und die polnischen Supplenten installirt wurden, sind die Auditorien der deut¬ schen Lehrer auf den Besuch vereinzelter jüdischer oder der noch vereinzelteren ruthenischen Zuhörer reducier, welche zufällig nicht Theologie studiren.
Obgleich diese Verhältnisse der Natur der Sache nach auf flacher Hand liegen und in allen Kreisen der buntscheckigen Lemberger Gesellschaft rückhaltslos be- sprochen werden, wurde ich mit denselben erst sehr viel später bekannt, als mit den Zuständen des ruthenischen Elements in der galizischen Landeshauptstadt, wo dasselbe trotz seiner relativen numerischen Schwäche und trotz seiner Unsichtbarkeit eine erhebliche Rolle spielt. -- Mein erster Gang war in das an der russischen Straße, unweit des Rings belegene staropygische Institut. Diese Anstalt zur Herstellung und Verbreitung ruthenischer Schriften und Journale beruht auf einer alten Stiftung und ist namentlich wegen ihrer Druckerei (in wel¬ cher das ruthenische Slowo, die Wochenschrift Utschitel, der polnisch-pansla- Vistische Slawjanin u. s. w. gedruckt werden) von großer Wichtigkeit und eines der Centren der ruthenisch-russischen Agitation. Das junge Mädchen, welches ich im Verkaufslocal antraf und das wunderlicher Weise sehr viel besser deutsch als russisch sprach, wies mich an das "Volkshaus" (Mrocw^ aom), wo ich Leute finden würde, die mir die gewünschte Auskunft über das russische Casino u. s. w. ertheilen würden. Uebrigens werde heute Abend in demselben eine musikalisch-declamatorische Nationalsoire'e abgehalten werden, zu der Fremde ohne Weiteres Zutritt erhielten.
Das Bolkshaus (Mroäu^ aom), ein Geschenk, das die k. k. Regierung im I. 1848 ihren "getreuen Ruthenen" machte, ist ein großes ziemlich an¬ sehnliches Gebäude, in welches der russische Club, so wie sämmtliche von dem¬ selben erhaltenen Schulen, das nationale Museum u. s. w. untergebracht sind; die Kirche, welche an dasselbe gebaut werden soll ist bis jetzt noch nicht zu Stande gekommen, weil es, jahrelangen Sammlungen und Collecten zum Trotz, noch immer an den nöthigen Mitteln fehlt. Ueber der Hausthür Prange ein mächtiges Schild, das den aufrechtstehenden, gekrönten goldenen Löwen von Halicz im blauen Felde zeigt. -- Die im Flur spielende Schul, jugent, welche sich die Pause zwischen den Unterrichtsstunden mit fröhlichem Lärm abzukürzen sucht, hört der Frage des russisch redenden Fremden auf¬ merksam zu und führt ihn in das erste Stockwerk, wo eine Anzahl junger Männer mit Berathungen über die angekündigte "musikalisch-declamatorische Soire'e sammt Tänzen" beschäftigt ist. Einer der Herren, dessen Sprache wegen ihres prononcirt großrussischen Accentes besonders verständlich ist, zeigt sich gern bereit, den ungebetenen Gast in den Club einzuführen und ihn an der Feier des, bevorstehenden Festes Theil nehmen zu lassen. -- Für mich, der von diesem Club seit Jahren gehört und seine Verherrlichung un-
Grenzboten I. 187V, 54
und die polnischen Supplenten installirt wurden, sind die Auditorien der deut¬ schen Lehrer auf den Besuch vereinzelter jüdischer oder der noch vereinzelteren ruthenischen Zuhörer reducier, welche zufällig nicht Theologie studiren.
Obgleich diese Verhältnisse der Natur der Sache nach auf flacher Hand liegen und in allen Kreisen der buntscheckigen Lemberger Gesellschaft rückhaltslos be- sprochen werden, wurde ich mit denselben erst sehr viel später bekannt, als mit den Zuständen des ruthenischen Elements in der galizischen Landeshauptstadt, wo dasselbe trotz seiner relativen numerischen Schwäche und trotz seiner Unsichtbarkeit eine erhebliche Rolle spielt. — Mein erster Gang war in das an der russischen Straße, unweit des Rings belegene staropygische Institut. Diese Anstalt zur Herstellung und Verbreitung ruthenischer Schriften und Journale beruht auf einer alten Stiftung und ist namentlich wegen ihrer Druckerei (in wel¬ cher das ruthenische Slowo, die Wochenschrift Utschitel, der polnisch-pansla- Vistische Slawjanin u. s. w. gedruckt werden) von großer Wichtigkeit und eines der Centren der ruthenisch-russischen Agitation. Das junge Mädchen, welches ich im Verkaufslocal antraf und das wunderlicher Weise sehr viel besser deutsch als russisch sprach, wies mich an das „Volkshaus" (Mrocw^ aom), wo ich Leute finden würde, die mir die gewünschte Auskunft über das russische Casino u. s. w. ertheilen würden. Uebrigens werde heute Abend in demselben eine musikalisch-declamatorische Nationalsoire'e abgehalten werden, zu der Fremde ohne Weiteres Zutritt erhielten.
Das Bolkshaus (Mroäu^ aom), ein Geschenk, das die k. k. Regierung im I. 1848 ihren „getreuen Ruthenen" machte, ist ein großes ziemlich an¬ sehnliches Gebäude, in welches der russische Club, so wie sämmtliche von dem¬ selben erhaltenen Schulen, das nationale Museum u. s. w. untergebracht sind; die Kirche, welche an dasselbe gebaut werden soll ist bis jetzt noch nicht zu Stande gekommen, weil es, jahrelangen Sammlungen und Collecten zum Trotz, noch immer an den nöthigen Mitteln fehlt. Ueber der Hausthür Prange ein mächtiges Schild, das den aufrechtstehenden, gekrönten goldenen Löwen von Halicz im blauen Felde zeigt. — Die im Flur spielende Schul, jugent, welche sich die Pause zwischen den Unterrichtsstunden mit fröhlichem Lärm abzukürzen sucht, hört der Frage des russisch redenden Fremden auf¬ merksam zu und führt ihn in das erste Stockwerk, wo eine Anzahl junger Männer mit Berathungen über die angekündigte „musikalisch-declamatorische Soire'e sammt Tänzen" beschäftigt ist. Einer der Herren, dessen Sprache wegen ihres prononcirt großrussischen Accentes besonders verständlich ist, zeigt sich gern bereit, den ungebetenen Gast in den Club einzuführen und ihn an der Feier des, bevorstehenden Festes Theil nehmen zu lassen. — Für mich, der von diesem Club seit Jahren gehört und seine Verherrlichung un-
Grenzboten I. 187V, 54
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ruthenischen Zuhörer reducier, welche zufällig nicht Theologie studiren.
Obgleich diese Verhältnisse der Natur der Sache nach auf flacher Hand liegen
und in allen Kreisen der buntscheckigen Lemberger Gesellschaft rückhaltslos be-
sprochen werden, wurde ich mit denselben erst sehr viel später bekannt, als mit
den Zuständen des ruthenischen Elements in der galizischen Landeshauptstadt, wo
dasselbe trotz seiner relativen numerischen Schwäche und trotz seiner Unsichtbarkeit
eine erhebliche Rolle spielt. — Mein erster Gang war in das an der russischen
Straße, unweit des Rings belegene staropygische Institut. Diese Anstalt
zur Herstellung und Verbreitung ruthenischer Schriften und Journale beruht
auf einer alten Stiftung und ist namentlich wegen ihrer Druckerei (in wel¬
cher das ruthenische Slowo, die Wochenschrift Utschitel, der polnisch-pansla-
Vistische Slawjanin u. s. w. gedruckt werden) von großer Wichtigkeit und
eines der Centren der ruthenisch-russischen Agitation. Das junge Mädchen,
welches ich im Verkaufslocal antraf und das wunderlicher Weise sehr viel
besser deutsch als russisch sprach, wies mich an das „Volkshaus" (Mrocw^
aom), wo ich Leute finden würde, die mir die gewünschte Auskunft über das
russische Casino u. s. w. ertheilen würden. Uebrigens werde heute Abend in
demselben eine musikalisch-declamatorische Nationalsoire'e abgehalten werden,
zu der Fremde ohne Weiteres Zutritt erhielten.
Das Bolkshaus (Mroäu^ aom), ein Geschenk, das die k. k. Regierung
im I. 1848 ihren „getreuen Ruthenen" machte, ist ein großes ziemlich an¬
sehnliches Gebäude, in welches der russische Club, so wie sämmtliche von dem¬
selben erhaltenen Schulen, das nationale Museum u. s. w. untergebracht sind;
die Kirche, welche an dasselbe gebaut werden soll ist bis jetzt noch nicht zu
Stande gekommen, weil es, jahrelangen Sammlungen und Collecten zum
Trotz, noch immer an den nöthigen Mitteln fehlt. Ueber der Hausthür
Prange ein mächtiges Schild, das den aufrechtstehenden, gekrönten goldenen
Löwen von Halicz im blauen Felde zeigt. — Die im Flur spielende Schul,
jugent, welche sich die Pause zwischen den Unterrichtsstunden mit fröhlichem
Lärm abzukürzen sucht, hört der Frage des russisch redenden Fremden auf¬
merksam zu und führt ihn in das erste Stockwerk, wo eine Anzahl junger
Männer mit Berathungen über die angekündigte „musikalisch-declamatorische
Soire'e sammt Tänzen" beschäftigt ist. Einer der Herren, dessen Sprache
wegen ihres prononcirt großrussischen Accentes besonders verständlich ist,
zeigt sich gern bereit, den ungebetenen Gast in den Club einzuführen und
ihn an der Feier des, bevorstehenden Festes Theil nehmen zu lassen. — Für
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Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_123087/431>, abgerufen am 25.01.2025.
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