Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, I. Semester. II. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

dacteur erklärt hat, sein Name könne fortan nicht mehr auf dem Titel unter
den Mitarbeitenden stehen. Bernstorf weiß nicht, und Liszt braucht es nicht
zu erfahren, daß die Berliozbeurtheilung von mir war. Die Zusätze des Re¬
dacteurs sind aber ohne alle Anerkennung, was mein Artikel nicht ist, der
auch nichts wegwerfendes hat, und es mögen wohl mehr diese Zusätze sein,
die Liszt aufgebracht haben. Man nennt in solchen Sachen so oft Haydn
und Mozart und meint damit nicht gerade ihre Personen, Beethoven ist schon
viel persönlicher; jene sind vom Anfang bis zum Ende dieselben, dasselbe nach
und nach mehr entwickelte mit eigenem Inhalt genährte Kunstprincip. Beetho¬
ven ist am Ende ein Anderer als am Anfange. Mozart und Haydn sind
Collectivpunkte, Brennpunkte einer Kunstanschauung und Weise. Mit Ber-
lioz und Wagner nennt man aber nur zwei Persönlichkeiten, sie stehn am
Anfange, sind also kein Resume', wie es jene sind, und können eigentlich noch
gar nicht zum Vergleich kommen, wie man das Individuum nicht mit einer
Gattung, den Vögeln sowenig den Haifisch als den Gründling entgegensetzen
kann; die Nachahmer Berlioz's und Wagner's sind nicht einmal Gründlinge,
die immer lebensberechtigte Fische sind, das muß immer selbst erst eine Ge¬
schichte erhalten, ehe es in die Geschichte einreihen kann. Die Cravaller des
Jahres 1848 werden in den großen Contobüchern gar nicht eingetragen, sie
kommen nur in die Strazze. Also gilt es abwarten, was daraus werden
will und kann.


M. Hauptmann.

Leipzig, den 17. Decbr. 1657.


Lieber verehrter Freund!

.... Manche fürchten, Sie würden nach Vollendung dieser großen
Arbeit keine Lust mehr haben, an die Beethoven-Biographie zu gehen.
Die muß aber werden, und schön wär's dann freilich, wenn der Haydn
noch dazu käme. Haydn und Beethoven als Anfang und Ende, Mozart in
der Mitte; nicht blos der Zeit nach; auch seine Musik vermittelt alles Ex¬
treme, als eine classische Romantik. Mozart wird eher einmal altmodig klingen
im Einzelnen als Haydn, das macht die italienisch-musikalische Erziehung, die
voraus bestimmte Regel für die Form nach Gesetz aber auch nach Herkom-
kommen, im letzteren Fall Schablone; Haydn wie Beethoven und Bach waren
nicht in Italien, nicht auf der Academie, sie sind wild aufgewachsen wie die
Bäume im Wald, nicht in der Baumschule: altmodig können sie schwer wer¬
den, weil sie überhaupt nicht nötig waren. Händel wird's oft genug in den
Arien. Da ward gestern im Euterpeconeert Bach's "Gottes Zeit" aufgeführt;
was ist das für eine wundervolle Innerlichkeit, kein Tact Conventtonelles,
Alles durchgefühlt. Von den mir bekannten Cantaten weiß ich keine, in der


dacteur erklärt hat, sein Name könne fortan nicht mehr auf dem Titel unter
den Mitarbeitenden stehen. Bernstorf weiß nicht, und Liszt braucht es nicht
zu erfahren, daß die Berliozbeurtheilung von mir war. Die Zusätze des Re¬
dacteurs sind aber ohne alle Anerkennung, was mein Artikel nicht ist, der
auch nichts wegwerfendes hat, und es mögen wohl mehr diese Zusätze sein,
die Liszt aufgebracht haben. Man nennt in solchen Sachen so oft Haydn
und Mozart und meint damit nicht gerade ihre Personen, Beethoven ist schon
viel persönlicher; jene sind vom Anfang bis zum Ende dieselben, dasselbe nach
und nach mehr entwickelte mit eigenem Inhalt genährte Kunstprincip. Beetho¬
ven ist am Ende ein Anderer als am Anfange. Mozart und Haydn sind
Collectivpunkte, Brennpunkte einer Kunstanschauung und Weise. Mit Ber-
lioz und Wagner nennt man aber nur zwei Persönlichkeiten, sie stehn am
Anfange, sind also kein Resume', wie es jene sind, und können eigentlich noch
gar nicht zum Vergleich kommen, wie man das Individuum nicht mit einer
Gattung, den Vögeln sowenig den Haifisch als den Gründling entgegensetzen
kann; die Nachahmer Berlioz's und Wagner's sind nicht einmal Gründlinge,
die immer lebensberechtigte Fische sind, das muß immer selbst erst eine Ge¬
schichte erhalten, ehe es in die Geschichte einreihen kann. Die Cravaller des
Jahres 1848 werden in den großen Contobüchern gar nicht eingetragen, sie
kommen nur in die Strazze. Also gilt es abwarten, was daraus werden
will und kann.


M. Hauptmann.

Leipzig, den 17. Decbr. 1657.


Lieber verehrter Freund!

.... Manche fürchten, Sie würden nach Vollendung dieser großen
Arbeit keine Lust mehr haben, an die Beethoven-Biographie zu gehen.
Die muß aber werden, und schön wär's dann freilich, wenn der Haydn
noch dazu käme. Haydn und Beethoven als Anfang und Ende, Mozart in
der Mitte; nicht blos der Zeit nach; auch seine Musik vermittelt alles Ex¬
treme, als eine classische Romantik. Mozart wird eher einmal altmodig klingen
im Einzelnen als Haydn, das macht die italienisch-musikalische Erziehung, die
voraus bestimmte Regel für die Form nach Gesetz aber auch nach Herkom-
kommen, im letzteren Fall Schablone; Haydn wie Beethoven und Bach waren
nicht in Italien, nicht auf der Academie, sie sind wild aufgewachsen wie die
Bäume im Wald, nicht in der Baumschule: altmodig können sie schwer wer¬
den, weil sie überhaupt nicht nötig waren. Händel wird's oft genug in den
Arien. Da ward gestern im Euterpeconeert Bach's „Gottes Zeit" aufgeführt;
was ist das für eine wundervolle Innerlichkeit, kein Tact Conventtonelles,
Alles durchgefühlt. Von den mir bekannten Cantaten weiß ich keine, in der


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <pb facs="#f0101" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/123721"/>
            <p xml:id="ID_241" prev="#ID_240"> dacteur erklärt hat, sein Name könne fortan nicht mehr auf dem Titel unter<lb/>
den Mitarbeitenden stehen. Bernstorf weiß nicht, und Liszt braucht es nicht<lb/>
zu erfahren, daß die Berliozbeurtheilung von mir war. Die Zusätze des Re¬<lb/>
dacteurs sind aber ohne alle Anerkennung, was mein Artikel nicht ist, der<lb/>
auch nichts wegwerfendes hat, und es mögen wohl mehr diese Zusätze sein,<lb/>
die Liszt aufgebracht haben. Man nennt in solchen Sachen so oft Haydn<lb/>
und Mozart und meint damit nicht gerade ihre Personen, Beethoven ist schon<lb/>
viel persönlicher; jene sind vom Anfang bis zum Ende dieselben, dasselbe nach<lb/>
und nach mehr entwickelte mit eigenem Inhalt genährte Kunstprincip. Beetho¬<lb/>
ven ist am Ende ein Anderer als am Anfange. Mozart und Haydn sind<lb/>
Collectivpunkte, Brennpunkte einer Kunstanschauung und Weise. Mit Ber-<lb/>
lioz und Wagner nennt man aber nur zwei Persönlichkeiten, sie stehn am<lb/>
Anfange, sind also kein Resume', wie es jene sind, und können eigentlich noch<lb/>
gar nicht zum Vergleich kommen, wie man das Individuum nicht mit einer<lb/>
Gattung, den Vögeln sowenig den Haifisch als den Gründling entgegensetzen<lb/>
kann; die Nachahmer Berlioz's und Wagner's sind nicht einmal Gründlinge,<lb/>
die immer lebensberechtigte Fische sind, das muß immer selbst erst eine Ge¬<lb/>
schichte erhalten, ehe es in die Geschichte einreihen kann. Die Cravaller des<lb/>
Jahres 1848 werden in den großen Contobüchern gar nicht eingetragen, sie<lb/>
kommen nur in die Strazze. Also gilt es abwarten, was daraus werden<lb/>
will und kann.</p><lb/>
            <note type="bibl"> M. Hauptmann.</note><lb/>
            <p xml:id="ID_242"> Leipzig, den 17. Decbr. 1657.</p><lb/>
            <note type="salute"> Lieber verehrter Freund!</note><lb/>
            <p xml:id="ID_243" next="#ID_244"> .... Manche fürchten, Sie würden nach Vollendung dieser großen<lb/>
Arbeit keine Lust mehr haben, an die Beethoven-Biographie zu gehen.<lb/>
Die muß aber werden, und schön wär's dann freilich, wenn der Haydn<lb/>
noch dazu käme. Haydn und Beethoven als Anfang und Ende, Mozart in<lb/>
der Mitte; nicht blos der Zeit nach; auch seine Musik vermittelt alles Ex¬<lb/>
treme, als eine classische Romantik. Mozart wird eher einmal altmodig klingen<lb/>
im Einzelnen als Haydn, das macht die italienisch-musikalische Erziehung, die<lb/>
voraus bestimmte Regel für die Form nach Gesetz aber auch nach Herkom-<lb/>
kommen, im letzteren Fall Schablone; Haydn wie Beethoven und Bach waren<lb/>
nicht in Italien, nicht auf der Academie, sie sind wild aufgewachsen wie die<lb/>
Bäume im Wald, nicht in der Baumschule: altmodig können sie schwer wer¬<lb/>
den, weil sie überhaupt nicht nötig waren. Händel wird's oft genug in den<lb/>
Arien. Da ward gestern im Euterpeconeert Bach's &#x201E;Gottes Zeit" aufgeführt;<lb/>
was ist das für eine wundervolle Innerlichkeit, kein Tact Conventtonelles,<lb/>
Alles durchgefühlt. Von den mir bekannten Cantaten weiß ich keine, in der</p><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0101] dacteur erklärt hat, sein Name könne fortan nicht mehr auf dem Titel unter den Mitarbeitenden stehen. Bernstorf weiß nicht, und Liszt braucht es nicht zu erfahren, daß die Berliozbeurtheilung von mir war. Die Zusätze des Re¬ dacteurs sind aber ohne alle Anerkennung, was mein Artikel nicht ist, der auch nichts wegwerfendes hat, und es mögen wohl mehr diese Zusätze sein, die Liszt aufgebracht haben. Man nennt in solchen Sachen so oft Haydn und Mozart und meint damit nicht gerade ihre Personen, Beethoven ist schon viel persönlicher; jene sind vom Anfang bis zum Ende dieselben, dasselbe nach und nach mehr entwickelte mit eigenem Inhalt genährte Kunstprincip. Beetho¬ ven ist am Ende ein Anderer als am Anfange. Mozart und Haydn sind Collectivpunkte, Brennpunkte einer Kunstanschauung und Weise. Mit Ber- lioz und Wagner nennt man aber nur zwei Persönlichkeiten, sie stehn am Anfange, sind also kein Resume', wie es jene sind, und können eigentlich noch gar nicht zum Vergleich kommen, wie man das Individuum nicht mit einer Gattung, den Vögeln sowenig den Haifisch als den Gründling entgegensetzen kann; die Nachahmer Berlioz's und Wagner's sind nicht einmal Gründlinge, die immer lebensberechtigte Fische sind, das muß immer selbst erst eine Ge¬ schichte erhalten, ehe es in die Geschichte einreihen kann. Die Cravaller des Jahres 1848 werden in den großen Contobüchern gar nicht eingetragen, sie kommen nur in die Strazze. Also gilt es abwarten, was daraus werden will und kann. M. Hauptmann. Leipzig, den 17. Decbr. 1657. Lieber verehrter Freund! .... Manche fürchten, Sie würden nach Vollendung dieser großen Arbeit keine Lust mehr haben, an die Beethoven-Biographie zu gehen. Die muß aber werden, und schön wär's dann freilich, wenn der Haydn noch dazu käme. Haydn und Beethoven als Anfang und Ende, Mozart in der Mitte; nicht blos der Zeit nach; auch seine Musik vermittelt alles Ex¬ treme, als eine classische Romantik. Mozart wird eher einmal altmodig klingen im Einzelnen als Haydn, das macht die italienisch-musikalische Erziehung, die voraus bestimmte Regel für die Form nach Gesetz aber auch nach Herkom- kommen, im letzteren Fall Schablone; Haydn wie Beethoven und Bach waren nicht in Italien, nicht auf der Academie, sie sind wild aufgewachsen wie die Bäume im Wald, nicht in der Baumschule: altmodig können sie schwer wer¬ den, weil sie überhaupt nicht nötig waren. Händel wird's oft genug in den Arien. Da ward gestern im Euterpeconeert Bach's „Gottes Zeit" aufgeführt; was ist das für eine wundervolle Innerlichkeit, kein Tact Conventtonelles, Alles durchgefühlt. Von den mir bekannten Cantaten weiß ich keine, in der

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_123619
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_123619/101
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_123619/101>, abgerufen am 18.12.2024.