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Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, II. Semester. II. Band.

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derjenige Gerichtsherr, "der das Unglück hat, einen Delinquenten zu bekom¬
men", die Kosten nicht allein zu tragen habe, machte die Stände auch nach¬
gibig, als die Regierung in den dreißiger Jahren die Zusammenlegung der
einzelnen patrimonialen Criminalgerichte zu vereinigten Gerichten forderte,
wie es faktisch auch ohne directe staatliche Nöthigung schon früher vielfach
bei Criminal-, wie Civilgerichten erfolgt war. Diese Reform, (und als solche
muß sie unstreitig schon um deswillen anerkannt werden, weil sie die Zahl
der Gerichte beschränkte, wenngleich die vereinten Gerichte gleich den Einzel¬
gerichten mit nur Einem, noch dazu von den Gerichtsherren in wesentlichen
Beziehungen, rechtlich und faktisch, abhängigen Richter besetzt blieben), ließ
den Gerichtsherren doch immer noch die eigene Gerichtsbarkeit, deren Besitz
wohl geeignet war, dem Nimbus ihrer mit der Gutsherrschaft verbundenen
obrigkeitlichen Rechte einen besonderen Glanz zu verleihen.

Diese Herrlichkeit wollten die deutschen Grundrechte und das mecklen¬
burgische Staatsgrundgesetz mit einem Schlage vernichten, indem sie unter
Anderem auch die Aushebung der Privatgerichtsbarkeit decretirten. Wie aber
jene nicht auf die Dauer von Bestand blieben, so ist diese niemals zur Aus¬
führung gelangt. Das schwerinsche Staatsministerium begann zwar im
Jahre 1849 mit den Vorarbeiten und überreichte im März 1860 der Ab¬
geordnetenkammer einen Gesetzentwurf nicht nur über die Aufhebung der
Privatgerichtsbarkeit, sondern auch einen allgemeinern über die Gerichts¬
verfassung überhaupt, aber vier Wochen später erhielt das constitutionelle
Ministerium seine Entlassung und nach fünf Monaten erklärte das Freien-
walder Schiedsgericht das Staatsgrundgesetz für nichtig. Nach Wiederher¬
stellung der ständischen Verfassung erfreuten sich also die Gerichtsherren wie¬
der des unbestrittenen Genusses ihrer Gerichtsherrlichkeit. Gleichwohl, sagt
der Vicepräsident des Rostocker Oberappellationsgerichts Trotsche in der Vor¬
rede seiner gründlichen Bearbeitung des mecklenburgischen Civilprozesses,
schwand nicht alle Aussicht auf die erstrebten Reformen. Denn der Ober¬
appellationsrath v. Schröter, dem das Ministerium der Justiz übertragen
wurde, hatte nicht blos an jenen Vorarbeiten den thätigsten Antheil genom¬
men, sondern auch die beabsichtigte neue Ordnung der Rechtspflege durch die
dazu 1860 veröffentlichten "Bemerkungen" in Schutz genommen, und ins¬
besondere die Bildung von Collegialgerichten -- wie sie auch der jetzige Ent¬
wurf in Aussicht nimmt -- für den ganzen Umfang der Rechtspflege auch
in der ersten Instanz mit den schlagendsten Gründen als unabweisbar dar¬
gestellt. Es würde damit, so lautet es S. 42 der "Bemerkungen", ein un¬
berechenbarer Fortschritt in der geistigen und sittlichen Hebung des ganzen
Richterstandes, in der Förderung der materiellen Gerechtigkeit, in der Be-
schleunigung der Rechtspflege und in dem Vertrauen zu den Gerichten ge-


Grenzbot-n IV. 186V. 7

derjenige Gerichtsherr, „der das Unglück hat, einen Delinquenten zu bekom¬
men", die Kosten nicht allein zu tragen habe, machte die Stände auch nach¬
gibig, als die Regierung in den dreißiger Jahren die Zusammenlegung der
einzelnen patrimonialen Criminalgerichte zu vereinigten Gerichten forderte,
wie es faktisch auch ohne directe staatliche Nöthigung schon früher vielfach
bei Criminal-, wie Civilgerichten erfolgt war. Diese Reform, (und als solche
muß sie unstreitig schon um deswillen anerkannt werden, weil sie die Zahl
der Gerichte beschränkte, wenngleich die vereinten Gerichte gleich den Einzel¬
gerichten mit nur Einem, noch dazu von den Gerichtsherren in wesentlichen
Beziehungen, rechtlich und faktisch, abhängigen Richter besetzt blieben), ließ
den Gerichtsherren doch immer noch die eigene Gerichtsbarkeit, deren Besitz
wohl geeignet war, dem Nimbus ihrer mit der Gutsherrschaft verbundenen
obrigkeitlichen Rechte einen besonderen Glanz zu verleihen.

Diese Herrlichkeit wollten die deutschen Grundrechte und das mecklen¬
burgische Staatsgrundgesetz mit einem Schlage vernichten, indem sie unter
Anderem auch die Aushebung der Privatgerichtsbarkeit decretirten. Wie aber
jene nicht auf die Dauer von Bestand blieben, so ist diese niemals zur Aus¬
führung gelangt. Das schwerinsche Staatsministerium begann zwar im
Jahre 1849 mit den Vorarbeiten und überreichte im März 1860 der Ab¬
geordnetenkammer einen Gesetzentwurf nicht nur über die Aufhebung der
Privatgerichtsbarkeit, sondern auch einen allgemeinern über die Gerichts¬
verfassung überhaupt, aber vier Wochen später erhielt das constitutionelle
Ministerium seine Entlassung und nach fünf Monaten erklärte das Freien-
walder Schiedsgericht das Staatsgrundgesetz für nichtig. Nach Wiederher¬
stellung der ständischen Verfassung erfreuten sich also die Gerichtsherren wie¬
der des unbestrittenen Genusses ihrer Gerichtsherrlichkeit. Gleichwohl, sagt
der Vicepräsident des Rostocker Oberappellationsgerichts Trotsche in der Vor¬
rede seiner gründlichen Bearbeitung des mecklenburgischen Civilprozesses,
schwand nicht alle Aussicht auf die erstrebten Reformen. Denn der Ober¬
appellationsrath v. Schröter, dem das Ministerium der Justiz übertragen
wurde, hatte nicht blos an jenen Vorarbeiten den thätigsten Antheil genom¬
men, sondern auch die beabsichtigte neue Ordnung der Rechtspflege durch die
dazu 1860 veröffentlichten „Bemerkungen" in Schutz genommen, und ins¬
besondere die Bildung von Collegialgerichten — wie sie auch der jetzige Ent¬
wurf in Aussicht nimmt — für den ganzen Umfang der Rechtspflege auch
in der ersten Instanz mit den schlagendsten Gründen als unabweisbar dar¬
gestellt. Es würde damit, so lautet es S. 42 der „Bemerkungen", ein un¬
berechenbarer Fortschritt in der geistigen und sittlichen Hebung des ganzen
Richterstandes, in der Förderung der materiellen Gerechtigkeit, in der Be-
schleunigung der Rechtspflege und in dem Vertrauen zu den Gerichten ge-


Grenzbot-n IV. 186V. 7
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[0057] derjenige Gerichtsherr, „der das Unglück hat, einen Delinquenten zu bekom¬ men", die Kosten nicht allein zu tragen habe, machte die Stände auch nach¬ gibig, als die Regierung in den dreißiger Jahren die Zusammenlegung der einzelnen patrimonialen Criminalgerichte zu vereinigten Gerichten forderte, wie es faktisch auch ohne directe staatliche Nöthigung schon früher vielfach bei Criminal-, wie Civilgerichten erfolgt war. Diese Reform, (und als solche muß sie unstreitig schon um deswillen anerkannt werden, weil sie die Zahl der Gerichte beschränkte, wenngleich die vereinten Gerichte gleich den Einzel¬ gerichten mit nur Einem, noch dazu von den Gerichtsherren in wesentlichen Beziehungen, rechtlich und faktisch, abhängigen Richter besetzt blieben), ließ den Gerichtsherren doch immer noch die eigene Gerichtsbarkeit, deren Besitz wohl geeignet war, dem Nimbus ihrer mit der Gutsherrschaft verbundenen obrigkeitlichen Rechte einen besonderen Glanz zu verleihen. Diese Herrlichkeit wollten die deutschen Grundrechte und das mecklen¬ burgische Staatsgrundgesetz mit einem Schlage vernichten, indem sie unter Anderem auch die Aushebung der Privatgerichtsbarkeit decretirten. Wie aber jene nicht auf die Dauer von Bestand blieben, so ist diese niemals zur Aus¬ führung gelangt. Das schwerinsche Staatsministerium begann zwar im Jahre 1849 mit den Vorarbeiten und überreichte im März 1860 der Ab¬ geordnetenkammer einen Gesetzentwurf nicht nur über die Aufhebung der Privatgerichtsbarkeit, sondern auch einen allgemeinern über die Gerichts¬ verfassung überhaupt, aber vier Wochen später erhielt das constitutionelle Ministerium seine Entlassung und nach fünf Monaten erklärte das Freien- walder Schiedsgericht das Staatsgrundgesetz für nichtig. Nach Wiederher¬ stellung der ständischen Verfassung erfreuten sich also die Gerichtsherren wie¬ der des unbestrittenen Genusses ihrer Gerichtsherrlichkeit. Gleichwohl, sagt der Vicepräsident des Rostocker Oberappellationsgerichts Trotsche in der Vor¬ rede seiner gründlichen Bearbeitung des mecklenburgischen Civilprozesses, schwand nicht alle Aussicht auf die erstrebten Reformen. Denn der Ober¬ appellationsrath v. Schröter, dem das Ministerium der Justiz übertragen wurde, hatte nicht blos an jenen Vorarbeiten den thätigsten Antheil genom¬ men, sondern auch die beabsichtigte neue Ordnung der Rechtspflege durch die dazu 1860 veröffentlichten „Bemerkungen" in Schutz genommen, und ins¬ besondere die Bildung von Collegialgerichten — wie sie auch der jetzige Ent¬ wurf in Aussicht nimmt — für den ganzen Umfang der Rechtspflege auch in der ersten Instanz mit den schlagendsten Gründen als unabweisbar dar¬ gestellt. Es würde damit, so lautet es S. 42 der „Bemerkungen", ein un¬ berechenbarer Fortschritt in der geistigen und sittlichen Hebung des ganzen Richterstandes, in der Förderung der materiellen Gerechtigkeit, in der Be- schleunigung der Rechtspflege und in dem Vertrauen zu den Gerichten ge- Grenzbot-n IV. 186V. 7

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341809_121754/57>, abgerufen am 22.07.2024.