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Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, II. Semester. II. Band.

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geschichtlichen Werth verloren haben. Ein schöner Potter macht sich jedoch
bemerklich: Hirten mit Rinder-, Ziegen - und Schafheerde, dahinter Baum¬
gruppen, Gebüsch und Wiese (bei Herrn Hartmann in München). Das Bild
gehört weder zu den zarten Abendidyllen des Meisters noch zu den Mittags¬
stimmungen, es ist ruhig und etwas grau gehalten, die Details des Vorder¬
grundes von firnißartiger Durchsichtigkeit und hornähnlicher Palma, aber
hochvollendet: Daphnis flötet Chloen an, indeß die Kühe friedlich wiederkäuen
und die Geis am Laube zupft. Was Potter den großen Vierfüßlern, das
ist Fyt den Hasen und Vögeln: seine Katze, welche das Hasen-, Enten- und
Hühnerwildpret mausert beschleicht (bei Baron Cetto in München) ist von
der frappantesten Lebenswahrheit, aber keck ausgeführt und ohne die porzellan¬
mäßige Politur, die wir bei Huysum oder Heem finden, von denen Blumen-
und Fruchtstücke daneben hängen.

In einem der Hauptzimmer ziehen zwei einander gegenüber angebrachte
Porträts die Augen auf sich, das eine lebensgroßes Kniestück, das andere
ganze Figur in kleinerem Maßstabe (beide bei Suermondt). Letzteres von
Coello gemalt, stellt Philipp den zweiten dar, ersteres, dem Velasquez zu¬
geschrieben, einen spanischen Granden. Coello gehört nicht zu den Stilisten und
unter den Spaniern gebührt ihm nicht eben hoher Rang; das hier vorliegende
Königsbildniß macht keinen Anlauf, sich über die convemionelle Steifheit
und Ruhe zu erheben, aber man liest mit Interesse in den blassen und im-
passibeln Zügen dieses Monarchen, von dem die Geschichte uns ein so er¬
schreckendes Bild in die Seele geprägt hat. Soll man annehmen, daß Coello
die individuelle Erscheinung desselben nicht getroffen, oder war Philipp's
physiognomijcher Ausdruck nur im Alter düster? Im Technischen haben wir
hier genau das Gegentheil von dem, was wir bei Tizian und Velasquez
erwarten; der Farbenauftrag ist sauber, rund und in Grau abschattirt und
das Bild verträgt infolge dessen weit näheren Standpunkt als diejenigen
Tizians. Als Königin Maria von Ungarn im Jahre 1S33 ein Porträt
Philipps an den Gesandten Renard nach London schickte, wies sie ihn an,
es der Königin im rechten Lichte und in der rechten Distanz zu zeigen;
"denn wie alle Gemälde Tizian's" -- schrieb sie -- "verfehlt es den Ein¬
druck der Aehnlichkeit aus zu großer Nähe!" Velasquez nun malte in seiner
späteren Periode mit derselben meisterhaften Breite und Flüchtigkeit wie der
große Venezianer um 1S60, und aus diesem Grunde zögern wir, das vor¬
liegende Porträt als Arbeit seiner Hand anzuerkennen. Der ernste Spanier
mit dem krausen Haar und den das gebräunte Gesicht einrahmenden Büscheln
an der Seite, tritt voller Leben und Grandezza, mit einem Amtsstab in
der Rechten, in Galacostüm daher, großen goldenen Ordenskragen um die
Schultern, rothe Schärpe um die Taille, alles Andere, Wams, Koller, Hosen


geschichtlichen Werth verloren haben. Ein schöner Potter macht sich jedoch
bemerklich: Hirten mit Rinder-, Ziegen - und Schafheerde, dahinter Baum¬
gruppen, Gebüsch und Wiese (bei Herrn Hartmann in München). Das Bild
gehört weder zu den zarten Abendidyllen des Meisters noch zu den Mittags¬
stimmungen, es ist ruhig und etwas grau gehalten, die Details des Vorder¬
grundes von firnißartiger Durchsichtigkeit und hornähnlicher Palma, aber
hochvollendet: Daphnis flötet Chloen an, indeß die Kühe friedlich wiederkäuen
und die Geis am Laube zupft. Was Potter den großen Vierfüßlern, das
ist Fyt den Hasen und Vögeln: seine Katze, welche das Hasen-, Enten- und
Hühnerwildpret mausert beschleicht (bei Baron Cetto in München) ist von
der frappantesten Lebenswahrheit, aber keck ausgeführt und ohne die porzellan¬
mäßige Politur, die wir bei Huysum oder Heem finden, von denen Blumen-
und Fruchtstücke daneben hängen.

In einem der Hauptzimmer ziehen zwei einander gegenüber angebrachte
Porträts die Augen auf sich, das eine lebensgroßes Kniestück, das andere
ganze Figur in kleinerem Maßstabe (beide bei Suermondt). Letzteres von
Coello gemalt, stellt Philipp den zweiten dar, ersteres, dem Velasquez zu¬
geschrieben, einen spanischen Granden. Coello gehört nicht zu den Stilisten und
unter den Spaniern gebührt ihm nicht eben hoher Rang; das hier vorliegende
Königsbildniß macht keinen Anlauf, sich über die convemionelle Steifheit
und Ruhe zu erheben, aber man liest mit Interesse in den blassen und im-
passibeln Zügen dieses Monarchen, von dem die Geschichte uns ein so er¬
schreckendes Bild in die Seele geprägt hat. Soll man annehmen, daß Coello
die individuelle Erscheinung desselben nicht getroffen, oder war Philipp's
physiognomijcher Ausdruck nur im Alter düster? Im Technischen haben wir
hier genau das Gegentheil von dem, was wir bei Tizian und Velasquez
erwarten; der Farbenauftrag ist sauber, rund und in Grau abschattirt und
das Bild verträgt infolge dessen weit näheren Standpunkt als diejenigen
Tizians. Als Königin Maria von Ungarn im Jahre 1S33 ein Porträt
Philipps an den Gesandten Renard nach London schickte, wies sie ihn an,
es der Königin im rechten Lichte und in der rechten Distanz zu zeigen;
„denn wie alle Gemälde Tizian's" — schrieb sie — „verfehlt es den Ein¬
druck der Aehnlichkeit aus zu großer Nähe!" Velasquez nun malte in seiner
späteren Periode mit derselben meisterhaften Breite und Flüchtigkeit wie der
große Venezianer um 1S60, und aus diesem Grunde zögern wir, das vor¬
liegende Porträt als Arbeit seiner Hand anzuerkennen. Der ernste Spanier
mit dem krausen Haar und den das gebräunte Gesicht einrahmenden Büscheln
an der Seite, tritt voller Leben und Grandezza, mit einem Amtsstab in
der Rechten, in Galacostüm daher, großen goldenen Ordenskragen um die
Schultern, rothe Schärpe um die Taille, alles Andere, Wams, Koller, Hosen


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341809_121754/70>, abgerufen am 22.07.2024.