Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, I. Semester. I. Band.Das französische Ministerium. Diese Blätter haben gleich bei der Constituirung des neuen Ministeriums Was nun zunächst die Entstehung und Zusammensetzung des Cabinets Das französische Ministerium. Diese Blätter haben gleich bei der Constituirung des neuen Ministeriums Was nun zunächst die Entstehung und Zusammensetzung des Cabinets <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0131" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/123219"/> </div> <div n="1"> <head> Das französische Ministerium.</head><lb/> <p xml:id="ID_366"> Diese Blätter haben gleich bei der Constituirung des neuen Ministeriums<lb/> in Paris auf die großen Schwierigkeiten hingewiesen, welche es haben muß,<lb/> eine wirklich constitutionelle Regierung in Frankreich herzustellen und hervor¬<lb/> gehoben, wie wenig günstig die beiden großen Factoren. welche bis jetzt jede<lb/> Revolution seit 1789 überdauert haben, nämlich das büreaukratische Vermal-<lb/> tungssystem und die Armee, dem Versuche, das liberale Kaiserthum an die<lb/> Stelle des persönlichen Regiments zu setzen, sein müssen. Es mag grade<lb/> jetzt, wo das neue Cabinet in seinen Flitterwochen steht und andererseits die<lb/> innere Geschichte seiner Bildung durchsichtiger geworden ist, an der Zeit sein,<lb/> auf diese Bedenken zurückzukommen und zu zeigen, daß bis jetzt nichts mehr<lb/> gewonnen ist als nothdürftiger Raum zu einem Versuch, die constitutionelle<lb/> Regierungsform auf französischen Boden zu verpflanzen: denn daß dies der<lb/> Restauration wie der Julimonarchie nicht gelungen ist, daß vielmehr beide<lb/> nicht über die Außenseite des Constitutionalismus hinauskamen, hat die Er¬<lb/> fahrung gezeigt.</p><lb/> <p xml:id="ID_367" next="#ID_368"> Was nun zunächst die Entstehung und Zusammensetzung des Cabinets<lb/> anlangt, so dürfte nach zuverlässigen Angaben einigermaßen zweifelhaft sein,<lb/> daß dasselbe den Namen eines Ministeriums Ollivier verdient. Ollivier war<lb/> allerdings vom Kaiser beauftragt, eine homogene Verwaltung zu bilden und<lb/> er war wohl der einzige Mann, an den sich Napoleon wenden konnte, weil<lb/> er die Versöhnung des Kaiserthums mit der Freiheit zu seinem ersten Princip<lb/> machte. Aber er hatte diesem Princip im Laufe des letzten Jahres bereits<lb/> solche Opfer gebracht, daß er seinen früheren Parteigenossen sehr bedenklich<lb/> geworden war. Seine Wiederwahl konnte nur unter dem Schutze der Regie¬<lb/> rung durchgesetzt werden; er sprach sich für die Candidatur Pouyer-Quertters<lb/> aus und stimmte für die Bestätigung aller officiellen Candidaten, auch in<lb/> den Fällen motorischer Corruption. Er wollte deshalb bei seinem Versuch,<lb/> ein Ministerium zu bilden, sich vor Allem auf das rechte Centrum stützen<lb/> und von den früheren Ministern, außer den Fachmännern des Krieges und<lb/> der Marine, auch Magne erhalten; schließlich mußte er selbst dem Kaiser ge¬<lb/> stehen, daß seine Liste auf keine feste Majorität im gesetzgebenden Körper<lb/> rechnen könne, alle Chefs des linken Centrums hatten seine Anerbietungen<lb/> abgelehnt. Die Folge des offenkundiger Scheiterns eines Ministeriums<lb/> Ollivier aber hätte zu einem reinen Ministerium des linken Centrums führen<lb/> müssen, welches dann wieder das rechte Centrum und die äußerste Rechte<lb/> gegen sich gehabt hätte. Der Kaiser beschied, um dem vorzubeugen, den Grafen</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0131]
Das französische Ministerium.
Diese Blätter haben gleich bei der Constituirung des neuen Ministeriums
in Paris auf die großen Schwierigkeiten hingewiesen, welche es haben muß,
eine wirklich constitutionelle Regierung in Frankreich herzustellen und hervor¬
gehoben, wie wenig günstig die beiden großen Factoren. welche bis jetzt jede
Revolution seit 1789 überdauert haben, nämlich das büreaukratische Vermal-
tungssystem und die Armee, dem Versuche, das liberale Kaiserthum an die
Stelle des persönlichen Regiments zu setzen, sein müssen. Es mag grade
jetzt, wo das neue Cabinet in seinen Flitterwochen steht und andererseits die
innere Geschichte seiner Bildung durchsichtiger geworden ist, an der Zeit sein,
auf diese Bedenken zurückzukommen und zu zeigen, daß bis jetzt nichts mehr
gewonnen ist als nothdürftiger Raum zu einem Versuch, die constitutionelle
Regierungsform auf französischen Boden zu verpflanzen: denn daß dies der
Restauration wie der Julimonarchie nicht gelungen ist, daß vielmehr beide
nicht über die Außenseite des Constitutionalismus hinauskamen, hat die Er¬
fahrung gezeigt.
Was nun zunächst die Entstehung und Zusammensetzung des Cabinets
anlangt, so dürfte nach zuverlässigen Angaben einigermaßen zweifelhaft sein,
daß dasselbe den Namen eines Ministeriums Ollivier verdient. Ollivier war
allerdings vom Kaiser beauftragt, eine homogene Verwaltung zu bilden und
er war wohl der einzige Mann, an den sich Napoleon wenden konnte, weil
er die Versöhnung des Kaiserthums mit der Freiheit zu seinem ersten Princip
machte. Aber er hatte diesem Princip im Laufe des letzten Jahres bereits
solche Opfer gebracht, daß er seinen früheren Parteigenossen sehr bedenklich
geworden war. Seine Wiederwahl konnte nur unter dem Schutze der Regie¬
rung durchgesetzt werden; er sprach sich für die Candidatur Pouyer-Quertters
aus und stimmte für die Bestätigung aller officiellen Candidaten, auch in
den Fällen motorischer Corruption. Er wollte deshalb bei seinem Versuch,
ein Ministerium zu bilden, sich vor Allem auf das rechte Centrum stützen
und von den früheren Ministern, außer den Fachmännern des Krieges und
der Marine, auch Magne erhalten; schließlich mußte er selbst dem Kaiser ge¬
stehen, daß seine Liste auf keine feste Majorität im gesetzgebenden Körper
rechnen könne, alle Chefs des linken Centrums hatten seine Anerbietungen
abgelehnt. Die Folge des offenkundiger Scheiterns eines Ministeriums
Ollivier aber hätte zu einem reinen Ministerium des linken Centrums führen
müssen, welches dann wieder das rechte Centrum und die äußerste Rechte
gegen sich gehabt hätte. Der Kaiser beschied, um dem vorzubeugen, den Grafen
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