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Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, I. Semester. I. Band.

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erreicht. Nachdem die Regierungen von Sachsen und Würtemberg ihnen den
Weg gewiesen, haben die Lords und Gemeinen der bajuvarischen Monarchie
sich unter Vortritt eines protestantischen Geistlichen zu dem erhebenden Be¬
kenntniß geeinigt, daß Bayern über Deutschland geht und daß der Süden des
Vaterlandes keinen Antheil haben will, an der Neugestaltung und Erhebung
d e r Nation, welche Jahrhunderte lang der Spott des Auslandes gewesen.
Fürst Hohenlohe, der zwischen der nationalen Haltung Badens und dem
schwäbischen Particularismus die Mitte zu nehmen und eine heilsame Lösung
der süddeutschen Frage sür bessere Tage offen zu halten gesucht hatte, ist aus
seiner letzten Position geworfen und zu einem Rücktritt genöthigt worden,
der sechs Wochen früher ungleich würdiger und sicherer genommen worden
wäre. Es handelt sich nur noch darum, ob ein clerical - particulanstisches
oder ein rein bureaukratisches Ministerium an die Spitze der bayrischen Ge¬
schäfte treten soll, um die souveräne Selbständigkeit dieses Staats bis an das
bekannte Ende der Tage zu wahren.

Wann wird dieses "Ende" anfangen? Unserer Meinung nach erst, wenn
man im Norden mit der Illusion einer freiwilligen und allmäligen Ueber-
brückung des Mains ein für allemal gebrochen und sich gesagt hat, die süd¬
deutsche Thorheit könne nur durch Schaden klug werden. Dieser Schaden
schneidet freilich in das eigene Fleisch und Bein, aber er ist der verzehrenden
Krankheit vorzuziehen, die, so lange sie mit Palliativen behandelt wird, die
Gefahr einer allgemeinen Blutvergiftung in sich trägt. Die Politik des nord¬
deutschen Bundes muß fortan auf die Baisse und mit dieser rechnen. Erst
wenn die Patrioten am Neckar, Lech und Jsar an der Grenze ihres Witzes
angekommen sind, wird sich mit ihnen reden lassen und dieser Grenze eilen
sie mit starken Schritten entgegen. Bringen wir es dazu, ein clerieales
Cabinet in München installirt und mit der Auslösung der Zoll- und Bünd-
nißverträge beschäftigt zu sehen, trennt die demokratische Penelope Würtem-
bergs die Gewebe wieder auf, mit denen Herr v. Varnbühler im Herbst 1866
seine Blößen deckte, werden die Bäume zu den Zollbarriören am Main be-
reits gefällt und haben "Volksbote" und "Beobachter" es zum Rang officieller
Organe gebracht, dann hat die letzte Stunde der süddeutschen Selbständig¬
keit geschlagen und die Aufrechterhaltung des nationalen Zusammenhangs,
welche heute für eine Concession an den Norden gilt, wird vom Süden er¬
bettelt. Unsere Armee stellt auch ohne die Contingente der Helden von Tau¬
berbischofsheim die Grenze am Rhein sicher und wie Oestreich es anfangen
sollte von der süddeutschen Verwirrung Nutzen zu ziehen, vermag auch Graf
Beust nicht anzugeben.

Daß es nur auf diese Weise zum Abschluß kommen kann, steht für uns
außer Frage. Der andere zum Ziel führende Weg, die Aufnahme Badens in


erreicht. Nachdem die Regierungen von Sachsen und Würtemberg ihnen den
Weg gewiesen, haben die Lords und Gemeinen der bajuvarischen Monarchie
sich unter Vortritt eines protestantischen Geistlichen zu dem erhebenden Be¬
kenntniß geeinigt, daß Bayern über Deutschland geht und daß der Süden des
Vaterlandes keinen Antheil haben will, an der Neugestaltung und Erhebung
d e r Nation, welche Jahrhunderte lang der Spott des Auslandes gewesen.
Fürst Hohenlohe, der zwischen der nationalen Haltung Badens und dem
schwäbischen Particularismus die Mitte zu nehmen und eine heilsame Lösung
der süddeutschen Frage sür bessere Tage offen zu halten gesucht hatte, ist aus
seiner letzten Position geworfen und zu einem Rücktritt genöthigt worden,
der sechs Wochen früher ungleich würdiger und sicherer genommen worden
wäre. Es handelt sich nur noch darum, ob ein clerical - particulanstisches
oder ein rein bureaukratisches Ministerium an die Spitze der bayrischen Ge¬
schäfte treten soll, um die souveräne Selbständigkeit dieses Staats bis an das
bekannte Ende der Tage zu wahren.

Wann wird dieses „Ende" anfangen? Unserer Meinung nach erst, wenn
man im Norden mit der Illusion einer freiwilligen und allmäligen Ueber-
brückung des Mains ein für allemal gebrochen und sich gesagt hat, die süd¬
deutsche Thorheit könne nur durch Schaden klug werden. Dieser Schaden
schneidet freilich in das eigene Fleisch und Bein, aber er ist der verzehrenden
Krankheit vorzuziehen, die, so lange sie mit Palliativen behandelt wird, die
Gefahr einer allgemeinen Blutvergiftung in sich trägt. Die Politik des nord¬
deutschen Bundes muß fortan auf die Baisse und mit dieser rechnen. Erst
wenn die Patrioten am Neckar, Lech und Jsar an der Grenze ihres Witzes
angekommen sind, wird sich mit ihnen reden lassen und dieser Grenze eilen
sie mit starken Schritten entgegen. Bringen wir es dazu, ein clerieales
Cabinet in München installirt und mit der Auslösung der Zoll- und Bünd-
nißverträge beschäftigt zu sehen, trennt die demokratische Penelope Würtem-
bergs die Gewebe wieder auf, mit denen Herr v. Varnbühler im Herbst 1866
seine Blößen deckte, werden die Bäume zu den Zollbarriören am Main be-
reits gefällt und haben „Volksbote" und „Beobachter" es zum Rang officieller
Organe gebracht, dann hat die letzte Stunde der süddeutschen Selbständig¬
keit geschlagen und die Aufrechterhaltung des nationalen Zusammenhangs,
welche heute für eine Concession an den Norden gilt, wird vom Süden er¬
bettelt. Unsere Armee stellt auch ohne die Contingente der Helden von Tau¬
berbischofsheim die Grenze am Rhein sicher und wie Oestreich es anfangen
sollte von der süddeutschen Verwirrung Nutzen zu ziehen, vermag auch Graf
Beust nicht anzugeben.

Daß es nur auf diese Weise zum Abschluß kommen kann, steht für uns
außer Frage. Der andere zum Ziel führende Weg, die Aufnahme Badens in


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_123087/357>, abgerufen am 15.01.2025.