Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, I. Semester. I. Band.nachdem Tags zuvor der Reichstag des norddeutschen Bundes in Berlin er¬ Mit einer Kritik des neuesten, dem Landtage zur Beschlußfassung Verantwortliche Redacteure: Gustav Freytag u. Julius Eckardt. Verlag von F. L. Hcrbig. - Druck von Hüthel Segler in Leipzig. nachdem Tags zuvor der Reichstag des norddeutschen Bundes in Berlin er¬ Mit einer Kritik des neuesten, dem Landtage zur Beschlußfassung Verantwortliche Redacteure: Gustav Freytag u. Julius Eckardt. Verlag von F. L. Hcrbig. - Druck von Hüthel Segler in Leipzig. <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0326" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/123414"/> <p xml:id="ID_909" prev="#ID_908"> nachdem Tags zuvor der Reichstag des norddeutschen Bundes in Berlin er¬<lb/> öffnet worden, gewinnt eine besondere Bedeutung durch das Resultat der am<lb/> 5. Februar im vierten Wahlkreise stattgehabten Nachwahl. Der bisherige Ab¬<lb/> geordnete desselben, der Gutsbesitzer und frühere Landrath Graf von Basse-<lb/> witz-Schwiessel, wurde im vorigen Jahre zum mecklenburgischen Ministerprä¬<lb/> sidenten ernannt, weil er, wenn überhaupt Jemand, am geeignetsten schien,<lb/> die Stände für die Steuerprojecte der Regierung zu gewinnen. Infolge dieser<lb/> Rangerhöhung erlosch sein Mandat im Reichstag. Da der vierte mecklen¬<lb/> burgische Wahlkreis in der bekannten Manier lediglich aus ritterschaftlichen<lb/> Gütern zusammengesetzt wurde, verzichteten die liberalen Parteien auf die<lb/> Aufstellung eines Candidaten und Graf Bassewitz ging Dank der „Hörigkeit"<lb/> der ritterschaftlichen Hintersassen mit ca. 6000 gegen 800 Stimmen aus der<lb/> Wahlurne als Abgeordneter wiederum hervor. Nun fungirt er aber auf<lb/> gegenwärtigem Landtage als landesherrlicher Commissarius in Sternberg und<lb/> als solcher ist er hier aus den angedeuteten Gründen unentbehrlich. Er kann<lb/> also nicht an den Neichstagssitzungen in Berlin Theil nehmen und ist daher in der<lb/> Lage, dort Urlaub nachsuchen zu müssen. Ob der Reichstag, der doch das<lb/> gleichzeitige Tagen der Einzellandtage und des Reichstags unter Zustimmung<lb/> des Bundeskanzlers perhorrescirt hat, solchen Urlaub bewilligen wird?<lb/> Schwerlich! So lange kein Bundesgesetz extstirt, welches das<lb/> gleichzeitige Tagen verbietet, wird der mecklenburgische Landtag<lb/> dem Reichstag nicht weichen.</p><lb/> <p xml:id="ID_910"> Mit einer Kritik des neuesten, dem Landtage zur Beschlußfassung<lb/> vorliegenden Steuerprojects wird es Zeit haben, bis dasselbe aus der Scylla<lb/> der „Committe" in die Charybdis der Plenarversammlung gekommen ist.<lb/> Während man es allgemein als einen Vorzug des neuen Entwurfs bezeichnet,<lb/> daß der große Grundbesitz nach seiner abzuschätzender Ertragsfähigkeit zur Steuer<lb/> herangezogen werden soll, schreien die Ritter Zeter Mordio darüber, daß sie<lb/> dadurch gewissermaßen in die Classe der gewerbtreibenden Steuerzahler ein¬<lb/> gereiht werden, sie, die als Inhaber der Ortsobrigkeitlichen Rechte sich<lb/> sogar über jede zu steuerlichen Zwecken zu übende Controle erhaben wähnen.<lb/> Eine ritterschaftliche Stimme ist neuerdings laut geworden, die bei Besprechung<lb/> des Steuerprojects gar von den Kosten des „Hofstaats" der Gutsbesitzer<lb/> sprach. Die unabsichtliche Ironie, die darin liegt, könnte nicht größer sein.<lb/> Mecklenburg ist allerdings ein Staat, in dem jedes Rittergut ein Staatlein<lb/> für sich bildet: das ist aber grade das Unglück des Landes!</p><lb/> <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/> <note type="byline"> Verantwortliche Redacteure: Gustav Freytag u. Julius Eckardt.<lb/> Verlag von F. L. Hcrbig. - Druck von Hüthel Segler in Leipzig.</note><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0326]
nachdem Tags zuvor der Reichstag des norddeutschen Bundes in Berlin er¬
öffnet worden, gewinnt eine besondere Bedeutung durch das Resultat der am
5. Februar im vierten Wahlkreise stattgehabten Nachwahl. Der bisherige Ab¬
geordnete desselben, der Gutsbesitzer und frühere Landrath Graf von Basse-
witz-Schwiessel, wurde im vorigen Jahre zum mecklenburgischen Ministerprä¬
sidenten ernannt, weil er, wenn überhaupt Jemand, am geeignetsten schien,
die Stände für die Steuerprojecte der Regierung zu gewinnen. Infolge dieser
Rangerhöhung erlosch sein Mandat im Reichstag. Da der vierte mecklen¬
burgische Wahlkreis in der bekannten Manier lediglich aus ritterschaftlichen
Gütern zusammengesetzt wurde, verzichteten die liberalen Parteien auf die
Aufstellung eines Candidaten und Graf Bassewitz ging Dank der „Hörigkeit"
der ritterschaftlichen Hintersassen mit ca. 6000 gegen 800 Stimmen aus der
Wahlurne als Abgeordneter wiederum hervor. Nun fungirt er aber auf
gegenwärtigem Landtage als landesherrlicher Commissarius in Sternberg und
als solcher ist er hier aus den angedeuteten Gründen unentbehrlich. Er kann
also nicht an den Neichstagssitzungen in Berlin Theil nehmen und ist daher in der
Lage, dort Urlaub nachsuchen zu müssen. Ob der Reichstag, der doch das
gleichzeitige Tagen der Einzellandtage und des Reichstags unter Zustimmung
des Bundeskanzlers perhorrescirt hat, solchen Urlaub bewilligen wird?
Schwerlich! So lange kein Bundesgesetz extstirt, welches das
gleichzeitige Tagen verbietet, wird der mecklenburgische Landtag
dem Reichstag nicht weichen.
Mit einer Kritik des neuesten, dem Landtage zur Beschlußfassung
vorliegenden Steuerprojects wird es Zeit haben, bis dasselbe aus der Scylla
der „Committe" in die Charybdis der Plenarversammlung gekommen ist.
Während man es allgemein als einen Vorzug des neuen Entwurfs bezeichnet,
daß der große Grundbesitz nach seiner abzuschätzender Ertragsfähigkeit zur Steuer
herangezogen werden soll, schreien die Ritter Zeter Mordio darüber, daß sie
dadurch gewissermaßen in die Classe der gewerbtreibenden Steuerzahler ein¬
gereiht werden, sie, die als Inhaber der Ortsobrigkeitlichen Rechte sich
sogar über jede zu steuerlichen Zwecken zu übende Controle erhaben wähnen.
Eine ritterschaftliche Stimme ist neuerdings laut geworden, die bei Besprechung
des Steuerprojects gar von den Kosten des „Hofstaats" der Gutsbesitzer
sprach. Die unabsichtliche Ironie, die darin liegt, könnte nicht größer sein.
Mecklenburg ist allerdings ein Staat, in dem jedes Rittergut ein Staatlein
für sich bildet: das ist aber grade das Unglück des Landes!
Verantwortliche Redacteure: Gustav Freytag u. Julius Eckardt.
Verlag von F. L. Hcrbig. - Druck von Hüthel Segler in Leipzig.
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