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Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, I. Semester. II. Band.

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11. Theil, 2 Stunden.

Vom Husln quasritis? bis zu Ende halten diese Actus 47--65 Verse 1322.

Am Rande bemerkt: Versus 7946.

Das alte Testament, neben welchem am ersten Tage noch ein Theil des
neuen zur Aufführung gelangte, weist also 9 Acte mit 4149 Versen auf und
verlangte nach Cysat's Berechnung 7 Stunden; das neue dagegen umfaßt
46 Acte und bedarf, obgleich es nur 7946 Verse enthält, 14 Stunden zur
Darstellung. Eine Ungleichheit, die sich nur aus der im neuen Testamente
vorkommenden größeren Menge von Gesangstücken, sowie der Fälle äußerer
zeitraubender Handlungen erklären läßt.

Die Gesangstücke waren theils "Engelgesänge (lateinische Hymnen und
Antiphonien) theils Vorträge der "Cantorei" und der "Judenschule".

Die Einübung der Sänger geschah durch den Synagogenmeister und
Vorsänger der Cantorei, welchen letzteren dafür laut Rechnung vier silberne
Pfennige verehrt wurden. Die dabei benutzten Notenblätter auf Pergament,
welche in hölzerne Rahmen eingespannt sind, befinden sich noch auf der Bür¬
gerbibliothek zu Luzern. Besonderes Gewicht legte Cysat auf das Teufels¬
spiel. Er merkt sich darüber an: "Daß die Teufel ihren g.ewa mit Juda
sonderbar Probiren (Verbrennung der Strohpuppe in der Hölle), also auch
andere actus mehr."

Cysat hat sein Urtheil über den Verlauf der Proben selbst in dem oben
angeführten Erguß niedergelegt: "Man ist unfleißig im Lernen, wenige
können ihre Sprüche auswendig, ja etliche nicht lesen, so ist wenig Fleiß
im Aufmerken und Gewöhnen der Gebärden".

Wenden wir uns nun zu demjenigen Theile der scenischen Darstellung
unseres Spiels, der durch den Fleiß des alten Regisseurs Cysat uns am
klarsten und vollständigsten erhalten ist und an der Stelle mangelhafte
Vorstellungen von dieser Sache deutliche Begriffe und klare Anschauungen
setzt. Diese Theile sind, nach unserer Art zu reden, die Bühne und der Zu-
schauerraum.

Der jetzige Weinmarkt zu Luzern, früher Fisch - und Weinmarkt, be¬
findet sich noch nahezu in demselben Zustande wie damals, ja die meisten
der umstehenden Häuser sind noch dieselben, die unser Spiel mit ansahen.

Die Benutzung nachfolgender kleiner Skizze, auf welcher die von Cysat
angewendeten Bezeichnungen gebraucht sind, dürfte den Leser leicht in das
Verständniß der Räumlichkeiten einführen:


11. Theil, 2 Stunden.

Vom Husln quasritis? bis zu Ende halten diese Actus 47—65 Verse 1322.

Am Rande bemerkt: Versus 7946.

Das alte Testament, neben welchem am ersten Tage noch ein Theil des
neuen zur Aufführung gelangte, weist also 9 Acte mit 4149 Versen auf und
verlangte nach Cysat's Berechnung 7 Stunden; das neue dagegen umfaßt
46 Acte und bedarf, obgleich es nur 7946 Verse enthält, 14 Stunden zur
Darstellung. Eine Ungleichheit, die sich nur aus der im neuen Testamente
vorkommenden größeren Menge von Gesangstücken, sowie der Fälle äußerer
zeitraubender Handlungen erklären läßt.

Die Gesangstücke waren theils „Engelgesänge (lateinische Hymnen und
Antiphonien) theils Vorträge der „Cantorei" und der „Judenschule".

Die Einübung der Sänger geschah durch den Synagogenmeister und
Vorsänger der Cantorei, welchen letzteren dafür laut Rechnung vier silberne
Pfennige verehrt wurden. Die dabei benutzten Notenblätter auf Pergament,
welche in hölzerne Rahmen eingespannt sind, befinden sich noch auf der Bür¬
gerbibliothek zu Luzern. Besonderes Gewicht legte Cysat auf das Teufels¬
spiel. Er merkt sich darüber an: „Daß die Teufel ihren g.ewa mit Juda
sonderbar Probiren (Verbrennung der Strohpuppe in der Hölle), also auch
andere actus mehr."

Cysat hat sein Urtheil über den Verlauf der Proben selbst in dem oben
angeführten Erguß niedergelegt: „Man ist unfleißig im Lernen, wenige
können ihre Sprüche auswendig, ja etliche nicht lesen, so ist wenig Fleiß
im Aufmerken und Gewöhnen der Gebärden".

Wenden wir uns nun zu demjenigen Theile der scenischen Darstellung
unseres Spiels, der durch den Fleiß des alten Regisseurs Cysat uns am
klarsten und vollständigsten erhalten ist und an der Stelle mangelhafte
Vorstellungen von dieser Sache deutliche Begriffe und klare Anschauungen
setzt. Diese Theile sind, nach unserer Art zu reden, die Bühne und der Zu-
schauerraum.

Der jetzige Weinmarkt zu Luzern, früher Fisch - und Weinmarkt, be¬
findet sich noch nahezu in demselben Zustande wie damals, ja die meisten
der umstehenden Häuser sind noch dieselben, die unser Spiel mit ansahen.

Die Benutzung nachfolgender kleiner Skizze, auf welcher die von Cysat
angewendeten Bezeichnungen gebraucht sind, dürfte den Leser leicht in das
Verständniß der Räumlichkeiten einführen:


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_123619/112>, abgerufen am 01.09.2024.