anderen Herrschaften. Commynes gewann in Folge davon eine so hervor¬ ragende Stellung unter dem französischen Adel, daß er, trotz einzelner späterer Unfälle, sein einziges Kind, eine Tochter, mit Louis des Brosses, comte de Penthievre, einem Verwandten der Bourbonen vermählen konnte, wodurch es geschehen ist, daß in gerader Vererbung auf Enkel und Urenkel das Blut des Commynes auf die Throne von Savoyen und Spanien, von Neapel und Frankreich gekommen ist.
Ueber den eigentlichen Anlaß, der den Uebergang Commynes' von Karl dem Kühnen zu Ludwig XI. hervorgerufen hat, ist unendlich viel gestritten worden. Mehrfach hat man eine Anecdote wiederholt, wonach der Herzog seinem Diener zur Strafe für eine Dreistigkeit, die sich dieser erlaubt habe, mit einem Stiefel vor den Kopf geschlagen und ihn dadurch tödtlich belei¬ digt haben soll. Es ist dies aber nur eine von jenen naiven Geschichten, welche der neugierigen Menge so oft zur Erklärung schwerverständlicher poli¬ tischer Ereignisse gedient haben. Wir müssen nach tiefer liegenden Gründen für den Abfall Commynes' suchen und hier fällt zunächst das Naturell der in dem ganzen Handel auftretenden Hauptpersonen ins Gewicht. Denn Commynes, der feinsinnige, ruhig prüfende und vorsichtig ausführende Staats¬ mann, konnte sich unter der Herrschaft Karls des Kühnen unmöglich wohl fühlen. Des Herzogs blinde Leidenschaftlichkeit und gedankenlose Gier nach neuen Triumphen mußten ihn empfindlich abstoßen, während des französischen Königs umsichtige Verständigkeit seinem eigenen Wesen sehr nahe verwandt war. Dazu kam, daß schon damals, im Anfang der siebziger Jahre des fünfzehnten Jahrhunderts, kluge Männer erkannten, zu welch' unseligem Ende der burgundische Herzog bei seinem thörichten Treiben kommen müsse, und daß deshalb schon geraume Zeit vor den blutigen Tagen von Granson, Murten und Nancy burgundische Große in namhafter Anzahl von dem Hofe ihres Fürsten nach Frankreich entflohen. Es machte dies nach dem derben Worte eines neueren Geschichtschreibers, den Eindruck, wie wenn Ratten ein sinkendes Schiff verlassen. Endlich dürfte Commynes von vornherein als sicher voraussetzen, daß er in Frankreich ein glänzendes Loos ziehen werde, und so begreifen wir wohl, ohne sagenhafte Anecdoten zur Erklärung herbeiziehen zu müssen, wie er zum Abfall von Karl dem Kühnen gekommen ist.
Mit Alledem soll dieser Abfall nicht im Geringsten entschuldigt wer¬ den. Im Gegentheil, die Umstände, unter denen der Uebertritt schließlich erfolgte, haben noch etwas ganz besonders Gehässiges an sich. Denn im Sommer 1472 unternahm Herzog Karl einen unbesonnenen, schlecht geführ¬ ten und schließlich unglücklich endenden Angriff auf Ludwig XI. In der¬ selben Zuk legte der König Beschlag auf jene Pension, die er dem Herr"
anderen Herrschaften. Commynes gewann in Folge davon eine so hervor¬ ragende Stellung unter dem französischen Adel, daß er, trotz einzelner späterer Unfälle, sein einziges Kind, eine Tochter, mit Louis des Brosses, comte de Penthievre, einem Verwandten der Bourbonen vermählen konnte, wodurch es geschehen ist, daß in gerader Vererbung auf Enkel und Urenkel das Blut des Commynes auf die Throne von Savoyen und Spanien, von Neapel und Frankreich gekommen ist.
Ueber den eigentlichen Anlaß, der den Uebergang Commynes' von Karl dem Kühnen zu Ludwig XI. hervorgerufen hat, ist unendlich viel gestritten worden. Mehrfach hat man eine Anecdote wiederholt, wonach der Herzog seinem Diener zur Strafe für eine Dreistigkeit, die sich dieser erlaubt habe, mit einem Stiefel vor den Kopf geschlagen und ihn dadurch tödtlich belei¬ digt haben soll. Es ist dies aber nur eine von jenen naiven Geschichten, welche der neugierigen Menge so oft zur Erklärung schwerverständlicher poli¬ tischer Ereignisse gedient haben. Wir müssen nach tiefer liegenden Gründen für den Abfall Commynes' suchen und hier fällt zunächst das Naturell der in dem ganzen Handel auftretenden Hauptpersonen ins Gewicht. Denn Commynes, der feinsinnige, ruhig prüfende und vorsichtig ausführende Staats¬ mann, konnte sich unter der Herrschaft Karls des Kühnen unmöglich wohl fühlen. Des Herzogs blinde Leidenschaftlichkeit und gedankenlose Gier nach neuen Triumphen mußten ihn empfindlich abstoßen, während des französischen Königs umsichtige Verständigkeit seinem eigenen Wesen sehr nahe verwandt war. Dazu kam, daß schon damals, im Anfang der siebziger Jahre des fünfzehnten Jahrhunderts, kluge Männer erkannten, zu welch' unseligem Ende der burgundische Herzog bei seinem thörichten Treiben kommen müsse, und daß deshalb schon geraume Zeit vor den blutigen Tagen von Granson, Murten und Nancy burgundische Große in namhafter Anzahl von dem Hofe ihres Fürsten nach Frankreich entflohen. Es machte dies nach dem derben Worte eines neueren Geschichtschreibers, den Eindruck, wie wenn Ratten ein sinkendes Schiff verlassen. Endlich dürfte Commynes von vornherein als sicher voraussetzen, daß er in Frankreich ein glänzendes Loos ziehen werde, und so begreifen wir wohl, ohne sagenhafte Anecdoten zur Erklärung herbeiziehen zu müssen, wie er zum Abfall von Karl dem Kühnen gekommen ist.
Mit Alledem soll dieser Abfall nicht im Geringsten entschuldigt wer¬ den. Im Gegentheil, die Umstände, unter denen der Uebertritt schließlich erfolgte, haben noch etwas ganz besonders Gehässiges an sich. Denn im Sommer 1472 unternahm Herzog Karl einen unbesonnenen, schlecht geführ¬ ten und schließlich unglücklich endenden Angriff auf Ludwig XI. In der¬ selben Zuk legte der König Beschlag auf jene Pension, die er dem Herr»
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anderen Herrschaften. Commynes gewann in Folge davon eine so hervor¬
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späterer Unfälle, sein einziges Kind, eine Tochter, mit Louis des Brosses,
comte de Penthievre, einem Verwandten der Bourbonen vermählen konnte,
wodurch es geschehen ist, daß in gerader Vererbung auf Enkel und Urenkel
das Blut des Commynes auf die Throne von Savoyen und Spanien, von
Neapel und Frankreich gekommen ist.
Ueber den eigentlichen Anlaß, der den Uebergang Commynes' von Karl
dem Kühnen zu Ludwig XI. hervorgerufen hat, ist unendlich viel gestritten
worden. Mehrfach hat man eine Anecdote wiederholt, wonach der Herzog
seinem Diener zur Strafe für eine Dreistigkeit, die sich dieser erlaubt habe,
mit einem Stiefel vor den Kopf geschlagen und ihn dadurch tödtlich belei¬
digt haben soll. Es ist dies aber nur eine von jenen naiven Geschichten,
welche der neugierigen Menge so oft zur Erklärung schwerverständlicher poli¬
tischer Ereignisse gedient haben. Wir müssen nach tiefer liegenden Gründen
für den Abfall Commynes' suchen und hier fällt zunächst das Naturell der
in dem ganzen Handel auftretenden Hauptpersonen ins Gewicht. Denn
Commynes, der feinsinnige, ruhig prüfende und vorsichtig ausführende Staats¬
mann, konnte sich unter der Herrschaft Karls des Kühnen unmöglich wohl
fühlen. Des Herzogs blinde Leidenschaftlichkeit und gedankenlose Gier nach
neuen Triumphen mußten ihn empfindlich abstoßen, während des französischen
Königs umsichtige Verständigkeit seinem eigenen Wesen sehr nahe verwandt
war. Dazu kam, daß schon damals, im Anfang der siebziger Jahre des
fünfzehnten Jahrhunderts, kluge Männer erkannten, zu welch' unseligem
Ende der burgundische Herzog bei seinem thörichten Treiben kommen müsse,
und daß deshalb schon geraume Zeit vor den blutigen Tagen von
Granson, Murten und Nancy burgundische Große in namhafter Anzahl
von dem Hofe ihres Fürsten nach Frankreich entflohen. Es machte dies
nach dem derben Worte eines neueren Geschichtschreibers, den Eindruck, wie
wenn Ratten ein sinkendes Schiff verlassen. Endlich dürfte Commynes von
vornherein als sicher voraussetzen, daß er in Frankreich ein glänzendes Loos
ziehen werde, und so begreifen wir wohl, ohne sagenhafte Anecdoten zur
Erklärung herbeiziehen zu müssen, wie er zum Abfall von Karl dem Kühnen
gekommen ist.
Mit Alledem soll dieser Abfall nicht im Geringsten entschuldigt wer¬
den. Im Gegentheil, die Umstände, unter denen der Uebertritt schließlich
erfolgte, haben noch etwas ganz besonders Gehässiges an sich. Denn im
Sommer 1472 unternahm Herzog Karl einen unbesonnenen, schlecht geführ¬
ten und schließlich unglücklich endenden Angriff auf Ludwig XI. In der¬
selben Zuk legte der König Beschlag auf jene Pension, die er dem Herr»
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Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_123087/296>, abgerufen am 25.01.2025.
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