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Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, II. Semester. II. Band.

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Gemeinsamkeit in den Grundanschauungen ist die nothwendige Voraussetzung
jedes ernst gemeinten Verständigungsversuchs und gerade diese ist es, die
fehlt. Uns bleibt darum nur zu hoffen übrig, daß die Verhandlungen über
diese Vorlage von den liberalen Parteien dazu benutzt werden, die Schlappe,
die sie im vorigen Jahre erlitten, wieder auszuwetzen. Dazu ist vor Allem
nothwendig, daß man dem Minister nicht zum zweiten Male in ungezügelten
Eifer auf das Messer laufe, sondern die vorhandenen Kräfte planmäßig und
unter Beobachtung wirklicher Disciplin ins Treffen führe, und zweitens, daß
man sich nicht mit allgemein gehaltenen Resolutionen begnüge, sondern die
Fähigkeit beweise, im Einzelnen genau anzugeben, was man will und was
man kann. Geschieht das nicht, zerreißen die unaufhaltsamen Fluthen libe¬
raler Beredsamkeit wiederum alle Dämme und Ufer, so wird man, wie es
im vorigen Jahre thatsächlich geschehen, die erschütterte Position des Cultus¬
ministers aufs neue befestigen, den Conservativen zum zweiten Male Ge¬
legenheit bieten, sich bei den liberalen Parteien für die guten Dienste zu be¬
danken, die sie dem gegenwärtigen Ministerium erwiesen. Freilich begünstigt
die von den Demokraten festgehaltene alte Geschäftsordnung das maßlose
Sprechbedürfniß derer, denen es vornehmlich darum zu thun ist, von der Ent¬
schiedenheit ihrer antiministeriellen Gesinnung Zeugniß abzulegen, so ent¬
schieden, daß es energischer Anstrengungen bedürfen wird, um die Wieder¬
holung der Calamität vom December vorigen Jahres zu vermeiden. Es
wäre darum nicht unrathsam, die Geschäftsordnungssrage noch einmal zur
Discussion zu bringen. An Argumenten gegen die bestehende Ordnung kann
es denen nicht fehlen, die irgend Gedächtniß haben, sei es auch nur für die
Geschichte der letzten zwölf Monate.

Günstigere Aussichten als das Muster'sche Schulgesetz hat die neue
Kreisordnung, mit der Graf Eulenburg vor dem Hause erscheinen will. Was
wir bisher über dieselbe wissen, bestätigt zwar, daß wir es auch dieses Mal
mit einem Baum ohne Wurzeln, d. h. mit einer'Kreisordnung zu thun
haben werden, welche dem Bedürfniß nach Reorganisation der Gemeinden
und Dorfschaften nicht Genüge thut und überdieß des Abschlusses durch
eine Provinzialverfassung entbehrt, aber die Grundzüge dieser Bill bieten
hinreichenden Boden für eine Verständigung, vorausgesetzt, daß dieselbe
von beiden Seiten ernst gewollt ist. Und an diesem Wollen zu zwei¬
feln, haben wir keinen Grund. Es ist ein beachtenswerthes Zeugniß für
die Wandlung, welche sich allen Phrasen von der Unbeugsamkeit des kon¬
servativen Princips zum Trotz in den Negierungskreisen vollzogen hat, daß
ein vom Grafen Eulenburg eingebrachter Gesetzentwurf die Grundsätze adoptirt,
von denen ^- es ist noch nicht zehn Jahr her -- Graf Schwerin ausge¬
gangen war, ja daß er in manchen und nicht unwesentlichen Punkten über


Gemeinsamkeit in den Grundanschauungen ist die nothwendige Voraussetzung
jedes ernst gemeinten Verständigungsversuchs und gerade diese ist es, die
fehlt. Uns bleibt darum nur zu hoffen übrig, daß die Verhandlungen über
diese Vorlage von den liberalen Parteien dazu benutzt werden, die Schlappe,
die sie im vorigen Jahre erlitten, wieder auszuwetzen. Dazu ist vor Allem
nothwendig, daß man dem Minister nicht zum zweiten Male in ungezügelten
Eifer auf das Messer laufe, sondern die vorhandenen Kräfte planmäßig und
unter Beobachtung wirklicher Disciplin ins Treffen führe, und zweitens, daß
man sich nicht mit allgemein gehaltenen Resolutionen begnüge, sondern die
Fähigkeit beweise, im Einzelnen genau anzugeben, was man will und was
man kann. Geschieht das nicht, zerreißen die unaufhaltsamen Fluthen libe¬
raler Beredsamkeit wiederum alle Dämme und Ufer, so wird man, wie es
im vorigen Jahre thatsächlich geschehen, die erschütterte Position des Cultus¬
ministers aufs neue befestigen, den Conservativen zum zweiten Male Ge¬
legenheit bieten, sich bei den liberalen Parteien für die guten Dienste zu be¬
danken, die sie dem gegenwärtigen Ministerium erwiesen. Freilich begünstigt
die von den Demokraten festgehaltene alte Geschäftsordnung das maßlose
Sprechbedürfniß derer, denen es vornehmlich darum zu thun ist, von der Ent¬
schiedenheit ihrer antiministeriellen Gesinnung Zeugniß abzulegen, so ent¬
schieden, daß es energischer Anstrengungen bedürfen wird, um die Wieder¬
holung der Calamität vom December vorigen Jahres zu vermeiden. Es
wäre darum nicht unrathsam, die Geschäftsordnungssrage noch einmal zur
Discussion zu bringen. An Argumenten gegen die bestehende Ordnung kann
es denen nicht fehlen, die irgend Gedächtniß haben, sei es auch nur für die
Geschichte der letzten zwölf Monate.

Günstigere Aussichten als das Muster'sche Schulgesetz hat die neue
Kreisordnung, mit der Graf Eulenburg vor dem Hause erscheinen will. Was
wir bisher über dieselbe wissen, bestätigt zwar, daß wir es auch dieses Mal
mit einem Baum ohne Wurzeln, d. h. mit einer'Kreisordnung zu thun
haben werden, welche dem Bedürfniß nach Reorganisation der Gemeinden
und Dorfschaften nicht Genüge thut und überdieß des Abschlusses durch
eine Provinzialverfassung entbehrt, aber die Grundzüge dieser Bill bieten
hinreichenden Boden für eine Verständigung, vorausgesetzt, daß dieselbe
von beiden Seiten ernst gewollt ist. Und an diesem Wollen zu zwei¬
feln, haben wir keinen Grund. Es ist ein beachtenswerthes Zeugniß für
die Wandlung, welche sich allen Phrasen von der Unbeugsamkeit des kon¬
servativen Princips zum Trotz in den Negierungskreisen vollzogen hat, daß
ein vom Grafen Eulenburg eingebrachter Gesetzentwurf die Grundsätze adoptirt,
von denen ^- es ist noch nicht zehn Jahr her — Graf Schwerin ausge¬
gangen war, ja daß er in manchen und nicht unwesentlichen Punkten über


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341809_121754/51>, abgerufen am 24.08.2024.