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Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, II. Semester. II. Band.

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statten gehe. Die Maaße des Kopfes und der Hände stimmen nicht zusam¬
men, letztere sind zu klein, aber für sich betrachtet puiser sie vor Leben. Auf
dem verwetterten welkenden Fleisch sieht man die Erhebungen und Tiefen
genau; die Contouren sind von höchster Reinheit, alle Einzelheiten schlechthin
vollendet; Licht und Schatten haben breiten Fluß und aus einem gewissen
Abstand betrachtet, wirkt Halbdunkel und Farbe meisterhaft. Aus der Nähe
sieht man noch mehr: die Modulationen des Tons der einzelnen Partien in
ihrer subtilen Abwägung, einen so feinen Formenausdruck und so weiche
Uebergänge, daß sich die Mache nirgends aufdrängt.

Als Graf de Laborde vor etwa 15 Jahren die erste Nachricht von einer
in Nantes aufgefundenen Madonna Johann's van Eyck gab, war die Freude
der Liebhaber über seine glückliche Entdeckung sehr groß. Heute, da wir das
Gemälde in dem Schmuck des neuen Firnisses vor uns haben, durch den es
sür das prachtvolle Cabinet des Herrn Suermondt in Aachen hoffähig ge¬
macht war, können wir jenes Entzücken nicht ganz theilen. Den Namen,
der ihm gegeben worden ist, scheint der Anblick des Bildes allerdings zu be¬
stätigen. Es ist eine kleine, oben rund abgeschlossene Tafel: die Jungfrau,
aufrecht im Schiff einer Kirche stehend, hält das Kind, fest an ihre Brust;
durch die Oeffnung des Lettners sieht man im Chor zwei Engel, die von
einem Buche absingen, dämmeriges Zwielicht hüllt den Raum und die Figuren,
scharfe Färbung der Säume von Maria's Kleid, sowie ein greller Lichtstrahl,
der durch die Scheiben der gothischen Spitzbogenfenster auf Wand und Fu߬
boden fällt, steigert die Dunkelheit des Uebrigen. Van Eyck's Kunstidiom ist
unverkennbar, es sind seine Köpfe und Figuren, und man wird an das Altar¬
bild im Dresdener Museum erinnert; aber dort ist mehr Silberton. mehr
Sorgfalt und Reinheit, das Jmpasto weniger flüssig und zäh. Es ließe sich
recht wohl denken, daß ein Mann wie De Hooghe eine Copie nach Van Eyck
zu Wege gebracht, die so aussähe. Immerhin mag es Van Eyck selbst gemalt
haben, dann aber hat das Bild jedenfalls fremdartige neue Einwirkung
erfahren.

In der Nachbarschaft finden wir eine zweite Madonna von größeren
Dimensionen, ebenfalls dem niederländischen Altmeister zugeschrieben, aber
wie verschieden! Eine Vergleichung der Madonna des Kanonikus Packe in
Brügge mit den Arnolphini-Porträts der Londoner Nationalgallerie lehrt,
daß Johann van Eyck einmal derb, ein andermal sauber malen konnte; jene
Werke tragen beide Etwas an sich, was nach dem Meister aussieht. Hier
haben wir das gröbere Korn des Gemäldes in Brügge und Züge, die auf
Van Eyck's Schüler schließen lassen. Der aus Rosen, Orangen und Cypressen
bestehende Hintergrund hat sein Vorbild an einigen Stellen des Berliner
^nus vel, Gesicht und Gestalt der Jungfrau sind charakteristisch ungefällig


statten gehe. Die Maaße des Kopfes und der Hände stimmen nicht zusam¬
men, letztere sind zu klein, aber für sich betrachtet puiser sie vor Leben. Auf
dem verwetterten welkenden Fleisch sieht man die Erhebungen und Tiefen
genau; die Contouren sind von höchster Reinheit, alle Einzelheiten schlechthin
vollendet; Licht und Schatten haben breiten Fluß und aus einem gewissen
Abstand betrachtet, wirkt Halbdunkel und Farbe meisterhaft. Aus der Nähe
sieht man noch mehr: die Modulationen des Tons der einzelnen Partien in
ihrer subtilen Abwägung, einen so feinen Formenausdruck und so weiche
Uebergänge, daß sich die Mache nirgends aufdrängt.

Als Graf de Laborde vor etwa 15 Jahren die erste Nachricht von einer
in Nantes aufgefundenen Madonna Johann's van Eyck gab, war die Freude
der Liebhaber über seine glückliche Entdeckung sehr groß. Heute, da wir das
Gemälde in dem Schmuck des neuen Firnisses vor uns haben, durch den es
sür das prachtvolle Cabinet des Herrn Suermondt in Aachen hoffähig ge¬
macht war, können wir jenes Entzücken nicht ganz theilen. Den Namen,
der ihm gegeben worden ist, scheint der Anblick des Bildes allerdings zu be¬
stätigen. Es ist eine kleine, oben rund abgeschlossene Tafel: die Jungfrau,
aufrecht im Schiff einer Kirche stehend, hält das Kind, fest an ihre Brust;
durch die Oeffnung des Lettners sieht man im Chor zwei Engel, die von
einem Buche absingen, dämmeriges Zwielicht hüllt den Raum und die Figuren,
scharfe Färbung der Säume von Maria's Kleid, sowie ein greller Lichtstrahl,
der durch die Scheiben der gothischen Spitzbogenfenster auf Wand und Fu߬
boden fällt, steigert die Dunkelheit des Uebrigen. Van Eyck's Kunstidiom ist
unverkennbar, es sind seine Köpfe und Figuren, und man wird an das Altar¬
bild im Dresdener Museum erinnert; aber dort ist mehr Silberton. mehr
Sorgfalt und Reinheit, das Jmpasto weniger flüssig und zäh. Es ließe sich
recht wohl denken, daß ein Mann wie De Hooghe eine Copie nach Van Eyck
zu Wege gebracht, die so aussähe. Immerhin mag es Van Eyck selbst gemalt
haben, dann aber hat das Bild jedenfalls fremdartige neue Einwirkung
erfahren.

In der Nachbarschaft finden wir eine zweite Madonna von größeren
Dimensionen, ebenfalls dem niederländischen Altmeister zugeschrieben, aber
wie verschieden! Eine Vergleichung der Madonna des Kanonikus Packe in
Brügge mit den Arnolphini-Porträts der Londoner Nationalgallerie lehrt,
daß Johann van Eyck einmal derb, ein andermal sauber malen konnte; jene
Werke tragen beide Etwas an sich, was nach dem Meister aussieht. Hier
haben wir das gröbere Korn des Gemäldes in Brügge und Züge, die auf
Van Eyck's Schüler schließen lassen. Der aus Rosen, Orangen und Cypressen
bestehende Hintergrund hat sein Vorbild an einigen Stellen des Berliner
^nus vel, Gesicht und Gestalt der Jungfrau sind charakteristisch ungefällig


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341809_121754/64>, abgerufen am 22.07.2024.