte und den wir
kurzweg den Spielplatz (8x) nennen wollen. Dieser Raum beträgt etwa
Vz des ganzen Flächeninhalts des Marktes, den wir auf ungefähr 11,284
veranschlagen, die übrig bleibenden zwei Drittheile des Platzes nun, die sich
längs der Nordseite*<A), der Südseite (8) und der Westseite <M erstrecken
sind mit hölzernen Gerüsten, von Cysat Brügger oder Brügginnen ge¬
nannt, bedeckt, welche vom ersten Stockwerk der umstehenden Häuser an sich
gegen die Mitte des Platzes abwärts neigen. Sie nehmen also ungefähr
eine Fläche von 7524 in ' ein und auf ihnen waren die Sitze der Zuschauer
errichtet; weist man jedem derselben im Durchschnitte 4sH' zu, so
hatten darauf 1881 Personen Platz. Die größte der Brügger, die für das


11*
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0113" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/123733"/>
          <figure facs="http://media.dwds.de/dta/images/grenzboten_341811_123619/figures/grenzboten_341811_123619_123733_001.jpg"/><lb/>
          <p xml:id="ID_315"> Die Ostseite des Platzes war durch ein einziges großes Gebäude, das<lb/>
Haus zur Sonnen, abgeschlossen. Wenn der Leser so gefällig wäre, seine<lb/>
Aufstellung etwa beim Brunnen (L) zu nehmen, so würde ihm das mit hohen<lb/>
Eckthürmen und hervorspringenden Erkern versehene Gebäude wie ein natür¬<lb/>
licher Abschluß der Scene, als eine Art Hinterwand erscheinen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_316"> Wer sich das Verständniß der mittelalterlichen Bühne aneignen will,<lb/>
muß die uns geläufige Vorstellung gänzlich aufgeben, wonach die ganze<lb/>
Darstellung auf einem vom Zuschauerraum streng abgeschlossenen Bühnen¬<lb/>
raum vor sich geht, der seitwärts durch Coulissen, rückwärts durch die<lb/>
Hinterwand und von den Zuschauern etwa durch das Proscenium, Orchester<lb/>
und Vorhang abgegrenzt ist. Vielmehr rufe man sich eine antike Arena oder<lb/>
einen modernen Circus ins Gedächtniß, die Handlung auf ebener Erde und<lb/>
die Zuschauer auf drei Seiten herum.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_317" next="#ID_318"> Denkt man sich vor dem Hause zur Sonnen einen viereckigen Raum<lb/>
abgesteckt, der sich bis zum Brunnen (L) erstreckt, so erhält man damit im<lb/>
Allgemeinen den Raum, auf dem die Darstellung sich bewegte und den wir<lb/>
kurzweg den Spielplatz (8x) nennen wollen. Dieser Raum beträgt etwa<lb/>
Vz des ganzen Flächeninhalts des Marktes, den wir auf ungefähr 11,284<lb/>
veranschlagen, die übrig bleibenden zwei Drittheile des Platzes nun, die sich<lb/>
längs der Nordseite*&lt;A), der Südseite (8) und der Westseite &lt;M erstrecken<lb/>
sind mit hölzernen Gerüsten, von Cysat Brügger oder Brügginnen ge¬<lb/>
nannt, bedeckt, welche vom ersten Stockwerk der umstehenden Häuser an sich<lb/>
gegen die Mitte des Platzes abwärts neigen. Sie nehmen also ungefähr<lb/>
eine Fläche von 7524 in ' ein und auf ihnen waren die Sitze der Zuschauer<lb/>
errichtet; weist man jedem derselben im Durchschnitte 4sH' zu, so<lb/>
hatten darauf 1881 Personen Platz.  Die größte der Brügger, die für das</p><lb/>
          <fw type="sig" place="bottom"> 11*</fw><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0113] [Abbildung] Die Ostseite des Platzes war durch ein einziges großes Gebäude, das Haus zur Sonnen, abgeschlossen. Wenn der Leser so gefällig wäre, seine Aufstellung etwa beim Brunnen (L) zu nehmen, so würde ihm das mit hohen Eckthürmen und hervorspringenden Erkern versehene Gebäude wie ein natür¬ licher Abschluß der Scene, als eine Art Hinterwand erscheinen. Wer sich das Verständniß der mittelalterlichen Bühne aneignen will, muß die uns geläufige Vorstellung gänzlich aufgeben, wonach die ganze Darstellung auf einem vom Zuschauerraum streng abgeschlossenen Bühnen¬ raum vor sich geht, der seitwärts durch Coulissen, rückwärts durch die Hinterwand und von den Zuschauern etwa durch das Proscenium, Orchester und Vorhang abgegrenzt ist. Vielmehr rufe man sich eine antike Arena oder einen modernen Circus ins Gedächtniß, die Handlung auf ebener Erde und die Zuschauer auf drei Seiten herum. Denkt man sich vor dem Hause zur Sonnen einen viereckigen Raum abgesteckt, der sich bis zum Brunnen (L) erstreckt, so erhält man damit im Allgemeinen den Raum, auf dem die Darstellung sich bewegte und den wir kurzweg den Spielplatz (8x) nennen wollen. Dieser Raum beträgt etwa Vz des ganzen Flächeninhalts des Marktes, den wir auf ungefähr 11,284 veranschlagen, die übrig bleibenden zwei Drittheile des Platzes nun, die sich längs der Nordseite*<A), der Südseite (8) und der Westseite <M erstrecken sind mit hölzernen Gerüsten, von Cysat Brügger oder Brügginnen ge¬ nannt, bedeckt, welche vom ersten Stockwerk der umstehenden Häuser an sich gegen die Mitte des Platzes abwärts neigen. Sie nehmen also ungefähr eine Fläche von 7524 in ' ein und auf ihnen waren die Sitze der Zuschauer errichtet; weist man jedem derselben im Durchschnitte 4sH' zu, so hatten darauf 1881 Personen Platz. Die größte der Brügger, die für das 11*

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_123619
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_123619/113
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_123619/113>, abgerufen am 18.12.2024.