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Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, I. Semester. I. Band.

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an seiner Stelle freie Concurrenz gewährt, welche dem Tüchtigeren in allen
Fällen einen Erfolg möglich macht.

Endlich wollen wir eine Reform erwähnen, die allein und selbständig
auch unter den jetzigen Verhältnissen getroffen werden kann und muß; wir
meinen die akademischen Würden. Die Universität müßte es als eine Ehren¬
pflicht ansehen, sie nicht verschwenden und vergeuden zu lassen, sie müßte
strenger darauf halten, daß nicht gänzlich werthlose Bücher mit ihrer Appro¬
bation in die Welt gesandt werden. Vom Baecalaureat und der Licenz
wollen wir nicht reden; so oft eine academische Würde obligatorisch ist,
namentlich von Staatsbehörden verlangt wird, verliert sie allen Werth --
vootoribus ineäieing.6 geht es selbst in Preußen nicht besser --, sie fällt zur
reinen Formalität herab. Wir haben es hier mit dem voewrat es lettrss
zu thun. Dessen Stellung ist nicht dieselbe wie die des voctor MIoLoMas
unserer Universitäten; dieser bildet den Schluß der Lehrzeit der academischen
Jahre und ist nur der Bürgerbrief zur Gelehrtenrepublik. Es bezeichnet den
Eintritt eines neuen Jüngers in die Wissenschaft. Auch haben die deutschen
Hochschulen mit Ausnahme von wenigen, die einen unanständigen Handel
damit treiben, streng darauf geachtet, die Reinheit der von ihnen ertheilten
Würden zu wahren. Mit dem französischen Ooetorat lettres steht es
wesentlich anders, so daß es kaum mit dem deutschen verglichen werden kann.
Es wird nicht zum Abschluß der academischen Jahre, sondern meist später,
ja auch schon in vollem Mannesalter erlangt. Erfordert werden zwei Theses,
eine französische und eine lateinische, von denen erstere oft einen ansehnlichen
Band bildet. Die Facultät verfährt aber nur zu häufig mit einer tadelns¬
werten Nachsichtigkeit gegen diese Arbeiten. Es kommt vor, daß eine These
in der öffentlichen Disputation der scharfem Kritik unterzogen, als gänzlich
verfehlt bezeichnet und dann doch gutgeheißen und von der Universität appro-
birt dem Publicum übergeben wird. Es ist durchaus nothwendig, daß mit
dieser Schwäche und Halbheit ein Ende gemacht, daß die ganze Sache etwas
ernster und gründlicher genommen werde. Und hier wäre doch die Hilfe
sehr leicht zu beschaffen, es hängt ja nur von dem Willen der weisen Herren
der Sorbonne ab! -- Wir glauben zwar nicht, daß die Ausführung der
eben aufgezählten Reformen in naher Zukunft liegt; es muß noch viel schlim¬
mer werden, damit ihre Nothwendigkeit sich auch den Verstocktesten unab¬
weisbar aufdränge, aber daß die Besserung nur durch Maßregeln in jenem
Sinne und in jener Richtung eintreten kann, das ist unsere feste Ueberzeu¬
gung. Sie wird vielleicht erst dann erfolgen, wenn an die Herkulesarbeit
Hand gelegt wird, das überspannte und übermäßig straff gezogene Land zu
decentralisiren. Dem neuen Ministerium wollen wir vertrauen, trotz seiner
ausgesprochenen clericalen Tendenz, wenn es uns von seinen guten Absichten


an seiner Stelle freie Concurrenz gewährt, welche dem Tüchtigeren in allen
Fällen einen Erfolg möglich macht.

Endlich wollen wir eine Reform erwähnen, die allein und selbständig
auch unter den jetzigen Verhältnissen getroffen werden kann und muß; wir
meinen die akademischen Würden. Die Universität müßte es als eine Ehren¬
pflicht ansehen, sie nicht verschwenden und vergeuden zu lassen, sie müßte
strenger darauf halten, daß nicht gänzlich werthlose Bücher mit ihrer Appro¬
bation in die Welt gesandt werden. Vom Baecalaureat und der Licenz
wollen wir nicht reden; so oft eine academische Würde obligatorisch ist,
namentlich von Staatsbehörden verlangt wird, verliert sie allen Werth —
vootoribus ineäieing.6 geht es selbst in Preußen nicht besser —, sie fällt zur
reinen Formalität herab. Wir haben es hier mit dem voewrat es lettrss
zu thun. Dessen Stellung ist nicht dieselbe wie die des voctor MIoLoMas
unserer Universitäten; dieser bildet den Schluß der Lehrzeit der academischen
Jahre und ist nur der Bürgerbrief zur Gelehrtenrepublik. Es bezeichnet den
Eintritt eines neuen Jüngers in die Wissenschaft. Auch haben die deutschen
Hochschulen mit Ausnahme von wenigen, die einen unanständigen Handel
damit treiben, streng darauf geachtet, die Reinheit der von ihnen ertheilten
Würden zu wahren. Mit dem französischen Ooetorat lettres steht es
wesentlich anders, so daß es kaum mit dem deutschen verglichen werden kann.
Es wird nicht zum Abschluß der academischen Jahre, sondern meist später,
ja auch schon in vollem Mannesalter erlangt. Erfordert werden zwei Theses,
eine französische und eine lateinische, von denen erstere oft einen ansehnlichen
Band bildet. Die Facultät verfährt aber nur zu häufig mit einer tadelns¬
werten Nachsichtigkeit gegen diese Arbeiten. Es kommt vor, daß eine These
in der öffentlichen Disputation der scharfem Kritik unterzogen, als gänzlich
verfehlt bezeichnet und dann doch gutgeheißen und von der Universität appro-
birt dem Publicum übergeben wird. Es ist durchaus nothwendig, daß mit
dieser Schwäche und Halbheit ein Ende gemacht, daß die ganze Sache etwas
ernster und gründlicher genommen werde. Und hier wäre doch die Hilfe
sehr leicht zu beschaffen, es hängt ja nur von dem Willen der weisen Herren
der Sorbonne ab! — Wir glauben zwar nicht, daß die Ausführung der
eben aufgezählten Reformen in naher Zukunft liegt; es muß noch viel schlim¬
mer werden, damit ihre Nothwendigkeit sich auch den Verstocktesten unab¬
weisbar aufdränge, aber daß die Besserung nur durch Maßregeln in jenem
Sinne und in jener Richtung eintreten kann, das ist unsere feste Ueberzeu¬
gung. Sie wird vielleicht erst dann erfolgen, wenn an die Herkulesarbeit
Hand gelegt wird, das überspannte und übermäßig straff gezogene Land zu
decentralisiren. Dem neuen Ministerium wollen wir vertrauen, trotz seiner
ausgesprochenen clericalen Tendenz, wenn es uns von seinen guten Absichten


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_123087/265>, abgerufen am 15.01.2025.