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Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, II. Semester. II. Band.

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längst wanken. Daß er diesen nicht mehr halten kann, ist ein untrügliches
Zeichen, wie wenig er sich selbst noch halten kann, er müßte es denn ver-
stehen, in der Luft zu schweben. "Ueber die Vorzüglichkeit des einen oder
andern Staatsbegriffes", heißt es weiter bei dem erwähnten Schriftsteller,
"mögen verschiedene Ansichten existiren"; aber diese Ansichts-Verschiedenheit
bewegt sich nicht mehr, wie er noch 1867 meinte, lediglich auf philosophi¬
schem oder auf politischem Gebiete, sondern sie ist längst, und mindestens
seitdem der letzte rein ständische Staat Deutschlands dem modernen Staats¬
organismus des norddeutschen Bundes wenn auch widerstrebend eingefügt
ist, in Deutschland und insbesondere auch für Mecklenburg praktisch geworden.
Und seitdem dieselbe zugleich durch das praktische Bundesrecht zu Gunsten
des modernen Staatsbegriffes entschieden ist, werden die Anhänger des letztern
nicht mehr "immer nur behaupten können, daß die Patrimonialgerichte politisch
unleidlich oder rechtsphilosophisch unhaltbar seien", sondern sie werden, unter
Berufung darauf, daß der norddeutsche Bund dieselben bald praktisch aus
seinem Gebiete wird verbannt haben, sagen dürfen, daß, gleichwie sie als
die Consequenzen des ständischen Staates fielen, dieser selbst fallen muß.
Mindestens ist derselbe ebenso unpraktisch geworden, wie seine Consequenzen,
und mag der moderne Staat "Recht" sein oder nicht, praktisch ist er, zumal
in der Gestalt, in der er sich auf Grundlagen der norddeutschen Bundes¬
verfassung aufbaut. Weit entfernt, seine Ziele s, priori auszustellen, wie es
die Bundes-Acte that, wenn sie von Juden-Emancipation, landständischen
Verfassungen u. s. w. sprach, um dieselben niemals zu erreichen, oder wie das
deutsche Reich von 1848 in seinen Grundrechten that, um mit diesen zu
Grunde zu gehen, tritt er vielmehr, ohne sonderliche Scheu vor unpraktisch
gewordenen Ueberlieferungen der Vorzeit zu zeigen, so zu sagen s, posteriori
an seine Ziele heran, um dieselben, gleichsam unvermerkt, desto früher zu
erreichen. In der norddeutschen Bundesverfassung ist nichts von "Aufhebung
der Patrimonial - Gerichte" gesagt, wie sie in den Grundrechten und
im mecklenburgischen Staatsgrundgesetz stand; gleichwohl ist der Bund jetzt
in der Lage, einen Gesetzentwurf aufzustellen, der diese trotz Grundrechten
u. s. w. noch immer nicht eingetretene Aufhebung der Patrimonialgerichte
einfach als selbstverständlich voraussetzt und schwerlich daran scheitern wird,
daß diese Voraussetzung nicht zutreffen sollte. Sehen wir durch die Ankün¬
digung dieser Maßregel das ständische Princip ernstlich gefährdet, so hat der
Entwurf einer norddeutschen Civilproceßordnung nicht blos die zunächst in
die Augen springende Bedeutung des weiteren Ausbaues der einheitlichen
norddeutschen Bundesgesetzgebung, -- und wie sehr mit dem Fortschreiten
dieser die Consolidation der staatlichen Einheit des Bundes fortschreitet, das
spricht sich unabsichtlich darin aus, daß die im Herbst 1867 zur Ausarbeitung


längst wanken. Daß er diesen nicht mehr halten kann, ist ein untrügliches
Zeichen, wie wenig er sich selbst noch halten kann, er müßte es denn ver-
stehen, in der Luft zu schweben. „Ueber die Vorzüglichkeit des einen oder
andern Staatsbegriffes", heißt es weiter bei dem erwähnten Schriftsteller,
„mögen verschiedene Ansichten existiren"; aber diese Ansichts-Verschiedenheit
bewegt sich nicht mehr, wie er noch 1867 meinte, lediglich auf philosophi¬
schem oder auf politischem Gebiete, sondern sie ist längst, und mindestens
seitdem der letzte rein ständische Staat Deutschlands dem modernen Staats¬
organismus des norddeutschen Bundes wenn auch widerstrebend eingefügt
ist, in Deutschland und insbesondere auch für Mecklenburg praktisch geworden.
Und seitdem dieselbe zugleich durch das praktische Bundesrecht zu Gunsten
des modernen Staatsbegriffes entschieden ist, werden die Anhänger des letztern
nicht mehr „immer nur behaupten können, daß die Patrimonialgerichte politisch
unleidlich oder rechtsphilosophisch unhaltbar seien", sondern sie werden, unter
Berufung darauf, daß der norddeutsche Bund dieselben bald praktisch aus
seinem Gebiete wird verbannt haben, sagen dürfen, daß, gleichwie sie als
die Consequenzen des ständischen Staates fielen, dieser selbst fallen muß.
Mindestens ist derselbe ebenso unpraktisch geworden, wie seine Consequenzen,
und mag der moderne Staat „Recht" sein oder nicht, praktisch ist er, zumal
in der Gestalt, in der er sich auf Grundlagen der norddeutschen Bundes¬
verfassung aufbaut. Weit entfernt, seine Ziele s, priori auszustellen, wie es
die Bundes-Acte that, wenn sie von Juden-Emancipation, landständischen
Verfassungen u. s. w. sprach, um dieselben niemals zu erreichen, oder wie das
deutsche Reich von 1848 in seinen Grundrechten that, um mit diesen zu
Grunde zu gehen, tritt er vielmehr, ohne sonderliche Scheu vor unpraktisch
gewordenen Ueberlieferungen der Vorzeit zu zeigen, so zu sagen s, posteriori
an seine Ziele heran, um dieselben, gleichsam unvermerkt, desto früher zu
erreichen. In der norddeutschen Bundesverfassung ist nichts von „Aufhebung
der Patrimonial - Gerichte" gesagt, wie sie in den Grundrechten und
im mecklenburgischen Staatsgrundgesetz stand; gleichwohl ist der Bund jetzt
in der Lage, einen Gesetzentwurf aufzustellen, der diese trotz Grundrechten
u. s. w. noch immer nicht eingetretene Aufhebung der Patrimonialgerichte
einfach als selbstverständlich voraussetzt und schwerlich daran scheitern wird,
daß diese Voraussetzung nicht zutreffen sollte. Sehen wir durch die Ankün¬
digung dieser Maßregel das ständische Princip ernstlich gefährdet, so hat der
Entwurf einer norddeutschen Civilproceßordnung nicht blos die zunächst in
die Augen springende Bedeutung des weiteren Ausbaues der einheitlichen
norddeutschen Bundesgesetzgebung, — und wie sehr mit dem Fortschreiten
dieser die Consolidation der staatlichen Einheit des Bundes fortschreitet, das
spricht sich unabsichtlich darin aus, daß die im Herbst 1867 zur Ausarbeitung


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341809_121754/61>, abgerufen am 15.01.2025.