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Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, I. Semester. II. Band.

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fechtenden Trieb zu wirken, und darum zog es ihn nach den Sitzen der Macht.
So se?ar er erst am einflußreichen Mainzer Hof, dann an demjenigen Hanno¬
vers, an dem er am längsten verweilte, und von dem er in Verwandt¬
schaft der Herrscherhäuser den Uebergang nach Berlin fand, wo seine Wirk¬
samkeit bekanntlich durch die Gründung der Academie bezeichnet ist. Und
während der Kriege gegen Ludwig XIV. zog es ihn wiederholt nach Wien,
als dem damaligen Mittelpunkt der auswärtigen deutschen Politik gegen
Frankreich. So schreibt er im Jahr 1695 von Hannover aus an seinen
früheren Schüler, den kaiserl. Rath Boineburg in Wien: "dies Land liefert
mir wenig Stoff. Ihr seid an der Quelle, von der die Beschlüsse ausgehen,
welche ganz Europa in Bewegung setzen; ihr seid im Amphitheater der
Oper, wir nur in den Nebenlogen oder im Parterre." Im Jahr 1680 war
ihm Hoffnung auf eine Anstellung in Wien als Bibiothekar und Reichs-
geschichtschretber gemacht worden. Leibniz antwortete, er hätte sich schon
längst glücklich erachtet, dem Kaiser dienen zu können. "Ich habe ja viele
Gedanken und Vorschläge für den Kaiser und das Reich, mit denen ich einen
ganzen Band füllen könnte, nur möchte ich sie nicht am unrechten Ort und
zur falschen Zeit verpuffen. Doch -- bemerkt er in der Nachschrift -- wäre
es mir nicht unlieb, wenn Du auf Umwegen diesen Brief dem Kaiser nahe
bringen könntest. Nur möchte ich nicht blos die Wiener Btbliothekarstelle;
das hieße aus dem Tageslicht der Geschäfte in das Dunkel zurücktreten.
Nur eine solche (zugleich praktische) Anstellung (etwa als kaiserlicher Rath)
würde mir genügen, wo ich Gelegenheit hätte, meinen Eifer zu entwickeln,
und dann erst würde ich mich glücklich und befriedigt fühlen. Auch noch
später erneuert er die Versuche, "weil er, obwohl nicht ins Innere der Ge-
schäfte eingeweiht, doch über die neuesten Staatsereignisse wohl einiges
Brauchbare sagen könnte." Allein alle diese Versuche mußten daran schei¬
tern, daß ihm, dem Protestanten, die in Wien herrschende Jesuitenpartei
entgegen war.

So konnte er auch seinem staatsmännischen Trieb nur als gelegentlicher
Rathgeber, nur als Schriftsteller genug thun, in Mmoires, die für den Ge¬
brauch der Höfe bestimmt waren. Aber dies war nur die eine Seite seiner
politisch-literarischen Thätigkeit. Gleichzeitig sucht er auf die Oeffentlichkeit.
auf das Volk selbst zu wirken und in diesen populären, meist deutsch geschrie¬
benen Schriften kommt dann, durch keine diplomatischen Rücksichten gehemmt,
die patriotische Gesinnung des rastlosen Gelehrten zu ihrem vollen, oft gro߬
artig beredten Ausdruck. Wenn jene Stqatsschriften mit ihrer Zurückhaltung
und ihrer Vertiefung in das Detail nicht selten mißverstanden werden konn¬
ten, so lassen die populären Schriften, in denen er sich zu dem Gemeinsinn
seines Volks wandte, keinen Zweifel an der Wärme und Tüchtigkeit seiner


fechtenden Trieb zu wirken, und darum zog es ihn nach den Sitzen der Macht.
So se?ar er erst am einflußreichen Mainzer Hof, dann an demjenigen Hanno¬
vers, an dem er am längsten verweilte, und von dem er in Verwandt¬
schaft der Herrscherhäuser den Uebergang nach Berlin fand, wo seine Wirk¬
samkeit bekanntlich durch die Gründung der Academie bezeichnet ist. Und
während der Kriege gegen Ludwig XIV. zog es ihn wiederholt nach Wien,
als dem damaligen Mittelpunkt der auswärtigen deutschen Politik gegen
Frankreich. So schreibt er im Jahr 1695 von Hannover aus an seinen
früheren Schüler, den kaiserl. Rath Boineburg in Wien: „dies Land liefert
mir wenig Stoff. Ihr seid an der Quelle, von der die Beschlüsse ausgehen,
welche ganz Europa in Bewegung setzen; ihr seid im Amphitheater der
Oper, wir nur in den Nebenlogen oder im Parterre." Im Jahr 1680 war
ihm Hoffnung auf eine Anstellung in Wien als Bibiothekar und Reichs-
geschichtschretber gemacht worden. Leibniz antwortete, er hätte sich schon
längst glücklich erachtet, dem Kaiser dienen zu können. „Ich habe ja viele
Gedanken und Vorschläge für den Kaiser und das Reich, mit denen ich einen
ganzen Band füllen könnte, nur möchte ich sie nicht am unrechten Ort und
zur falschen Zeit verpuffen. Doch — bemerkt er in der Nachschrift — wäre
es mir nicht unlieb, wenn Du auf Umwegen diesen Brief dem Kaiser nahe
bringen könntest. Nur möchte ich nicht blos die Wiener Btbliothekarstelle;
das hieße aus dem Tageslicht der Geschäfte in das Dunkel zurücktreten.
Nur eine solche (zugleich praktische) Anstellung (etwa als kaiserlicher Rath)
würde mir genügen, wo ich Gelegenheit hätte, meinen Eifer zu entwickeln,
und dann erst würde ich mich glücklich und befriedigt fühlen. Auch noch
später erneuert er die Versuche, „weil er, obwohl nicht ins Innere der Ge-
schäfte eingeweiht, doch über die neuesten Staatsereignisse wohl einiges
Brauchbare sagen könnte." Allein alle diese Versuche mußten daran schei¬
tern, daß ihm, dem Protestanten, die in Wien herrschende Jesuitenpartei
entgegen war.

So konnte er auch seinem staatsmännischen Trieb nur als gelegentlicher
Rathgeber, nur als Schriftsteller genug thun, in Mmoires, die für den Ge¬
brauch der Höfe bestimmt waren. Aber dies war nur die eine Seite seiner
politisch-literarischen Thätigkeit. Gleichzeitig sucht er auf die Oeffentlichkeit.
auf das Volk selbst zu wirken und in diesen populären, meist deutsch geschrie¬
benen Schriften kommt dann, durch keine diplomatischen Rücksichten gehemmt,
die patriotische Gesinnung des rastlosen Gelehrten zu ihrem vollen, oft gro߬
artig beredten Ausdruck. Wenn jene Stqatsschriften mit ihrer Zurückhaltung
und ihrer Vertiefung in das Detail nicht selten mißverstanden werden konn¬
ten, so lassen die populären Schriften, in denen er sich zu dem Gemeinsinn
seines Volks wandte, keinen Zweifel an der Wärme und Tüchtigkeit seiner


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_123619/10>, abgerufen am 27.07.2024.